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Arbeitswelt

Vielfalt zahlt sich aus: Warum die Tech-Branche sich dringend um mehr Frauen bemühen muss

Dank zahlreicher Initiativen und prominenter Fürsprecher tönt die Forderung nach mehr „Women in Tech“ immer lauter durch die digitalen Breitengrade. Zuweilen drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass die engagierten Frauen weitgehend unter sich sind. Das ist nicht nur schade, sondern dumm: Denn wer das Thema Gender Equality ignoriert, handelt verantwortungslos – aus unternehmerischer Sicht.

7 Min.
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Woman in Tech. (Foto: flammenhannes / Photocas)

Das Geschlechterverhältnis in der Technologiebranche ist bekanntermaßen alles andere als ausgeglichen. Nur 14 Prozent der Angestellten in deutschen IT- und Telekommunikationsunternehmen sind weiblich, und auch jenseits der Landesgrenzen ist das Bild nicht anders: Bei Google, Facebook und Twitter etwa sind rund 30 Prozent der Angestellten Frauen – zieht man die nichttechnischen Jobs ab, sinkt der Anteil noch einmal um fast die Hälfte.

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Die Tatsache an sich mag nicht für jeden von uns ein Problem darstellen. Was ist schlecht am Status quo, möchte man fragen – soziale Motive und Gutmenschentum einmal beiseite? Doch wer auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis pfeift, setzt einiges aufs Spiel: Einnahmen, Innovation, Talent, Image – und letztlich die Zukunft seines Unternehmens.

„Hübsch und leicht zu verstehen“: Design an der Zielgruppe vorbei

Die Unternehmensberatung McKinsey konstatierte schon 2007, dass in der weiblichen Zielgruppe eine enorme, in vielen Branchen unterschätzte Kaufkraft schlummere. Dies gelte umso mehr, als Frauen auch auf die gemeinsamen Kaufentscheidungen in Partnerschaft und Familie entscheidenden Einfluss ausübten. Der Technologiesektor bildet hier keine Ausnahme. Kombiniert mit der Losung „Kenne deine Zielgruppe“, dem Evergreen unter den Marketing-Mantras, ergibt das eigentlich eine klare Richtungsvorgabe. Und doch werden, gerade in der Tech-Branche, die Konzeption, Entwicklung und Gestaltung neuer Produkte mehrheitlich von Männern vorgenommen.

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In der Vergangenheit hat dies zu Produkten wie dem Smartphone „Palm Pre“ geführt, das den weiblichen Bedürfnissen mit einem eingebauten Handspiegel auf der Rückseite Rechnung tragen wollte. Zu einer Tastatur mit extrabreiten Tastenabständen – bequemer für die langen Fingernägel einer Frau –, oder zu Ladegeräten, die sich farblich in das Repertoire der Küchengeräte einpassen.

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Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

Erst 2013 erschien das ePad Femme, das „erste Tablet nur für Frauen“, das durch seine pinke Farbe ebenso wie durch die vorinstallierten Yoga-, Shopping- und Rezept-Apps zu punkten versuchte. Selbstbewusst vom Hersteller beworben, reagierte die anvisierte Zielgruppe in weiten Teilen irritiert bis beleidigt auf das Gadget. Manchmal ist gut gemeint eben das Gegenteil von gut.

Gut gemeintes Design für die Frau: Das 2013 vorgestellte ePad Femme versuchte, mit vorinstallierten Shopping-, Koch- und Fitness-Apps zu überzeugen.

Gut gemeintes Design für die Frau: Das 2013 vorgestellte ePad Femme versuchte, mit vorinstallierten Shopping-, Koch- und Fitness-Apps zu überzeugen.

Das soll nicht heißen, dass die speziellen Funktionen dieser Geräte von niemandem als hilfreich empfunden wurden. Und auch die Vermutung, dass sie samt und sonders durch rein männliche, ignorant-paternalistisch denkende Entwicklerteams ins Leben gerufen wurden, wäre ein Vorurteil. Denn auch wenn die Gender-Thematik dazu verführt: In beide Richtungen sollte man sich davor hüten, zu pauschalisieren.

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Warum Vielfalt Innovation begünstigt

Und genau hier liegt das Argument für Gender Equality begründet: Wer in Stereotypen denkt, erschafft Produkte für limitierte Zielgruppen – das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Vielleicht schätzen ja auch Männer Ladegeräte von unaufdringlichem Design? Und vielleicht wünschen sich Männer wie Frauen gleichermaßen, dass ihre elektronischen Gebrauchsgegenstände im Alltag intuitiv und einfach zu bedienen sind? Die Firma Apple hat das verstanden und einen unglaublichen Markterfolg erzielt, ohne sich jemals speziell an das eine oder das andere Geschlecht zu richten.

