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Interview
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Transformationsforscher im Interview: Ist das noch Kapitalismus, Harald Welzer?

Der Soziologe und Publizist Harald Welzer fordert, dass die Digitalisierung noch viel stärker von Menschen gesteuert werden muss – sonst drohe ein entfesselter Kapitalismus, der die Gesellschaft weiter spalte. Dafür müssten wir allerdings die ­Vorzüge wirtschaftlichen Wachstums grundlegend überdenken.

Von Luca Caracciolo
11 Min. Lesezeit
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(Foto: Ole Witt)

Er mischt sich ein, nimmt kein Blatt vor dem Mund und hat zuletzt fast im Jahresrhythmus neue Bücher geschrieben: Der ­Soziologe Harald Welzer gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen Deutschlands. Seine Publikationen sind in 21 Ländern erschienen. Er ist immer wieder zu Gast in Radio und Fernsehen und sorgt für lebhafte Diskussionen: Warum sollte die Zukunft der Stadt nicht autofrei sein? Wann führen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen ein? Warum brauchen wir eine grundlegende Transformation der Wirtschaft?

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Der 1958 geborene Publizist ist Direktor von Futurzwei – ­Stiftung Zukunftsfähigkeit, die vierteljährlich das gleichnamige Magazin he­rausgibt. Er ist Professor für Transformationsdesign an der ­Universität Flensburg sowie an der Universität St. Gallen. In seinem neuesten Buch „Alles könnte anders sein“ entwirft er im Sinne einer „­modularen Utopie“ Zukunftsideen für konkrete Bereiche wie Arbeit, Soziales, Mobilität oder Migration. Denn statt nur zu kritisieren und untätig auf den vermeintlichen großen Umbruch zu warten, lasse sich die moderne Gesellschaft auch heute schon weiterentwickeln: im Kleinen, auf Basis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Digitalisierung ist für ­Welzer dabei Mittel zum Zweck und nicht umgekehrt – ein Anspruch, den er auch im Alltag konsequent umsetzt.

t3n: Herr Welzer, es war nicht leicht, Sie für ein Interview zu gewinnen. Ich musste einen Brief schreiben.

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Harald Welzer: Einen Brief?

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t3n: Ja.

Einen postalischen?

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t3n: Ja! Erst dann haben Sie zugesagt.

Um ehrlich zu sein, wahrscheinlich habe ich ihn gelesen, aber ich kann mich an solche Vorgänge nicht gut erinnern.

t3n: Warum verweigern Sie sich neuen Kommunikationstechnologien?

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Tu ich doch gar nicht!

„Ich halte nichts davon, Technologien zu ­überschätzen, nur weil es eine fantastische Reklame dafür gibt.“

t3n: Sie haben kein Smartphone.

Ich habe ein einfaches Handy.

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t3n: Klappt das gut?

Naja, also ich wüsste nicht, warum es nicht klappen sollte. Ich verstehe eigentlich die Frage nicht.

t3n: Sie nutzen auch keine sozialen Netzwerke.

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Nein. Warum sollte ich?

t3n: Um auf Dinge aufmerksam zu machen, um mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Naja, so wie Sie fragen, zeigt sich ja schon, dass es im Grunde genommen als normal unterstellt wird, technische Angebote anzunehmen, nur weil sie existieren. Das ist nicht meine Haltung.

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t3n: Sondern?

Ich finde, man muss darüber befinden, was man sinnvollerweise für sein Geschäft, sein Leben, seine Gesellschaft einsetzen sollte und was vielleicht nicht. Das lass ich mir doch nicht durch die Technik vorgeben.

t3n: Die Proteste der jungen Generation – etwa gegen die Urheber­rechtsreform der EU – zeigen aber, dass Technik auch neue soziale Räume erzeugen kann. Sehen Sie das nicht so?

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Zweifellos. Wir können gerne über „Fridays for Future“ sprechen oder andere Formen des Protestes, auch in außereuropäischen Ländern, die sich natürlich über neue Medien organisieren. Ich bin ja kein Technikfeind und Maschinenstürmer. Ich würde immer nur die ­Frage stellen, wofür können wir das gebrauchen? Und bei den Freitagsprotesten erleben wir ja gerade etwas wahnsinnig Interessantes: dass diejenigen, die angegriffen werden, überhaupt nicht verstehen, wo­rum es geht.

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t3n: Inwiefern?

