TV-Revolution aus dem Web
Video hat den Radiostar getötet, das Internet vielleicht bald die „Sportschau“. Das ist das Szenario, vor dem die ARD seit Mitte Juni steht. Die Deutsche Fußball-Liga bekam nämlich vom Kartellamt die Genehmigung, beim Verkauf der Bundesliga-Übertragungsrechte das Web-Geschäft gleichwertig einzubeziehen. Konkret bedeutet das, dass es die Zusammenfassung der Samstags-Spiele künftig zuerst (ab 19 Uhr) im Internet zu sehen geben könnte und erst um 21.45 Uhr via Sportschau in der ARD.
Kartellamt im Internet-Zeitalter
Damit ist das Kartellamt (endlich) im Internet-Zeitalter angekommen. Mit dieser Entscheidung hat die Behörde das Medium Fernsehen mit dem Internet gleichgesetzt. Vor vier Jahren sah man das noch anders: Die „Lex Sportschau“ diktierte, dass Bundesliga-Fußball vor 20 Uhr im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen sein muss. Auch wenn das neue Internet-Modell wahrscheinlich nur dazu dient, mehr Geld bei den Verhandlungen mit der ARD rauszuholen, so zeigt es doch, wie sich die Zeiten ändern.
Wohin der Weg geht, zeigt auch das Beispiel Spanien: Die Spiele der „Primera División“ gibt es seit zwei Jahren live und kostenlos (auch in Deutschland) im Internet zu sehen. Offenbar haben die Verantwortlichen der wertvollsten Liga der Welt erkannt, dass man das Web-Geschäft nicht einfach der halb- bis illegalen Konkurrenz überlassen will – denn lange muss man nicht suchen, um einen „geborgten“ Fußball-Live-Stream zu finden. Da ist es zweifellos besser, dass die Kunden die eigene Online-Werbung sehen als jene von dubiosen Anbietern aus China oder Russland.
Web sehen statt wegsehen
Die bereits länger heraufbeschworene Veränderung der Fernsehgewohnheiten wird nun ganz langsam Realität: Eine aktuelle Studie des Branchenverbandes Bitkom besagt, dass heute 31 Prozent der Deutschen zum Fernsehen auch (allerdings nicht ausschließlich) ihren Desktop-PC nutzen, und 28 Prozent ein Notebook. Dazu kommen etwa zehn Prozent, die auf mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets Web-TV konsumieren. Allerdings sind diese Werte mit Vorsicht zu genießen, da man sich die Frage stellen muss, ob ein zehn Sekunden langes Katzenvideo auf YouTube tatsächlich schon als Fernsehen gilt.
So vielversprechend die Zahlen auch klingen mögen: Für übertriebenen Optimismus besteht kein Grund. In der deutschen Ecke des Internets tut man sich nach wie vor etwas schwer, mit dem Medium Video Geld zu verdienen. Ein Beispiel ist das Telekom-Portal 3min.de, das vor kurzem dicht machen musste. Die dort angebotenen professionell produzierten Webserien fanden nicht genug Publikum – für eine durch Werbung finanzierte Seite das Todesurteil.
Die großen Player im TV-Geschäft, also die Öffentlich-Rechtlichen sowie ProSiebenSat.1, RTL und mit Abstrichen auch Sky, kochen allesamt ihr eigenes Süppchen. ARD und ZDF haben ihre Mediatheken, die Privaten ihre überwiegend kostenpflichtigen Dienste. Die meisten Serien gibt es dort für eine Woche kostenlos, dafür aber mit Werbeunterbrechung, zu sehen. Für ältere Folgen wird dagegen ein geringer Betrag (ein oder zwei Euro) pro Episode fällig.
Das große Vorbild
Nicht viel anders (aber doch) macht es das US-Portal hulu.com, das derzeit als absoluter Trendsetter im Internet-TV-Geschäft gilt. Hulu.com ist ein Joint Venture dreier Schwergewichte des US-Fernsehens: NBCUniversal, ABC/Disney und Rupert Murdochs Fox Broadcasting Company. Von den vier großen Networks fehlt nur CBS, dafür haben sich etliche kleine US-Sender drangehängt, darunter MTV, FX, Syfy und G4.