Investoren überzeugt: Ida Tin, CEO von Clue, hat bereits über eine halbe Million Euro für ihren Fruchtbarkeits-Tracker eingesammelt. (Foto: Clue)

Investoren überzeugt: Ida Tin, CEO von Clue, hat bereits über eine halbe Million Euro für ihren Fruchtbarkeits-Tracker eingesammelt. (Foto: Clue)

Die Differenzierung, die für intelligentes Produktdesign notwendig ist, gelingt in heterogenen Teams besser: Unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Ansprüche fließen von Beginn an unmittelbar in den Entwicklungsprozess ein. Dass das Innovationspotenzial in gemischten Teams steigt, hat die London Business School in einer Studie nachgewiesen: Dieses hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Teammitglieder sich in der Gruppe wohlfühlen, wie risiko- und experimentierfreudig sie sind und wie effizient sie arbeiten. Alle drei Faktoren waren in Teams mit einem Geschlechterverhältnis von je 50 Prozent Frauen und Männern am ehesten gegeben.

Woman in Tech: Produkte, an die kein Mann je gedacht hätte

Über Design und Usability hinaus stoßen Frauen die Entwicklung ganz neuer Software und Apps an, die ihren Alltag erleichtern. So etwa im Falle der Wahl-Berlinerin Ida Tin: Sie hat mit „Clue“ eine Fruchtbarkeits-App entwickelt, mit der die Nutzerinnen ihren Zyklus beobachten, Stimmungsschwankungen erklären und ihre fruchtbaren Tage im Monat bestimmen können. Für Tin steht das Beobachten des eigenen Körpers in einer uralten Tradition. Das zeige auch die aktuelle Popularität des Quantified-Self-Movements, erklärt sie. Viele Frauen, mit denen sie gesprochen hat, fühlen sich aber durch das Leistungs- und Wettkampfelement in den meisten Quantified-Self-Apps nicht angesprochen. Bei Clue geht es darum, den eigenen Körper besser zu verstehen und dadurch mehr Wohlbefinden zu erlangen.

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Auch wenn Ida Tin es als Herausforderung beschreibt, überwiegend männlich besetzten Investorenboards begreifbar zu machen, worin der Nutzwert ihrer App liegt, hat sie bereits mehrere Geldgeber von ihrer Geschäftsidee überzeugt. Bei Frauen kommt der in klarem, erwachsenen Design gehaltene Alltagshelfer ohnehin gut an: 180 Länder umfasst der Kreis der Nutzerinnen mittlerweile – Marktpotenziale, die Ida Tin mit Clue ganz neu eröffnet hat.

Der Preis homogener Entwicklungsprozesse

Das Gegenteil von Diversität ist Uniformität. Und eine Ahnung davon, was schief gehen kann, wenn Entwicklungsprozesse von allzu homogenen Teams durchgeführt werden, vermittelt die Forscherin Danah Boyd in ihrem Artikel „Is the Oculus Rift sexist?“. Ausgehend von der Beobachtung, dass Frauen weitaus häufiger in 3D-Simulatoren übel wurde als Männern, untersuchte Boyd die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der räumlichen Wahrnehmung und verglich sie mit den Konstruktionsparametern der virtuellen Welten.

Ihre Tests legten nahe, dass die Geschlechter die verschiedenen Prozesse der Tiefenwahrnehmung in unterschiedlicher Häufigkeit verwenden: Während Männer vor allem anhand der Bewegungsparallaxe die Position eines Objekts im Raum bestimmen – also anhand der sich verändernden Größe, wenn man sich nähert – verlässt das weibliche Gehirn sich häufiger auf den Shape-From-Shading-Effekt, bei dem das Verhältnis des Objekts zum Raum durch die Schattierungen bestimmt wird. 3D-Simulatoren folgen dem Prinzip der Bewegungsparallaxe – kein Wunder also, dass sie bei weiblichen Gehirnen häufiger für Desorientierung sorgen.

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Danah Boyd versteht ihre Beschreibung nicht als abschließend, sondern als Hinweis darauf, dass hier weiter geforscht werden muss. Dennoch bleibt schon jetzt ein Nachgeschmack zurück: Wie ärgerlich für den Hersteller, eine signifikante Gruppe an Konsumenten unwissentlich schon durch das Produktdesign verloren zu haben. Und den Sprung in den Massenmarkt per se nicht schaffen zu können, weil das Produkt gar nicht massenkompatibel ist.

