Wie SugarTrends kleine und edle Boutiquen ins Netz holen will: Shoppen gegen Fernweh
Das Belgische Viertel in Köln ist der bevorzugte Tummelplatz der Bohemiens. Hier treffen sich Künstler, Designer, Autoren genau wie junge Menschen und Touristen. Sie bevölkern zu Hunderten die Straßen und vor allem das Nachtleben – zum Wohlgefallen des Einzelhandels: Gut gepflegte Patrizierhäuser wechseln sich hier mit kleinen Boutiquen, Goldschmieden und Szene-Kneipen ab. Während sich die Händler über das Treiben freuen, zeigen die Anwohner wenig Verständnis. Die Stadtverwaltung kämpft bereits mit Bebauungsplänen gegen eine Gentrifizierung an, Gewerbeflächen werden begrenzt, um Wohnraum zu erhalten. Das macht die Lebensbedingungen für den Handel schwieriger.
Aber nicht nur die Stadt hat daran ihren Anteil, auch große Ladenketten haben das Viertel für sich entdeckt. Zwar besetzen die Händler mit ihren ausgewählten und qualitativ hochwertigen Produkten im Belgischen Viertel die perfekte Nische, auch weil es Läden mit Gesicht und Persönlichkeit sind, die mit ihren handgefertigten Waren dem Trend zu immer mehr Individualität gerecht werden – einer Bewegung übrigens, die sich gerade in den Lifestyle-orientierten Zielgruppen stark gefestigt hat. Eigentlich müsste ein Geschäft in so einer florierenden Gegend eine Goldgrube sein. Dennoch spricht die „Kölnische Rundschau“ bereits vom Ladensterben. Denn die Inhaber im Belgischen Viertel werden Opfer ihres eigenen Erfolgs: Große Namen haben das Szeneviertel entdeckt. An einer Straße sind die kleinen Läden schon zu 70 Prozent gesichtslosen Ketten gewichen. Angesichts ihrer trüben Zukunftsaussichten brauchen die exquisiten Boutiquen dringend einen Lichtblick. Das Startup SugarTrends glaubt, genau diesen gefunden zu haben.
Trendhunter auf der Jagd nach ihren Lieblingsgeschäften
Der 2014 von Tim Lagerpusch und Christian Schwarzkopf gegründete Marktplatz hat sich darauf spezialisiert, kleine, boutiqueartige Läden wie im Belgischen Viertel weltweit einzusammeln und unter einem Dach zusammenzuführen. Dazu setzt das Startup auf eine „Trendhunter Community“, also Mitglieder, die ihre Stadt nach besonderen Läden durchkämmen und für jeden geworbenen Händler eine fixe Vergütung bekommen. Und die Firma setzt auf begeisterte Kunden, die ihre Lieblingsgeschäfte empfehlen.
Die Idee zu dem Konzept entstand im Urlaub. „Wir reisen gerne und haben dabei immer kleine, besondere Läden abseits vom Mainstream in den Großstädten entdeckt“, erzählt Lagerpusch. „Es ist fast wie eine Schnitzeljagd von Oase zu Oase, du findest einen Laden, dann kommst du ins Gespräch mit den Ladeninhabern.“ So treffen Reisende auf Existenzen mit einem hohen Qualitätsanspruch, die auch gerne Läden mit einem ähnlichen Konzept weiterempfehlen. Plötzlich lassen sich Dinge entdecken, die man nie gesucht hat. Genau aus diesen Weiterempfehlungen sei auch der Netzwerk-Gedanke von SugarTrends entstanden, sagt Lagerpusch.
Für den Anfang konzentriert sich SugarTrends bei den Händlern auf Mode und Modeschmuck, Gourmet- und Einrichtungsprodukte. In den nächsten Schritten will das Startup das Sortiment um exklusive Schmuckstücke, Möbel und Kunst erweitern.
