Was die Zukunft des Facebook Messengers für Unternehmen bietet: „Hi, ich bin dein Chat-Bot!“
Typisch für das Marketing im Internet: Dort, wo sich potenzielle Kunden aufhalten, wollen auch die Unternehmen hin. Das Prinzip funktionierte so in Foren, es funktionierte so auf Websites, es funktionierte so in sozialen Medien. Jetzt setzt sich diese Entwicklung in einem Bereich fort, der zumindest in westlichen Ländern bislang noch als privat galt, als Rückzugsort für Menschen, die unter sich sein wollten: Instant Messenger. Marken haben die Chatprogramme zum neuen Ziel erklärt, um mit Kunden in Kontakt zu treten und mit ihnen zu interagieren.
Der Grund: Messenger sind ein Millionengeschäft. Wer heute auf sein Smartphone blickt, sieht meist als erstes Notifications eines Messengers – sei es von Threema, iMessage, WhatsApp oder vom Facebook Messenger. Allein den mobilen Facebook-Chat nutzen monatlich 900 Millionen Menschen. Kein Wunder, dass das soziale Netzwerk den Messenger nun auch wirtschaftlich nutzen will: Auf der F8-Entwicklerkonferenz kündigte Facebook an, die App für kommerzielle Zwecke zu öffnen. Das Event in San Francisco dient Facebook dazu, neue Produkte und Strategien vorzustellen.
Die Nachrichten-Applikation steht schon seit vergangenem Jahr im Fokus der Tüftler. Facebook will damit Möglichkeiten schaffen, dass Unternehmen und Kunden „reibungslos und in herrlichen Wegen“ miteinander interagieren können, wie es David Marcus, Vizepräsident für Messenger-Dienste bei Facebook, auf der F8-Bühne ausdrückte.
Was man in Kalifornien pathetisch als brandneu vorgestellt hat, ist in anderen Ländern längst Standard. So ist Messaging beispielsweise in Asien wesentlich weiter als in den USA und Europa. Dass in den Chat-Fenstern mit Unternehmen gesprochen wird, ist längst Alltag: Im populären WeChat-Dienst können sich Nutzer bereits seit Jahren nicht nur mit Freunden austauschen, sondern auch Pizzen bestellen, Bankgeschäfte erledigen und das News-Geschehen verfolgen. Messenger sind dort digitale Alleskönner.
Die Zukunft des Messengers: Service
An diesem Vorbild orientiert sich jetzt auch Facebook – und hat die ersten wichtigen Kooperationen gestartet. Unternehmen wie die Fluggesellschaft KLM, die Bild-Zeitung oder der Wetterdienst Poncho zeigen, wie die Zukunft des Messengers aussehen wird.

Mit dem Vorstoß der Fluggesellschaft KLM sollen sich beispielsweise ausgedruckte Reisedokumente, lästige E-Mails und schlecht designte Smartphone-Apps künftig erübrigen. Wer seinen Flug über die Airline bucht, kann sich auf Wunsch alle notwendigen Reiseunterlagen in die Nachrichten-Anwendung schicken lassen – darunter die Bordkarte, die per Touch-Geste einfach gezückt und vorgezeigt werden kann. Auch will KLM wichtige Aktualisierungen zum Flugstatus oder Check-in-Erinnerungen über den Facebook Messenger an die Kunden übermitteln – um so sofort eine Benachrichtigung auf dem Homescreen der Nutzer auszulösen.
Zudem können Nutzer den kompletten Kundenservice über den neuen Kanal in Anspruch nehmen. Über die Live-Chat-Funktion können sie ihre Fragen direkt an den KLM-Support richten. Somit haben sie nicht nur alle wichtigen Informationen immer im Blick, sondern können auf Wunsch auch ihren Flug umbuchen. Damit wird der Facebook Messenger im Grunde zur allumfassenden Kommandozentrale der KLM-Kunden. PDF im E-Mail-Postfach, Stand-alone-App, Service-Nummer – alles hinfällig.