Bevorzugt die 3D-Brille Oculus Rift per Design das männliche Gehirn? Die Forscherin Danah Boyd hat diese Frage aufgeworfen. (Foto: Sergey Galyonkin, Fickr)

Bevorzugt die 3D-Brille Oculus Rift per Design das männliche Gehirn? Die Forscherin Danah Boyd hat diese Frage aufgeworfen. (Foto: Sergey Galyonkin, Fickr)

Sorge um die Fachkräfte von morgen

Beim Startup Etsy, einer E-Commerce-Plattform für handgefertigte Möbel, Kleidung und Schmuck, sah die Situation längst nicht so desolat aus, als CTO Kellan Elliott-McCrea 2011 begann, sich für mehr Frauen in seinem Entwicklerteam einzusetzen. Und doch hing auch sein Antrieb mit der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zusammen. Denn ein Blick auf die zukünftigen Abschlussklassen der IT-Studiengänge in Harvard und Co. hatte ihm klar gemacht: Wenn du auch in drei bis fünf Jahren noch hochqualifizierte Entwickler einstellen willst, musst du ein Klima schaffen, in dem sich auch weibliche Absolventen wohlfühlen.

Auch in Deutschland erlangt dieses Argument zunehmend Gewicht. Denn auch wenn der Frauenanteil in IT-Studiengängen hierzulande insgesamt deutlich niedriger ist als an amerikanischen Ivy-League-Universitäten: Bereits jetzt sind über ein Fünftel aller Studierenden im Fach Informatik weiblich, Tendenz steigend.

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Der Vergleich der Studienanfänger von 1975-2012 zeigt: Immer mehr Informatik-Studenten sind weiblich. (Grafik: Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit 2013)

Der Vergleich der Studienanfänger von 1975-2012 zeigt: Immer mehr Informatik-Studenten sind weiblich. (Grafik: Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit 2013)

Bei Etsy stand Ende 2011 einer überwiegend weiblichen Nutzerschaft ein 100-köpfiges Entwickler-Team gegenüber – davon 97 Männer. Für Elliott-McCrea war das ein unhaltbarer Zustand: Auf der einen Seite die hochbezahlten Techniker, auf der anderen die weitaus weniger verdienenden Frauen in Marketing und Support – welches Image wollte das Startup in den Augen seiner Nutzer einnehmen?

Weibliche Programmier und die Image-Frage

Zusammen mit Marc Hedlund, dem damaligen Head of Programming bei Etsy, krempelte Elliott-McCrea die Recruiting-Prozesse des Unternehmens auf links. Oberste Prämisse dabei: Keine Abweichung von den hohen Einstellungsstandards des Unternehmens. Durch verstärkte Anstrengungen bei der Suche nach hoch qualifizierten Programmiererinnen, neue Interview- und Probearbeitsprozesse und ein ganz öffentliches Bemühen um eine inklusive Unternehmenskultur gelang es, die Quote weiblicher Programmierer innerhalb eines Jahres von drei auf 15 Prozent zu steigern.

In den Augen von Elliott-McCrea profitiert von dieser Entwicklung nicht nur das Image von Etsy, sondern auch die Plattform selbst: Nicht etwa, weil weibliche Programmierer aufgrund ihrer Chromosome – also quasi von Natur aus – einen „Draht“ zum Produkt von Etsy besäßen. Vielmehr trügen ähnliche Perspektiven und Erfahrungen, so Elliott-McCrea, dazu bei, die Plattform im Sinne der Nutzerinnen zu gestalten und zu optimieren.

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Qualität und Performance

Und nicht nur die Plattform – oder anders gesagt: das Produkt –eines Unternehmens profitiert von gemischten Teams. Unternehmen mit einer oder mehreren Frauen in Führungspositionen performen in Bezug auf den Return on Equity, das EBIT und die preisliche Entwicklung der Unternehmensaktien signifikant besser.

Im Gegensatz zu weiteren Diversitätsfaktoren wie Internationalität, Alter oder Berufserfahrung bleibt die positive Korrelation zwischen Frauen im Management und Unternehmenserfolg über die verschiedensten Branchen und Strukturen hinweg bestehen. Warum ist das so? Immer wieder wird auf das Einfühlungsvermögen verwiesen, das der Ellenbogenmentalität der Männer überlegen sei. Dieses Pauschalurteil haben Forscher der London Business School allerdings schon 2007 zurückgewiesen.

Mehr Programmiererinnen bei Etsy: Damit das Startup auch in Zukunft gut aufgestellt ist, bemüht CTO Kellan Elliott-McCrea sich besonders um Frauen. (Foto: Etsy)

Mehr Programmiererinnen bei Etsy: Damit das Startup auch in Zukunft gut aufgestellt ist, bemüht CTO Kellan Elliott-McCrea sich besonders um Frauen. (Foto: Etsy)

Davon abgesehen: Ist das „Warum“ denn überhaupt wichtig? Liegt in den genannten Beobachtungen nicht Handlungsanreiz genug? Wir alle sollten uns mit dem Thema Gender Equality auseinanderzusetzen.

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Insomnia88

„Wir alle sollten uns mit dem Thema Gender Equality auseinanderzusetzen“

Wohl eher, wir sollten den HR bzw. den für eine Einstellung verantwortliche Personen das Thema näher bringen. Ich als einfacher Entwickler habe da garnix zu sagen, da kann ich auch ’n „gender equality guru“ sein. Das übliche Problem :P

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