Die Reaktionen aus der Politik zu den Protesten zeigen das. Wenn man auf die Idee kommt, einer 16-Jährigen zu sagen: „Aber denk doch bitte auch an die Arbeitsplätze in der Lausitz“, dann hat man nichts verstanden. Und es geht so weit, dass auch diese neuen kommunikativen Räume im Netz, von denen Sie sprechen, überhaupt nicht begriffen werden. Das ist ja wirklich ein Generationsbruch, und die Älteren verstehen weder, worüber die Jüngeren reden, noch, wie sie darüber reden. Ich glaube, genau weil der Gap so riesengroß ist, ist ein Wahnsinnspotenzial in der Geschichte drin.

t3n: In Ihren älteren Büchern wie zum Beispiel „Die smarte Diktatur“ wirken Sie bezüglich neuer Technologien eher kritisch, um nicht zu sagen: feindlich. Haben Sie heute eine andere Haltung entwickelt?

Nein! Das ist immer dieselbe gewesen. Im Übrigen kann ich, im Unterschied zu den meisten Digital Natives, auch pro­gram­mieren.

t3n: Ernsthaft?

Ich habe es vor ungefähr 40 Jahren gelernt und viel damit ­gearbeitet. Vielleicht bin ich auch deshalb so empfindlich. Ich ­halte nichts davon, Technologien zu überschätzen, nur weil es eine fantastische Reklame dafür gibt.

t3n: Die großen technologischen Entwicklungen der ver­gangenen Jahrzehnte hängen mit unserer von Wachstum geprägten Wirtschaft zusammen. Allerdings müssen wir angesichts des Klimawandels ihren enormen Ressourcenverbrauch überdenken. Was genau ist schlecht am Wachstum? Er hat ja in den vergangenen 200 Jahren auch sehr viel Wohlstand erzeugt.

Der wachstumswirtschaftliche Kapitalismus hat für weite Teile der Bevölkerung unglaubliche Fortschritte erzielt, das stimmt. Und zwar nicht nur im materiellen Sinne, sondern auch in gesellschaftlicher Perspektive: Menschen können zur Schule ­gehen, sie sind sozial abgesichert und es gibt eine demokratische rechtsstaatliche Ordnung. Wir leben in der vielleicht besten aller ­Gesellschaften, die es in der Geschichte jemals gegeben hat. Das Problem ist halt nur, dass diese Form des Wirtschaftens nicht zukunftsfähig ist, weil sie ihre eigenen Voraussetzungen konsumiert. Und das ist die große Fragestellung des 21. Jahrhunderts: Ist es möglich, diese Form des Wirtschaftens auf ein natur­versöhntes Prinzip umzustellen?

t3n: Was glauben Sie?

Wenn ich es nicht glauben würde, dann könnten wir ja ein­packen.

t3n: Aber wie soll Kapitalismus ohne Wachstum ­funktionieren?

Um das zu beantworten, muss man erstmal die richtigen Fragen stellen. Ein großes Problem dabei ist allerdings, dass die Wirtschaftswissenschaften ein halbes Jahrhundert lang ein weit­gehender Ausfall gewesen sind. Und zwar deswegen, weil sie gesellschaftliche ­Prozesse nur bestätigend begleitet haben, was recht gut funktioniert hat –, bis die Weltfinanzkrise kam, in der die Ökonomen nichts mehr zu sagen hatten.

Harald Welzer hat eine ziemlich klare Vorstellung von der Zukunft der Stadt: Sie ist fast autofrei und bietet einen kostenfreien Nah­verkehr. Vorbild ist die spanische Stadt Pontevedra. (Foto: Ole Witt)

Harald Welzer hat eine ziemlich klare Vorstellung von der Zukunft der Stadt: Sie ist fast autofrei und bietet einen kostenfreien Nah­verkehr. Vorbild ist die spanische Stadt Pontevedra. (Foto: Ole Witt)

t3n: Und was genau wären die „richtigen“ Fragen?

Naja, genau diese: Gibt es einen Kapitalismus nach dem Wachstum? Ist es ein systemisches Erfordernis, dass ständig Wachstum produziert wird oder ist es nicht so? Gibt es auch Steady State Economy nach kapitalistischen Prinzipien? Also eine Vision der Wirtschaft, die auf einem bestimmten Niveau physisch nicht mehr wächst, sondern sich auf Basis eines nachhaltigen Konsumniveaus inklusive Privateigentums und Mehrwertgenerierung weiterentwickelt? Das weiß kein Mensch!

t3n: Was wäre wichtig für einen ökologisch aufgeklärten ­Kapitalismus?

