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Porträt

Startup-Porträt: Sprechstunde auf dem Acker mit Plantix

Das deutsche Startup Peat hat sich nichts Geringeres vorgenommen, als dabei zu ­helfen, den Hunger der Welt zu ­stillen. Mit einer App, die Pflanzenkrankheiten ­diagnostiziert. In Indien testen bereits eine ­Million Bauern das Tool.

Von Vicky Isabelle Bargel
5 Min.
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Die Plantix-App kann bis dato rund 500 Krankheiten und Nährstoffmängel an 50 verschiedenen Nutzpflanzenarten erkennen. Der Nutzer  erfährt dabei nicht nur, was der Pflanze fehlt, sondern erhält auch konkrete Empfehlungen zur Krankheitsbehandlung. (Foto: Peat)


Pierre Munzel sitzt in einem schicken Berliner Hinterhofbüro – und spricht über Landwirtschaft. Er redet über Nutzpflanzen, über Nahrungsmittelengpässe, über Ernteausfälle. „2050 werden wir knapp zehn Milliarden Menschen auf dieser Welt sein – und die musst du auch erst mal alle sattkriegen“, sagt Munzel. Er ist einer der insgesamt sieben Mitgründer von Peat.

Das Startup hat eine App namens Plantix entwickelt, die Pflanzenkrankheiten erkennen und so Landwirte vor Ernte­ausfällen bewahren soll. Laut Studien fallen rund ein Drittel aller weltweit angebauten Nutzpflanzen Schädlingen und ­Krankheiten zum Opfer. Peat will zumindest einen kleinen Beitrag dazu leisten, den Hunger der Welt zu stillen. Für Munzel und seine Mitstreiter ist es nicht das erste ­ambitionierte Projekt. Sie haben schon mit ihrer Vorgänger­organisation Green Desert Anleitungen für den Bau und Betrieb von Windrädern zur Trinkwassergewinnung in Entwicklungs­ländern erarbeitet. Jetzt versuchen sie sich als Pflanzendoktoren.

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Ob braune Flecken am Blumenkohl durch einen Pilzbefall oder Kohlschwärze ausgelöst wurden, lässt sich mit bloßem Auge oft nur schwer erkennen. Mit Plantix können Landwirte direkt auf dem Feld mit ihrem Handy ein Foto der erkrankten Pflanze machen. Die App identifiziert die Krankheitsmerk­male und gleicht sie mit einer riesigen Datenbank ab. Jeden Tag ­gehen nach eigenen Angaben bis zu 50.000 Bilder ein. Plantix kann mehr als insgesamt 500 Krankheiten und Nährstoffmängel an fünfzig verschiedenen Nutzpflanzenarten unterscheiden. Die App spuckt ­dabei nicht nur aus, was der Pflanze fehlt, sondern gibt auch ­direkt Empfehlungen, mit welchen Mitteln Pflanze oder Boden behandelt werden können.

Die Zielgruppe sind vor allem Kleinbauern, die Flächen von bis zu zehn Hektar bewirtschaften. Geografisch liegt der Fokus auf ­Indien. 200 bis 300 Millionen Menschen sind dort direkt oder ­indirekt in der Landwirtschaft tätig – ein riesiger Markt. Auf dem Kontinent verbreitet sich mobiles Internet mehr als doppelt so schnell wie im Rest der Welt. Nur in China nutzen mehr Menschen das Internet als in Indien. Schätzungen zufolge sind rund 462 Millionen Inder online und verwenden dafür ein mobiles Endgerät. Für den Erfolg von Plantix ist das ein entscheidender Faktor. Denn: Was nützt die App, wenn die Farmer auf dem Acker kein Netz haben?

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Von Kleingartenvereinen und ­Tomatenpflanzen

Bis der Pflanzendoktor Plantix auf dem Handy und in der ­Hosentasche der Landwirte gelandet ist, war es ein weiter Weg. Am Anfang hatte das Gründerteam aus Geografen und Politik­wissenschaftlern nach eigener Aussage keine Ahnung von ­Machine Learning und künstlicher Intelligenz. Sie mussten sich das Wissen erst aneignen und Entwickler zur Unterstützung finden. Zudem stellte sich die Frage: Woher die Datensätze nehmen, um einen Computer auf die Schaderkennung zu trainieren? Derartige Pflanzenfotos gab es bis dato nicht in ausreichender Menge.

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Sie machten sich also daran, die Bilder selbst zu beschaffen: Mithilfe von über 400 deutschen Kleingartenvereinen. Plantix wurde so zu einem Crowdsourcing-Projekt. Doch die Bildausbeute reichte noch nicht für den Aufbau einer Datenbank. Es folgte ein Selbstversuch: Rund 150 Tomatenpflanzen wurden angeschafft und mit Absicht schlecht versorgt. Mal wurde jener Nährstoff weggelassen, mal dieser. Die Pflanzen wurden krank – weiteres Futter für die Datenbank. Schließlich der Durchbruch: Die erste Krankheit wurde erkannt. Das war im Sommer 2015.

