100 Millionen Grad heiß: Wie schaltet man eigentlich einen Fusionsreaktor sicher ab?
Nicht nur die Inbetriebnahme von Fusionsreaktoren ist tricky, auch ihr Abschalten ist nicht ganz so einfach. (Foto: VisualMediaHub /Shutterstock)
Erst vor Kurzem hat die Bundesregierung bekannt gegeben, künftig mehr in die Forschung von Fusionsenergie zu investieren. Allein zwei Milliarden Euro sollen es in dieser Legislaturperiode sein. Auch andere Länder, unter anderem China und die USA, investieren in die Technologie und betreiben Testreaktoren. Kein Wunder, schließlich verheißt die Kernfusion eine neue Quelle für nachhaltige Energie.
Hürden für stabile Fusionsreaktoren
Bis zum Start eines ersten Fusionsreaktors muss allerdings noch viel passieren. Denn obwohl die Kernfusion seit Jahrzehnten erforscht wird, gilt es in der Praxis, einige Hürden zu überwinden. Der Prozess, bei dem in einem 100 Millionen Grad heißen und bis zu 100 Kilometer pro Sekunde schnellen Plasma Atomkerne miteinander verschmelzen und dabei Energie freisetzen – wie es im Inneren der Sonne geschieht –, ist äußerst schwierig. Bislang ist es nur gelungen, das Plasma in donutförmigen Reaktoren – Tokamak genannt – durch den Einsatz von Magnetfeldern für kurze Zeit stabil zu halten.
Für den späteren Regelbetrieb in deutlich größeren Anlagen ist es zudem wichtig, dass sich die Fusionsreaktoren bei Bedarf kontrolliert abschalten lassen. Das ist schon bei Kernkraftwerken nicht ganz ohne. Im Fall eines Tokamaks aber kann das abkühlende Plasma zu Schäden an der Maschine führen, wie es in einigen Fällen bereits vorkam. Forscher:innen des MIT haben jetzt ein KI-Modell entwickelt, das die Abschaltung, den sogenannten Ramp-Down, simulieren und sicherer machen könnte. Die entsprechende Studie ist im Fachmagazin Nature Communications erschienen.
KI trifft Plasma-Simulation
„Eine gängige Strategie besteht darin, das Plasma durch eine Abschaltung des Plasmastroms zu deaktivieren“, schreiben die Forscher:innen. Das führe jedoch häufig dazu, dass das Plasma näher an seine Instabilitätsgrenzen gelangt und dadurch unkontrollierbar wird. Dabei könne es passieren, dass das Plasma die Innenwände des Reaktors beschädigt, was kostspielige und langwierige Reparaturen erfordert.
Das Problem: Während des Ramp-Downs ändern sich in kürzester Zeit viele physikalische Größen drastisch, was die Simulation und somit die Kontrolle des Plasmas erschwert. Um diese Kontrolle zu verbessern, hat das Team des MIT maschinelles Lernen mit den Daten physikalischer Plasma-Experimente kombiniert. Trainiert und getestet wurde das Modell anhand von Daten aus einem Tokamak in der Schweiz, dem TCV in Lausanne.
Konkret hat das Team die Daten von etwas mehr als 300 Plasmaimpulsen, davon fünf mit hoher Energie, des TCV verwendet. Tokamak-Reaktoren laufen nicht durchgängig, sondern im Pulsbetrieb; sie werden quasi immer wieder neu „gezündet“. Die Forscher:innen erhielten für jeden Impuls Informationen zu den Eigenschaften des Plasmas, über Temperatur, Energiedichte, Strom und Magnetfelder. Anschließend trainierten sie das Neural State-Space Model (NSSM) mit diesen Daten und simulierten, ob es in der Lage war, die Entwicklung des Plasmas unter bestimmten Betriebsbedingungen vorherzusagen.
Mehr Kontrolle für künftige Fusionsreaktoren
Ziel war es, das Plasma ohne unkontrollierte Energiefreigabe aufzulösen. Trotz der begrenzten Ausgangsdatenlage konnte das Team feststellen, dass das Modell nach dem Training imstande war, bestimmte Plasmaverläufe (Trajektorien) zu simulieren, die einen kontrollierteren Ramp-Down ermöglichten.
Mit diesen Informationen könnten Betreiber von Tokamak-Reaktoren bei der Abschaltung die Magneten und die Temperaturen gezielter steuern. In Testläufen am TCV schwächten die Vorgaben des Modells das Plasma schneller und ohne Störungen ab im Vergleich zu bisherigen Methoden. „Dies könnte ein praktikabler Ansatz für künftige Tokamaks wie SPARC und ITER sein, die zunächst mit geringer Leistung betrieben werden, bevor die Leistung schrittweise gesteigert wird“, schreiben die Verantwortlichen in der Studie.
Leider ist das Bändigen des Plasmas nur ein Punkt. Möglich, dass man mit KI das Plasma besser / länger stabil halten kann. Möglich, dass KI auch das schwierige Herunterfahren eines Fusionsreaktors erleichtern kann.
ABER das ändert nichts daran, dass man die beiden technischen Hauptprobleme der Kernfusion damit nicht lösen wird. Und auch das Aktionsprogramm der Bundesregierung geht diese Probleme nicht an. Das sind:
a) das Materialproblem an der Grenze des Plasmas. Was erwartet man, wenn jedes Atom in seinem Gitter bis zu 100 mal im Jahr von seinen Platz verschoben wird? Damit verspröden eigentlich alle Materialien und die ursprünglichen Materialeigenschaften gehen verloren. Der Materialverschleiß bedingt aber die Wartungszyklen und diese dann die Wirtschaftlichkeit …
b) die “Tritium-Selbstversorgung” . Man müsste ca. 1,2x mehr Tritium erbrüten, als eingesettz wird, damit der Reaktor nicht wegen Brennstoffmangel von sich aus ausgeht. Diese 20% müssten trotz aller Prozessverluste erbracht werden:
– Parasitäre Neutronen Kernreaktionen im Material,
– Unvollständige kontinuierliche Extraktion des Tritiums aus dem Blanketmaterial,
– Verlust über die Vakuumpumpen,
– Entweichen von Tritium durch Undichtigkeiten,
– Freisetzung von Tritium bei der Wartung,
– Natürlicher Zerfall von Tritium bis zum erneuten Einsatz,
– Verbleib von Tritium in ausgetauschten Reaktormaterialien,
– Notwendige Tritiumreserve für Wartungsperioden, Reparatur und etwaigen Fehlfunktionen des Reaktors,
-Vorrat für weitere Reaktoren erbrüten.
Und bei all den technischen Problemen der Kernfusion wird in der Diskussion vergessen, dass es Gründe gibt, dass die Gesellschaft diese Technologie nicht benötigt (siehe Worseck S., Dittmar M., Benner H., Holländer U.: Bitte Kernfusion nur auf der Sonne! Sammlung von Argumenten gegen die Kernfusion auf der Erde.; Januar 2025 https://www.atomreaktor-wannsee-dichtmachen.de /downloads.html?download=99)