Zum Beispiel müssten die Preise den Ressourcenverbrauch berücksichtigen. Internalisierte Preise wären ein Game ­Changer. Es würden sich plötzlich ganz unterschiedliche Parameter des wirtschaftlichen Handelns ändern: So wäre es etwa nicht mehr ­billiger, 10.000 Kilometer entfernt produzieren zu lassen, ­sondern vor Ort. Was dann sehr viele Folgen für die Umwelt hätte, verminderte Emissionen und anderes.

t3n: Eine solche Maßnahme erfordert ein ziemlich radikales Umdenken in breiten Teilen der Bevölkerung. Wie soll das gelingen?

Erst einmal wäre es sinnvoll, grundsätzlich über diese Wachstums­religion zu sprechen und darüber nachzudenken, ob die ­Segnungen, die angeblich vom Wachstum kommen, ­empirisch gedeckt sind. Zwei Beispiele: Wir hatten in vor­modernen Gesellschaften eine Größenordnung von 0,005 Prozent Wachstum, die eigentlich nur auf das Bevölkerungswachstum ­zurückging. Gleichzeitig sind erhebliche Fortschritte in solchen ­Gesellschaften gemacht worden, denken Sie etwa an Kunst: Die bildende Kunst im 16. Jahrhundert, das goldene Zeitalter, niederländische ­Malerei, die bis heute unerreicht ist. Oder ­Literatur, Aufklärung, Philosophie. Es ist ja höchst interessant, dass diese Entwicklungen in Gesellschaften möglich waren, die ökonomisch nicht gewachsen sind.

t3n: Und Ihr zweites Beispiel?

Wenn Sie über viele Jahre hinweg, wie jetzt beispielsweise in Deutschland, eine Steigerung der Staatsverschuldung von circa zwei bis drei Prozent und ein Wachstum von ungefähr zwei bis drei Prozent pro Jahr haben, was will uns das eigentlich sagen? Und es gibt ja auch enorme Subventionen, um überhaupt Wachstum zu generieren. Aber ergibt das unterm Strich in irgendeiner Weise Sinn? Wir haben in solch einer Konstruktion immer einen erhöhten Stoffwechsel. Und ein erhöhter Stoffumsatz pro Prozent Wirtschaftswachstum bedeutet einen äquivalent gesteigerten Verbrauch, was zu gesteigerter Zerstörung führt.

t3n: Müssen wir den Wachstumsbegriff umdeuten?

Die Sache sieht jedenfalls schon völlig anders aus, wenn wir statt Wachstum „gesteigerter Verbrauch“ sagen. Stellen Sie sich vor, in den Abschlusserklärungen nach G20-Gipfeln oder den Regierungs­erklärungen, in denen ja oft steht, „Uns ist es gelungen, Wachstum zu sichern“, dort stünde nun: „Uns ist es gelungen, gesteigerten Verbrauch zu sichern.“ Das ist nicht so sexy.

t3n: Was könnte Technologie in einem ökologisch aufgeklärten Kapitalismus leisten?

Digitale Technologien können Prozesse sehr ökonomisieren – zum Beispiel das Ersetzen des Individualverkehrs durch öffentlichen Verkehr, der dann perfekt durch digitale Technologien ­orchestriert wird. Und natürlich auch in vielen anderen Bereichen, in denen Effekte von Automatisierung und Effizienz­steigerung erzielt werden, und damit theoretisch der Energieaufwand sinkt. Das ist alles sehr sinnvoll, nur sind wir im Moment ja auf einem ganz anderen Trip unterwegs.

t3n: Was für einen anderen Trip meinen Sie?

Fast alle digitalen Anwendungen folgen Marktlogiken, die zu immer höherem Ressourcenverbrauch führen. Das sehen wir an der wirklich eklatanten Energieproblematik durch ebendiese Anwendungen – ein völlig ungelöstes Problem.

t3n: Haben Sie ein Beispiel?

Der unterstellte Automatismus etwa, dass eine Smart City oder ein E-Auto energieeffizienter seien, stimmt ja in vielerlei Hinsicht nicht. Wir müssen die Betrachtung umdrehen und nicht von der Technikseite denken, was wir jetzt mit ihr anfangen, nur weil sie da ist, sondern von der Gesellschaft aus. Schließlich sind in der Demokratie wir selbst diejenigen, die den Technikgebrauch bestimmen. Technologie ist ja wie ein Hammer. Ich kann mir auch bei einem Hammer gut überlegen, welchen Gebrauch ich von ihm mache. Den kann ich extrem sinnvoll einsetzen, ich kann aber auch jemandem den Schädel damit einschlagen.

t3n: Also sollten wir erst den gesellschaftlichen Diskurs über eine neue Technik führen, bevor wir sie entsprechend einsetzen und regulieren? Das funktioniert in der Realität aber meistens nicht.