Die Video-Plattform konzentriert sich vor allem auf TV-Content wie Serien, Comedy, Talksshows und Reality-Sendungen. Die aktuellsten Episoden sind stets gratis und von Werbung unterbrochen. Auf das (umfangreiche) Archiv kann aber nur gegen eine Monatsgebühr zugegriffen werden. Die Videos sind zwar auch dann nicht werbefrei, dafür kostet das Hulu-Plus-Abo nur acht US-Dollar (keine sechs Euro) im Monat. Der große Vorteil einer gemeinsamen Plattform der Sender: Der User bekommt an einer zentralen Stelle praktisch das gesamte Fernseh-Angebot, on demand, vielfach in HD und gleich auf mehreren Plattformen.
Hulu hat damit auch bewiesen, dass sich werbefinanzierter Content im Internet sehr wohl rechnet, der Umsatz betrug im Jahr 2010 rund 180 Millionen US-Dollar. So ein Erfolg entgeht den TV-Machern auf der ganzen Welt natürlich nicht, weshalb Hulu zum großen Vorbild geworden ist – auch in Deutschland. Die großen beiden Privatsender-Ketten RTL und ProSiebenSat.1 planten lange ein „deutsches Hulu“ – bis das Kartellamt im März dieses Jahres „Njet“ sagte. Die Wettbewerbshüter sahen in der Video-Plattform die Gefahr, dass das „marktbeherrschende Duopol“ der beiden Konzerne auf dem Markt der deutschen Fernsehwerbung zu sehr gestärkt würde.
Flat ist Trumpf
Dass der Internet-Markt seine großen Eigenheiten hat, übersieht das Kartellamt aber offenbar. Im Web gedeihen nämlich vor allem illegale Angebote wie das jüngst geschlossene kino.to. Unabhängig von der Problematik der Urheberrechtsverstöße war das Portal vor allem auch deshalb so erfolgreich, weil es für viele bequem war. Mit wenigen Klicks fand man dort seine Lieblings-TV-Sendung. Würde eine ähnlich unkomplizierte und vor allem legale Alternative existieren, dann stiege so mancher nur zu gerne um.
Eine zweite Erfolgsgeschichte „made in USA“ ist Netflix. Das Unternehmen ist zwar „nur“ eine ganz normale Online-Videothek (auch mit Datenträger-Versand per Post), wie es sie hierzulande selbstverständlich auch gibt, der Unterschied ist, wie schon bei Hulu, das All-Inclusive-Abomodell: Ein Netflix-User zahlt pauschal acht US-Dollar im Monat und kann sich online so viele Videos angucken, wie er möchte. Auf der größten deutschen Streaming-Videothek Maxdome.de kostet dagegen das Ausleihen eines Filmes (für 48 Stunden) bis zu vier Euro.
Netflix hat auf diese Weise über 16 Millionen Kunden gewonnen und blickt auf jährliche Wachstumsraten von etwa 50 Prozent. Der Aufstieg der Online-Videothek hat auch einen weiteren Grund: Netflix drängt auf jede technische Plattform, die sich bietet und vergrößert so konsequent die Reichweite. Dazu zählen die gängigen Spielkonsolen, Set-Top-Boxen, etliche Blu-ray-Player sowie Smartphones und Tablets. In den USA ist Netflix eine Macht. Kein Hersteller vernetzter CE-Geräte kann es sich umgekehrt erlauben, in einer Neuentwicklung keinen Zugang zu dieser Online-Videothek zu integrieren. Das gilt auch für die Rechteinhaber: Kaum ein großes Film- oder Fernsehstudio fehlt auf Netflix.