Für die erste Finanzierung zog sich Peat das Exist-Gründer­stipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie mithilfe der Universität Hannover an Land und konnte sich so „über das erste Jahr retten“, wie Munzel erzählt. Es folgte die Teilnahme an zahlreichen Gründerwettbewerben, um nicht nur ein paar Tausend Euro Preisgeld für das Firmenkonto zu ergattern, sondern vor allem auch Medienpräsenz. Sie wollten ihre Idee von anderen bewerten lassen und daraus lernen. Das hat sich offenbar ausgezahlt: Im Dezember 2016 erhielt Peat die erste Seed-­Finanzierung über 1,1 Millionen Euro vom namhaften ­Investor Atlantic Labs. Mittlerweile wurde die Zehn-Millionen-Euro-­Marke geknackt: Im vergangenen November hat das ­Startup 6,6 Millionen Euro frisches Kapital in einer Series-A-Finanzierungsrunde eingesammelt – angeführt von RTP Global, dem Tech-Investor, der auch Anteile an Deliveryhero und Sumup hält. Mit dem Geld ist auch das Unternehmen auf über 75 Mitarbeiter gewachsen.

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Wie tickt ein indischer Kleinbauer?

Dass das Peat-Team in Berlin sitzt und seine Zielgruppe Tausende ­Kilometer entfernt in Indien, war eine der größten Herausforderungen in der Produktentwicklung, erzählt Munzel. Die Frage lautete: Wie kre­iert man das Interface für einen Markt, den man im Grunde überhaupt nicht kennt? Welches App-Nutzungsverhalten haben indische Kleinbauern? „Du denkst, mit Englisch und Hindi als Sprachen hast du Indien ganz gut abgedeckt, ist aber nicht so“, berichtet ­Munzel. Deswegen gibt es Plantix in 18 Sprachen, davon sind allein neun indische Lokalsprachen. Diese werden jeweils von rund 80 bis 300 Millionen Menschen gesprochen.

In Indien ist mobiles Internet weit verbreitet. So erreicht die Pflanzenschutz-App von Peat auch die Kleinbauern auf dem Feld. Eine Million von ihnen nutzt bereits ­kostenlos Plantix. 300 bis 500 Millionen Menschen sind laut Schätzungen im indischen Raum direkt oder indirekt in der Landwirtschaft tätig. Mithilfe von Plantix soll sich die Zahl von Ernteausfällen minimieren. (Foto: Peat)

Um herauszufinden, wie der indische Markt tickt, blieb den Gründern nichts anderes übrig, als selbst nach Indien zu reisen. Feldrecherche, im wahrsten Sinne des Wortes. Allerdings benötigte Peat dafür einen Sparringspartner. „Man kann da nicht einfach aus dem Nichts zu den Farmern aufs Feld stiefeln und erwarten, dass sie dir zeigen, wie sie arbeiten“, erklärt Munzel. Landwirtschaft sei überall auf der Welt eine sehr sensible Angelegenheit. Jeder Eingriff in die Privatsphäre „Acker“ könne falsch verstanden werden und sogar existenzielle Ängste schüren. Schließlich seien Böden, Pflanzen und das Wissen über den richtigen Anbau die Lebensgrundlage der Farmer. Man müsse also erst einmal Vertrauen aufbauen. Ohne das internationale Pflanzenforschungsinstitut ICRISAT, eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, wäre ihnen das so nicht gelungen, ist ­Munzel überzeugt. Mittlerweile erreicht Peat insgesamt eine Million ­Farmer im indischen Raum.

„Man kann da nicht ­einfach aus dem Nichts zu den Farmern aufs Feld stiefeln.“

Wie sie allerdings mit ihrer App Geld verdienen wollen, haben die Gründer nach eigener Aussage noch nicht geklärt. Sie wollen, dass Plantix für die Nutzer kostenlos bleibt. Auch die Schaltung von Werbung lehnen sie kategorisch ab. Was aber bleibt dann? „Zum einen erzielen wir Umsätze dadurch, dass wir unsere Software als API anbieten“, sagt Munzel. „Zum anderen verfolgen wir gerade einen Ökosystem-Gedanken. Wir überlegen, wie wir alle Player der Wertschöpfungskette – Farmer, Händler und Produzenten von Pflanzenschutzmitteln – zusammenbringen können und damit Geld verdienen.“ Provisionen könnten so zu einer Einnahmequelle werden.

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Den Eindruck, dass Plantix gemeinsame Sache mit den oft ausländischen Herstellern von Düngemitteln machen wolle, versucht Peat-CFO Munzel zu zerstreuen: „Wir wollen im Gegenteil vor der Pestizidfalle bewahren und den übermäßigen Einsatz von Pestiziden vermeiden.“ Zumal sich in Indien Landwirte zum Teil enorm verschulden, um die Preise der Düngemittelindustrie bezahlen zu können. Es herrschen prekäre Verhältnisse, allein zwischen 2006 und 2016 sollen 142.000 Bauern Selbstmord begangen haben.

Wenn Pflanzen gezielt behandelt werden, werde der flächendeckende und präventive Einsatz von Glyphosat und Co. obsolet, argumentiert Munzel. „Der reale Nutzen für die Farmer steht bei uns an erster Stelle.“ Denn am Ende sei jede erkannte Krankheit auch eine gerettete Ernte.

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