Wieso ein Berliner Projekt eine KI mit Erinnerungen und Wünschen füttert

(Abbildung: Inter(mediate) Spaces)
In den Debatten um die vielen Veränderungen, die die künstliche Intelligenz herbeiführen wird, werden künstlerische Tätigkeiten oft mitleidig behandelt. So als wäre es selbstverständlich, dass KI irgendwann jeden Roman schreiben und jedes Lied komponieren wird. Viele reagieren darauf mit Verweigerung: KI darf niemals die Kreativität des Menschen ersetzen.
Andere versuchen, zusammen mit der KI etwas Neues zu erschaffen – nicht, um den Menschen zu ersetzen, sondern vielmehr, um seine Erfahrungen zu erweitern. Chloé Lee gehört zu letzteren. Mit dem Projekt Inter(mediate) Spaces möchte sie KI nutzen, um Menschen sowohl vor Ort als auch in einem virtuellen Raum miteinander zu verbinden. Ein Kulturquartier in Wedding, Berlin,es ist Mai: Ungefähr 30 Menschen sind zusammengekommen, um mit einer KI Bilder zu erzeugen. Bilder aus ihrer Vergangenheit, ihrer Zukunft und Bilder, die nur in ihren Köpfen existieren.
KI mit Erinnerungen füttern
„Dafür haben wir eine angepasste Version von Stable Diffusion programmiert, deren Datengrundlage nur die Äußerungen der Teilnehmenden ist“, sagt Lee, die seit 2022 in Berlin wohnt und sowohl Director als auch Producer von Inter(mediate) Spaces ist. Zusammen mit ihrem Businesspartner Lucas Martinic arbeiten noch sieben weitere Personen an dem Projekt – vom KI-Experten über einen VR-Entwickler und einer Community-Koordinatorin.
Aber was genau passiert hier eigentlich? „KI erzeugt oft sehr generalisierte Bilder. Wie wir uns aber beispielsweise die Natur vorstellen, hängt total von der individuellen Erfahrung jeder einzelnen Person ab“, erklärt Lee. Menschen aus unterschiedlichen Communitys sollen zusammenkommen und die künstliche Intelligenz mit ihren eigenen Erinnerungen und Hoffnungen füttern.
„Die Teilnehmenden werden gebeten, sich Gedanken zu einem bestimmten Thema zu machen. Dann schreiben sie ihre Vorstellungen so detailliert wie möglich auf einen Zettel“, so Lee weiter. Welche Bilder ihnen etwa beim Thema Kindheit in den Kopf kommen. Oder wie sie sich ihre eigene Nachbarschaft in der Zukunft vorstellen – mal ganz abstrakt, mal sehr konkret. „Es ist wichtig, dass wir dabei alle zusammen an einem Ort sind und auch erstmal alles handschriftlich gemacht wird“, ergänzt sie. Es sei ein gemeinsames Erlebnis, mit der künstlichen Intelligenz zu spielen.

(Abbildung: Inter(mediate) Spaces)
Von Berlin nach New York
Wenn diese Vorstellungen auf dem Blatt Papier stehen, wird die KI mit den Sätzen gefüttert. Diese bilden die Grundlage für die Bilder, die Stable Diffusion im nächsten Schritt erstellt. Dabei ist dieser vierstündige Workshop in Berlin nur ein erster Aufschlag. Im August wird er in New York City, genauer gesagt in Chinatown, wiederholt.
Denn die Grundidee von Inter(mediate) Spaces ist die Suche nach Wegen, verschiedene (virtuelle) Welten miteinander zu verbinden. „Wenn wir virtuell mit Menschen kommunizieren, erleben wir nicht die Welt um sie herum. Der Eindruck bleibt zweidimensional“, erklärt Lee.
Das kann man auch weiter denken: Eine solche Custom-KI kann Eindrücke von Communitys und ihrer Wahrnehmung der Welt vermitteln. Wie stellen sich Menschen in Chinatown ihre Zukunft vor? Und wie die Menschen in Berlin? Wo sind Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Solche Fragen sollen in der Kunstinstallation schließlich verhandelt werden. „Ich denke, dass Menschen oft entmutigt sind, wenn sie an die Zukunft denken, besonders an eine Zukunft mit KI“, so Lee. Mit ihrem Projekt möchte sie daher auch zeigen, dass wir Einfluss auf die künstliche Intelligenz haben – und es letztendlich an den Menschen liegt, wie weit KI unsere Welt verändern wird.
Virtuelle Welten mit Stable Diffusion
Wenn die modifizierte Version von Stable Diffusion mit möglichst vielen und möglichst unterschiedlichen Vorstellungen gefüttert wurde, sollen aus den daraus kreierten Bildern im nächsten Schritt digitale Welten entstehen, die Menschen dann in virtueller Realität betreten können – mithilfe der VR-Brille Meta Quest 3. Auch das passiert wieder vor Ort. „Zwei Menschen setzen sich die Headsets auf und betreten zusammen den virtuellen Raum. Eine KI-Stimme stellt ihnen dann Fragen, die sie beantworten sollen“, erklärt Lee. Etwa, was sie letzte Nacht geträumt haben. Daraufhin verändert sich die virtuelle Umgebung – Stable Diffusion erstellt Bilder, die auf dem Input der verschiedenen Communitys basieren.
„Ich denke, dass sich diese durch Communitys angetriebene KI auch skalieren lässt“, ist Chloé Lee überzeugt. Die Idee ist, die VR-Installation an vielen unterschiedlichen Orten der Welt erlebbar zu machen und mit immer mehr persönlichen Daten von vielen verschiedenen Menschen zu füttern. „Mir gefällt diese Vorstellung von einem Meer aus ganz verschiedenen Stimmen, durch das du schwimmen kannst“, so Lee. Schließlich sei jeder Ort dieser Welt mehr als nur die bloße Materie. Überall gebe es Vergangenheit und Zukunft, verschiedene Erinnerungen und Hoffnungen, die von KI erlebbar gemacht werden könnten.
Inter(mediate) Spaces wird vom Medienboard Berlin-Brandenburg finanziert. „Ich habe dabei viel Unterstützung im Bewerbungsprozess bekommen“, erklärt sie weiter. Dennoch muss sie auch nach weiteren Förderern suchen. „Das ist als experimentelles Kunstprojekt natürlich ein wenig schwieriger“, sagt Lee. Aber sie steht bereits in Kontakt mit Unternehmen und Event-Orten, die Interesse an Inter(mediate) Spaces haben. „Für viele dürfte es sehr seltsam sein, ihre eigenen Vorstellungen und die von anderen Menschen in VR zu erleben. Aber genau das kann eine Stärke von KI sein: die sprachlichen oder kulturellen Barrieren zu überwinden, die uns Menschen oft trennen.“