Gordischer Knoten sucht Alexander
Ein europäisches Pendant ist derweil nicht in Sicht. Das hat vor allem mit der besonderen medialen, sprachlichen und rechtlichen Situation zu tun. Während der US-Markt durch und durch homogen ist, herrscht in der EU ein kompliziertes Rechtegeflecht. Film- und Fernehrechte werden für fast jedes einzelne Land separat verkauft. Hinzu kommt: Anders als in Europa existiert in den USA kein öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Dadurch entsteht europaweit ein gordischer Knoten, ein Alexander ist allerdings nicht in Sicht.
Das führt zur beinahe paradoxen Situation, dass nicht einmal im selben Sprachraum Lösungen gefunden werden können. Eine Online-Videothek wie Maxdome bietet etwa deutschsprachige Filme an, zu sehen sind sie aber nur in Deutschland. In Österreich und der Schweiz lässt sich Maxdome nicht empfangen. Ein vergleichbares, länderspezifisches Online-Angebot fehlt in den beiden Ländern aber, weil die Märkte schlichtweg zu klein sind. So fallen ein paar Millionen potenzielle Kunden durch den Rost.
(Un)begrenzte Möglichkeiten
Doch auch in den USA ist nicht immer alles eitel Wonne: Das vom Suchmaschinen-Riesen vergangenen Herbst gestartete Google TV wird von Content-Anbietern wie Fox, CBS, NBC und ABC gemieden und geblockt. Die großen Networks befürchten Einbußen bei den Werbeeinnahmen. Weil die Plattform auch noch mit technischen Problemen zu kämpfen hat und die Hardware zudem als zu teuer gilt, kann Google TV bisher als ziemlicher Flop bezeichnet werden.
Der anvisierte weltweite Marktstart, der ursprünglich für dieses Jahr vorgesehen war, wurde verschoben. Dementsprechend überraschte es kaum jemanden, als Anfang Juli bekannt wurde, dass Google an einer Übernahme von Hulu interessiert ist. Für das Schnäppchen von geschätzten zwei Milliarden US-Dollar (rund 1,37 Millionen Euro) bekäme Google so nicht nur etwa 28 Millionen Nutzer und lukrative Werbeverträge, sondern nebenbei auch noch wertvolle Ausstrahlungsrechte, die der eigenen Plattform immens helfen könnten. Allerdings sind neben Google auch Schwergewichte wie Microsoft oder Yahoo an Hulu interessiert.
Geiz gegen Fortschritt
Deutschland hinkt ohnehin hinterher, wenn es um TV-Technologien geht. Schuld ist nicht nur die Rechtesituation in Europa, sondern auch die zögerliche Verbreitung von (rückkanalfähigem) Digitalfernsehen. Das zeigt ein Blick auf das Thema IPTV: Obwohl es mit Telekom, Vodafone und Alice (Telefónica/O2) gleich drei große Unternehmen gibt, die Fernsehen über die Telefon- beziehungsweise Datenleitung anbieten, nutzen gerade einmal 1,6 Millionen Deutsche diese Angebote. Zum Vergleich: In Frankreich sind es fast elf Millionen, die über das Internet Protocol fernsehen. Banale Erklärung: Die Deutschen sind es (noch immer) nicht gewohnt, für Fernsehen extra zu bezahlen. Im Falle der deutschen IPTV-Anbieter sind es um die 30 Euro im Monat – offenbar zu viel für den Free-TV-verwöhnten Zuschauer.
Vor allem auf der deutschen Wohnzimmer-Couch war Web-TV bisher nur eine Randerscheinung. Multimedia-Boxen wie Apple TV oder Boxee spielen am Massenmarkt keine Rolle. Das hat sowohl technische, praktische, als auch wirtschaftliche Gründe. Viele Geräte, die in den vergangenen Jahren auf den Markt geworfen wurden, waren nicht besonders gut entwickelt, fehleranfällig und boten kaum echten Mehrwert. Auf der praktischen Seite wollen sich viele nicht noch ein weiteres „Ding“ unter den Fernseher stellen, von der zusätzlichen Fernbedienung ganz zu schweigen. Nicht zuletzt fehlte die Unterstützung der Big Player im TV-Geschäft, vor allem die großen fernöstlichen Elektronik-Hersteller machten einen weiten Bogen um diese Geräte-Klasse.