Von Manufaktur-Schokolade bis zur handgefertigten Designer-Tasche
Coskun Gueven mit seiner Arty Farty Gallery und Ralf Daab mit seinem Daab Salon gehören zu den rund 40 Händlern, die SugarTrends allein in Köln von seiner Plattform überzeugt hat. Das Konzept hat sich aber auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus etabliert: Den Kunden des Startups eröffnet sich ein Streifzug durch die ganze Welt – von den Niederlanden bis in die USA. Ilana Netiv von Burra Burra verkauft Taschen aus Amsterdam, Alan White von Guilberts Chocolates manufakturhergestellte Schokolade und Pralinen aus Bristol, Christina Dalbert von Markt Lücke handgefertigte Geschenkartikel aus Zürich, Marko Wildner von der Nikkifaktur Mode aus Dresden und die Künstlerin Laura Lobdell aus New York veräußert ihre selbst kreierten Schmuckstücke.
SugarTrends verspricht aber nicht nur besondere Produkte, sondern auch einen Einkauf wie in der Stadt. Die Begegnung mit dem lokalen Fachhandel soll persönlichen Kontakt, Service und Beratung bieten – Eigenschaften, die sich schon im lokalen Handel rar gemacht haben. Das Konzept bedient zwar eine Nische, scheint aber aufzugehen: SugarTrends wächst kontinuierlich. Waren zum Jahresende noch knapp 200 Händler mit 2.000 Produkten aktiv, bevölkern jetzt etwa 9.000 Produkte von 210 Händlern den Marktplatz. Die Besucher honorieren es mit mehr Visits, die Zahlen stiegen von 10.000 auf 18.000 monatlich.
Das macht sich auch am Umsatz bemerkbar: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erhöhten sich die Erlöse von 7.500 auf 20.700 Euro im Monat. Der gesamte Warenumsatz lag 2015 bei rund 100.000 Euro, wie Investoren-Informationen zeigen.
Dass die Kunden das Konzept annehmen, darauf deutet die Quote der Rückkehrer hin: Für etwa 40 Prozent des Warenumsatzes zeichnen sich 24 Prozent der wiederkehrenden Kunden verantwortlich. Damit generieren sie aktuell den Löwenanteil des Umsatzes. Anders als auf anderen Marktplätzen wie Zalando senden sie auch nicht übermäßig viel zurück: Die Retourenquote von SugarTrends liegt bei zehn Prozent.
Die Social-Media-Strategie von SugarTrends
Das Startup setzt für die Kundenakquise auf Social-Media-Marketing: Den Großteil seiner Zielgruppe deckt SugarTrends über Facebook ab, dicht gefolgt von Instagram. Pinterest ist bisher noch nicht relevant, allerdings steigt der Traffic dort langsam.
Interessant: Die SEO-Strategie steht erst seit einiger Zeit ganz oben auf der Prioritätenliste. Dass der organische Traffic und der Umsatz 2015 trotzdem so stark zugelegt haben, erklärt Lagerpusch mit Partnerwachstum: Allein 60 Prozent sollen durch Verlinkungen und direkte Werbung der Händler gekommen sein. Das lässt eine Korrelation vermuten, die SugarTrends zwischen dem Wachstum der Ladenanzahl und dem Wachstum der Bestellungen erstellt hat. In Zukunft sollen deshalb nicht nur die eigenen Mitarbeiter, sondern auch die Händler die Social-Media-Kanäle von SugarTrends bespielen und aufbauen.
Wie wichtig die Weiterempfehlungen der Händler sind, zeigt sich auch bei der Suche nach neuen exquisiten Boutiquen: Jedes fünfte neue Geschäft hat sich auf Empfehlung bestehender Händler angemeldet. SugarTrends will seinen Stamm an kleinen Läden noch weiter ausbauen und bis Jahresende 1.000 Händler betreuen.
Um diese Ziele zu erreichen, hat das Unternehmen gerade ein Crowdinvestment von 130.000 Euro abgeschlossen. Reichen wird diese Anschubfinanzierung vermutlich nicht: Ursprünglich wollten die Gründer 500.000 Euro einnehmen. Deswegen arbeiten sie nun an einer Series-A-Finanzierung für ihr mit rund 4,5 Millionen Euro bewertetes Unternehmen. Sollte es damit klappen, fließt das Geld erst einmal in die Mitarbeitersuche. Weil jeder neuer Händler auf seine Qualität geprüft werden muss, ist die Werbung neuer Boutiquen aufwendig und personalintensiv.