Na, das ist ja das Problem!

t3n: Neue Technologien – vor allem im Consumer-Bereich – entstehen in den USA oder in China in sehr hoher Geschwindigkeit. Die regulativen Kräfte kommen da kaum hinterher.

Das stimmt. Der globale Markt ist momentan dereguliert, ich kann mit meinen digitalen Anwendungen machen, was ich will. Es gibt kein internationales Recht für digitale Anwendungen, genauso wenig, wie es ein internationales Umweltrecht gibt oder eines für Arbeitsrecht. Jetzt könnte man entspannt sein und sich sagen, dass die Manchester-­Kapitalisten in der Frühphase des Kapitalismus auch machen konnten, was sie wollten. Und dann hat es 30 bis 40 Jahre gedauert, bis man begonnen hat, Regulierungen einzuziehen. Vielleicht haben wir es im Moment mit einem ähnlichen Vorgang zu tun.

t3n: Gleichzeitig stellt sich aus globaler Perspektive eine völlig neue ­Situation dar.

Es ist aktuell sogar ein doppelter Prozess. Einerseits gibt es die technologischen Entwicklungen und entsprechende Monopol­bildungen. Die Leute im Silicon Valley sind ja einfach sehr gut in dem, was sie machen. Andererseits haben wir es mit der Globalisierung zu tun. Und die führt zeitgleich sowohl zu einer Ent­machtung von Gesellschaften – in Form bröckelnder gesellschaftlicher Institutionen wie zum Beispiel Gewerkschaften – als auch zu einer Ermächtigung von Kapitalisten im marxistischen Sinne. Wir haben also eine unfassbare Konzentration von Kapital auf der einen Seite, eine Entmachtung der Hälfte der Welt­bevölkerung auf der anderen.

t3n: Wenn wir uns diese Machtkonzentration und die damit zusammenhängenden globalen Ungleichheitsverhältnisse anschauen: Ist das überhaupt noch Kapitalismus?

Diese Frage lässt sich in der Tat stellen. Denn die Geschichte des Kapitalismus zeigt ja, dass im Laufe der Zeit etwas entstanden ist, was für die Gesellschaftsentwicklung sehr produktiv gewesen ist, nämlich ein beständiges Aushandeln zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Es kam zu sozialen Kämpfen um Arbeitszeit oder um Gesundheitsschutz. Und diese sozialen Kämpfe haben dazu geführt, dass Kapitalismus sich verpflichtet fühlen musste, und sich dadurch die Gesellschaft beständig modernisiert hat. Diese Balance ist aber nicht mehr gegeben.

t3n: Wenn es heute aber kein Kapitalismus mehr ist, was ist es dann?

Vielleicht ist es eher Neofeudalismus: eine unglaubliche Akkumula­tion von Kapital und Macht wie früher bei den Großgrund­besitzern und Lehnsherren. Und diese Ressourcen werden so weit ausgebeutet, wie es irgendwie geht, ohne dass es Organisationen gäbe, die dem Einhalt gebieten könnten. Das ist eigentlich feudalistisch, nur mit wesentlich mehr Power. Als hätte ich jetzt als Großgrundbesitzer nicht nur ein paar, sondern ein paar Hundert Leibeigene.

t3n: Also muss die Politik einschreiten, um eine weitere ­Spaltung zu verhindern?

Politik ist in dieser Welt doch entmachtet.

t3n: Aber wo sind dann die Akteure, die etwas verändern ­können?

Es gibt jede Menge Akteure. Es gibt die indigenen Völker, die versuchen, zu protestieren. Es gibt klassische NGO, die versuchen, zu intervenieren. Es gibt noch eine ganze Kollektion von Rechtsstaaten, die versuchen, den zivilisatorischen Prozess fortzusetzen und Dinge zu verrechtlichen, die bislang nicht Gegenstand von Regeln sind. Es gibt Jugendproteste. Es gibt antitotalitären Protest wie in Singapur oder Hongkong.

t3n: Also nehmen Sie die Zivilgesellschaft in die Pflicht?

Etwas anderes haben wir momentan nicht. Außer das Recht, das natürlich eine ganz starke Institution ist, zumindest dort, wo es anwendbar ist. Aber es gibt eben Failed States, rechtsfreie Räume und, wie gesagt, einen Mangel an internationaler Gerichtsbarkeit.

t3n: Trotz dieser großen Herausforderungen blicken Sie in ­Ihrem neuesten Buch ziemlich positiv in die Zukunft. ­Warum eigentlich?