Bundesliga-Ticker per Chat
Doch das Ziel der Entwickler im Silicon Valley geht weit über derartige Kundendienste in der Messaging-App hinaus. Facebook interessiert sich auch für Nachrichtenmedien und veröffentlicht am laufenden Band neue Funktionen, um Angebote noch stärker in die eigene Plattform zu integrieren. Nachdem das soziale Netzwerk bereits den Algorithmus zugunsten journalistischer Artikel geändert und die sogenannten Instant Articles für alle Publisher freigeschaltet hat, können Nutzer nun auch die Nachrichten einiger Medienhäuser im Messenger abonnieren.
Beispielhaft lässt sich das an der Bild-Zeitung zeigen: Sie hat im Messenger einen Ticker für Sportbegeisterte eingerichtet. Er soll sie mit Themen versorgen, die sie sonst nur über die Website des Lieblingsclubs erfahren – von Transfergerüchten bis hin zu Vereinsmeldungen des liebsten Bundesligisten. Dafür hat Facebook das deutsche Startup Spectrm ins Boot geholt, das verantwortlich für die Onboarding-Technologie hinter dem Abo-Prozess ist.
Das Prinzip ist einfach: Nutzer müssen nur eine Nachricht schreiben, um vom „Bild“-Ticker mit den neusten News versorgt zu werden. Ein schlichtes „Hi“ bewirkt, dass Interessierte in den Nachrichten-Verteiler eingetragen werden. Am anderen Ende wird mit einem ebenfalls simplen „Herzlich Willkommen beim Bild-Ticker! Hier erfährst Du die News als Erster!“ reagiert. Ist der Nutzer erst einmal Abonnent, gibt es Sport-News per Push-Meldung vom Messenger. Der Vorteil für den Fußballbegeisterten: Er hat die neusten Nachrichten, bevor sie die Kumpels kennen, kann sie weitertragen und in der Facebook-Gruppe „nebenan“ diskutieren.
Die Beispiele von KLM und „Bild“ geben nur einen kleinen Einblick in das, was mit dem Messenger künftig möglich sein wird. Die vielleicht spannendste Neuerung findet sich aber in den Chat-Bots, die Facebook auf seiner F8-Konferenz der Öffentlichkeit präsentiert hat. Statt nur mit Partnern, Familie, Freunden oder eben einem Kundendienst zu chatten sowie Abonnements abzuschließen, übernehmen künftig auch intelligente Programme Aufgaben für uns: Bei Bedarf liefern sie Schuhe oder Pizza, machen Termine für uns aus oder übermitteln Wettervorhersagen.
Das ist nicht mehr nur Theorie, sondern funktioniert schon in der Praxis. Ein Beispiel: Poncho, eine Wetter-App aus New York. Auf Anfrage liefert „Hi Poncho“ einen Wetterbericht im Messenger – auf eine Weise, die Nutzern bislang noch unbekannt ist: Der Chat-Bot gibt nicht nur Informationen zur Temperatur oder Regenwahrscheinlichkeit wieder, er scherzt sogar mit dem Gesprächspartner. Fragt ein Anwender, wie das Wetter in San Francisco wird, bekommt er – sofern er sich in den USA befindet – die Maßeinheit in Fahrenheit präsentiert. Will er wissen, wie die Temperatur in Celsius ist, kommentiert Poncho die Frage mit einem ironischen: „Oh fancy you!“ Das heißt so viel wie: „Oh wie ausgefallen!“ Auf die Frage, ob man einen Regenschirm bei wolkigem Wetter braucht, antwortet Poncho charmant: „Nope, es regnet nicht. Whew!“

Das kann man albern finden, aber die Reaktion gibt dem Roboter eine menschliche Komponente: Das Service-Gespräch ist persönlich, empathisch, humorvoll und vor allem freundlich. Der Chat mit Maschinen ist nicht mehr nur ein Austausch von Informationen, sondern wird zum netten Plausch.