Web? Schon drin!
Logische Konsequenz: Die Web-Funktionalität muss in ein Gerät integriert sein, das ohnehin bereits im Wohnzimmer steht. In den USA ist das vielfach der Blu-ray-Player, der immer mehr auch zum Abspielgerät für Internet-Inhalte wird. Das HD-Format ist aber in Deutschland auch nicht der Verkaufsschlager, bleibt also nur noch der Fernseher selbst. Hier ist die Akzeptanz ungleich größer: „Bereits jetzt sind über 30 Prozent der verkauften TV-Geräte Internet-tauglich“, sagt Michael Schidlack, Bereichsleiter Consumer Electronics & Digital Home beim Branchenverband Bitkom. Das liege an der inzwischen „guten Breitbandversorgung“, so der CE-Experte, „aber auch daran, dass die für Web-Anwendungen benötigten Prozessoren heute standardmäßig in vielen Fernsehern verbaut sind.“ In den letzten Jahren seien die Recheneinheiten immer billiger und leistungsstärker geworden, so dass erst seit kurzem die Voraussetzungen gegeben sind, um Web-Anwendungen und -Videos direkt auf diesen so genannten Hybrid-Geräten flüssig zum Laufen zu bringen.
Kaum ein großer Hersteller verzichtet heute auf Hybrid-TVs in seinem Angebot: Sony nennt seinen Dienst Internet TV, LG Smart TV, Panasonic VieraCast, Philips NetTV und Samsung Internet@TV. Sie alle setzen auf die vernetzte Fernseher. Die Software-Lektionen haben sie bei den Smartphone-Kollegen gelernt. Widgets, Channels und Apps können wahlweise ins laufende Programm eingeblendet oder auch im Vollbildmodus genutzt werden.
Content entscheidet
Den Basis-Content liefern durchwegs die üblichen Verdächtigen: YouTube, Yahoo, Facebook, Twitter, Skype, Picasa oder Flickr sind bei fast allen Herstellern mit an Bord. Viele Inhalte sind firmenübergreifend verfügbar, ermöglicht wird das durch den neuen Quasi-Standard HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV), der am einfachsten als Teletext 2.0 beschrieben werden kann. Allerdings spielen auch exklusive Kooperationen eine Rolle.
Ob die Internet-TVs eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie iPhone und Android hinlegen können, ist allerdings eine noch offene Frage. Vieles hängt davon ab, wie offen man die neuen TV-Plattformen gestaltet. Denn eines haben die Smartphone bewiesen: Externe Apps machen einen großen Teil des Vergnügens und des Erfolges aus. Als einer der ersten großen Hersteller hat das Panasonic erkannt und Anfang Juli ein Portal für Entwickler samt Zugang zum API eröffnet. Die damit programmierten Apps will man dann über den Viera Connect Marketplace vertreiben.
Auch bei Samsung setzt man auf die Kreativität der User: Ein Software Development Kit steht (wie bei den meisten anderen Herstellern auch) frei zum Download zur Verfügung. Selbst entwickelte Apps kann man zwar auf den eigenen kompatiblen
Fernseher aufspielen, einen offenen App-Store gibt es bisher
aber noch nicht. Dass der Markt großes Potenzial besitzt, zeigen von Samsung
veröffentlichte Zahlen: Bis Ende Mai zählten die Südkoreaner weltweit
rund fünf Millionen heruntergeladener TV-Apps.
Auch wenn für die neuen Internet-Fernseher vielfach erst passende Geschäftsmodelle entwickelt werden müssen – die Chancen für (kleinere) Content-Anbieter sind auf alle Fälle gegeben. Denn dank der neuen Technik erreichen Web-Videos dann auch jene, die zum Fernsehen nicht Maus und Tastatur nutzen, sondern die gute alte Fernbedienung.