Weil ich glaube, dass wir die Handlungsspielräume, die wir haben, auch nutzen sollten, um die Weiterentwicklung der ­Moderne anzugehen. Ich mache mir keine Illusionen, dass ich damit die Chinesen überzeuge, von ihrem Gesellschaftsmodell abzurücken, oder Donald Trump zu einem besseren Menschen mache. Aber wir haben doch fantastische Möglichkeiten, in einer der reichsten Gesellschaften der Erde, die freiheitlich organisiert ist, Dinge zu verändern. Ob das dann „die Welt rettet“, steht auf einem völlig anderen Blatt. Aber wir sind ja nicht auf die Welt gekommen mit dem Auftrag, die Welt zu retten. Wir sind ja nicht Jesus. Man muss nur das tun, was man zu einer gegebenen Zeit auch tun kann. Das aber ist das moralische Minimum.

t3n: Dann lassen Sie uns zum Abschluss nochmal konkret werden und über nachhaltige Utopien diskutieren: Wie sieht für Sie zum Beispiel die Stadt der Zukunft aus?

Die ist zuallererst autofrei. Bisher hieß es ja immer, dass die individuelle Mobilität den Stadtbewohnern Komfortvorteile bringt. Das ist heute nicht mehr der Fall, denn sie stehen ständig im Stau, werden das Auto nicht los. Es gibt Flächenprobleme und zu wenig Parkraum. Das ist die perfekte Argumentation für den öffentlichen Nahverkehr. Mithilfe der Digitalisierung können wir ihn viel besser organisieren und individualisieren, als es jemals zuvor der Fall gewesen ist. Wie es allerdings nicht funktioniert, sieht man momentan an den bescheuerten E-Rollern: Das Chaos nimmt zu, wenn ich in der Konstellation ansonsten nichts verändere, sondern nur noch ein Feature hinzuaddiere.

t3n: Gibt es eine Referenz für Ihre autofreie Stadtutopie?

Pontevedra, eine 70.000-Einwohner-Stadt in Spanien, hat das ­realisiert. Die haben die Autos aus der Stadt rausgeschmissen und einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr organisiert. Wenn ich als Tourist dahin komme, kann ich umsonst in die Stadt reinfahren. Wunderbar, oder?

t3n: Und das soll in einer Großstadt wie Berlin funktionieren?

Warum denn nicht? Wenn es keine Autos gäbe, wären Sie mit dem Bus von hier aus in zwei Minuten am Hauptbahnhof. Kranken­wagen, Feuerwehr und Polizeiwagen könnten eine Ausnahme sein. Aber so simpel kann es gehen, das ist doch an ganz vielen Stellen mit Händen zu greifen und auch so zeit­gemäß. Die ganze Zeit wird rauf und runter von Innovation und ­Technologieführerschaft geredet. Warum sollte es denn nicht eine Technologie­führerschaft für den öffentlichen Nahverkehr geben?

t3n: Herr Welzer, vielen Dank fürs Gespräch.

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.jke

„nutzt keine sozialen Netzwerke“ – ja, muss man nicht mögen und auch nicht nutzen müssen. Allerdings frage ich mich dann, ob eine jugendliche Person mit Tiktok & Co nicht besser die Zukunft deuten kann als ein älterer Mensch, der diese neue Zwischenwelt partout ausblendet.

Antworten
Jeff Jurugu

Ja, dann nennen Sie mir doch mal die jugendliche Person, die das mit TikTok besser könnte. Sie blenden völlig aus, dass zur Analyse und sachgerechten Beurteilung einer komplexen Situation nicht TikTok und Co. ausreichen sondern ein entsprechendes Bildungsniveau erreicht werden muss und das erwirbt man nicht durch TikTok. „Ausblenden“ ist etwas ganz anderes als „nicht nutzen wollen“.

Antworten
Jeff Jurugu

Ja, dann nennen Sie mir doch mal die jugendliche Person, die das mit TikTok besser könnte. Sie blenden völlig aus, dass zur Analyse und sachgerechten Beurteilung einer komplexen Situation nicht TikTok und Co. ausreichen sondern ein entsprechendes Bildungsniveau erreicht werden muss und das erwirbt man nicht durch TikTok. „Ausblenden“ ist etwas ganz anderes als „nicht nutzen wollen“.

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