Alles in einer App
Facebook schafft damit nicht nur eine Bindung zwischen Firmen und ihren Kunden, sondern macht sich selbst unabkömmlich. Was das bedeutet, formulierte CEO Mark Zuckerberg auf der F8 so: „Menschen müssen nie wieder eine App installieren, um Blumen zu bestellen.“ In diesem Satz steckt eine Strategie, die einen Nachteil gegenüber Google und Apple kompensieren könnte: Geht es nach Facebook, braucht es kein mobiles Betriebssystem und keinen App-Store mehr. Das soziale Netzwerk erfüllt alles auf einmal.
Facebook hat dabei die Signale des Markts verstanden: Messenger haben sich als wichtigste App-Gattung entpuppt, allein im vergangenen Jahr benutzten 1,4 Milliarden Menschen mobile Chat-Programme. Gleichzeitig zeigt sich, dass der App-Markt gesättigt ist und es immer weniger Anwendungen auf die Homescreens der Smartphone-Nutzer schaffen. Zu kleinteilig sind die Angebote, zudem fressen sie Speicher und Energie. Apps, die nicht regelmäßig genutzt werden, fliegen nach wenigen Tagen wieder vom Smartphone. Für Entwickler lohnt es sich somit kaum noch, mobile Apps zu programmieren. Wenn sie es trotzdem machen, dann vor allem, um in App-Stores dabei zu sein.
Mit dem neuen Messenger-Angebot könnte sich das ändern: Die Kalifornier entwickeln eine Art Betriebssystem in einem Betriebssystem, das – ausgestattet mit Facebooks intelligenter Assistenz-Software „M“ – sogar Dienstleistungen erfüllen könnte. Fragt ein Nutzer im Messenger nach dem Wetter, könnte Facebook ihn künftig direkt mit dem Chat-Bot von Poncho verbinden, der wiederum anhand der GPS-Daten den Standort ermittelt und antwortet.
Ein Telefoncomputer im neuen Gewand
Das Potenzial dieser Technologie haben auch Beobachter der Branche erkannt. Jens Wiese, der das Marketing-Blog Allfacebook.de zusammen mit Philipp Roth betreibt, verfolgt Facebooks Schritte seit Jahren und glaubt, dass die Öffnung des Messengers für Unternehmen eine gute Entwicklung ist: „Chat-Bots sind perfekt für einfache standardisierte Aufgaben wie etwa Flug-Check-Ins, Wettervorhersagen oder Taxi-Bestellungen“, sagt er.
Dennoch rät er von zu großem Eifer ab: Ein Chat-Bot sei „keine Möglichkeit, einen bestehenden Kundendienst-Kanal komplett an eine Maschine auszulagern, sondern vielmehr ein Telefoncomputer in neuem Gewand“. Genauso wie es bei Telefoncomputern immer die Möglichkeit gibt, sich am Ende mit einem echten Mitarbeiter verbinden zu lassen, sollte es auch bei Chat-Bots einen Fallback zum echten Kundenservice geben, mahnt er.
Für Firmen dürfte die Mischung aus beidem interessant sein: Der Messenger als Ort, an dem sich Marken und Kunden begegnen, um komplexe Probleme zu lösen, und als Ort, an dem einfache Kundenwünsche automatisiert und freundlich erfüllt werden können. Dass auch die Nutzer dem Angebot offen gegenüber stehen, zeigt eine t3n-Umfrage: Demnach begrüßen 44 Prozent der Befragten die steigende Präsenz von Unternehmen im Messenger grundsätzlich. 31 Prozent schränkten ein, dass sie an Bord sind, solange sie keiner Werbung ausgesetzt seien.
Ob die Kommerzialisierung zum Erfolg wird, hängt auch davon ab, wie einfach Entwickler ihre eigenen Hilfsprogramme veröffentlichen können. Bisher sind fast nur große Marken am Start.