Die technische Infrastruktur: Magento, Amazon und Redis
Die technische Grundlage für das Wachstum hat SugarTrends mit einem neuen Händler-Backend und einem verbesserten Onboarding-Prozess für Händler bereits gelegt. Dadurch läuft der Betrieb der Webseite teil-automatisiert. Um die Automatisierung weiter voranzutreiben, bereitet das Startup aktuell Schnittstellen zu einigen gängigen Softwarelösungen wie den Multichanneltools plentymarkets oder Magnalister vor. SugarTrends setzt auf eine eigenentwickelte Multi-Marketplayer-Lösung, die auf Basis von Magento 1.x in der Amazon-Cloud betrieben wird – die Migration auf Magento 2 ist bereits geplant.
Das Startup vertraut zudem auf einen Full-Page-Cache, der mittels der Open-Source-Lösung Redis als Datenbank im Arbeitsspeicher abgespeichert wird. Jede Nacht werden Produkte und Kategorien sowie 20 Prozent der meistbesuchten Seiten neu generiert und der Cache sozusagen „vorgewärmt“. Die Nutzer rufen so immer die schnellen, im Cache gespeicherten Seiten auf. Da SugarTrends auch weltweit aktiv ist, werden die gecachten Seiten an das Content-Delivery-Network von Cloudflare weitergeleitet. Die Sessions der Kunden werden in „Memcache“ gespeichert, einem Open-Source-Cache-Server. Zusätzlich sind alle HTML-, CSS- und JavaScript-Dateien minimiert und komprimiert.
Herausforderung Gebühren
SugarTrends verlangt aktuell keine Grundgebühren. Man sei mit einer pauschalen Provision von zehn Prozent gestartet, berichtet Lagerpusch. Allerdings habe es eine „unterschiedliche Akzeptanz“ bei den Partnern gegeben. Das Ziel für 2016: „Wir wollen ein neues Gebühren-Modell entwickeln, das langfristig für alle Händler und für uns attraktiv ist“, so der Gründer.
SugarTrends versteht sich allerdings nicht als klassischer Handelspartner: „Im Prinzip sind wir eine Art Universität für Einzelhändler oder Ladeninhaber“, sagt Lagerpusch. Das Startup berate seine Händler beim Einstieg in die digitale Welt und versorge sie mit passenden Dienstleistungen. Jedes Geschäft steht vor anderen Herausforderungen – das eine muss erst einmal sein Sortiment online bringen, andere wollen wissen, wie sie ihre Kunden auf sozialen Netzwerke betreuen, wieder andere brauchen Hilfe bei der Browserbedienung. Die Herausforderung für die Plattform: Sie muss all diese Händler mit ihrem unterschiedlichen Wissensstand abholen.

Mit seinem Konzept passt SugarTrends voll in die Zeit: Die „Support Your Local Dealer“-Attitüde ist derzeit en vogue. Allerdings stellt sie ein eher weiches und selten umsatzförderndes Alleinstellungsmerkmal dar. Entscheidend für das Startup sind vielmehr die einzigartigen Produkte und Händler aus aller Welt – und ein Kauferlebnis, das sich wesentlich vom Einkaufserlebnis von der Stange unterscheidet. Mitgründer Lagerpusch beschreibt die Mission des Startups so: „Wir wollen SugarTrends zum weltgrößten Netzwerk kleiner Lieblingsläden ausbauen.“ Damit SugarTrends dieses ambitionierte Ziel erreicht, müssen vor allem die angeschlossenen Händler mitziehen – und noch mehr kleine Geschäfte den Weg auf die Plattform finden.
Ein stichprobenartiger Versuch hat gezeigt, dass das Vorhaben gelingen kann: In unserer Testbestellung hat der britische Händler Guilberts Chocolates über Twitter erbetene Gratis-Geschmacksproben beigelegt. Damit hat es SugarTrends geschafft, ein Kauferlebnis aus einer klassischen Chocolaterie oder Konditorei ins Netz zu portieren: den individuellen Kundenservice, der auf Sonderwünsche eingeht. Eine Eigenschaft, die anonyme und prozessorientierte Unternehmen wie Amazon in dieser Form kaum bieten können.