226 Probleme pro 100 E-Autos: Warum unter dem Boom in China Besitzer und Versicherer leiden
E-Auto aus China, hier von einer BYD-Tochter (Bild: Yangwang)
Der chinesische Markt für Elektrofahrzeuge steht vor einer zunehmenden Qualitäts- und Kostenkrise, die die Nachhaltigkeit der Branche bedroht. Zwar ziehen aggressive staatliche Unterstützung und hohe Akzeptanz viele Käufer:innen an. Die heimischen Elektrofahrzeuge weisen jedoch deutlich höhere Ausfallraten auf als konventionelle Fahrzeuge und verursachen hohe Reparaturkosten, was nicht nur die Kund:innen belastet. Die Autoversicherer schrieben 2024 mit Elektroautos sogar hohe Verluste, obwohl sie für ihre Policen 20 bis 100 Prozent mehr verlangen als für Modelle mit Verbrennungsmotoren.
226 Probleme pro 100 Elektroautos
J.D. Power, ein globales Unternehmen für Datenanalyse und Verbraucherforschung, hat die Probleme klar aufgezeigt. Demnach weisen Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride in China derzeit 226 Probleme pro 100 Fahrzeuge auf, 14 mehr als bei Verbrennungsmotoren. Die schlechte Nachricht: Seit 2023 hat sich dieser Wert um 37 Prozent verschlechtert. Die gute Nachricht laut der Analyst:innen: „Die diesjährigen Ergebnisse zeigen, dass trotz der allgemeinen Zunahme der Probleme das Tempo des Anstiegs nachgelassen hat.“
Die meisten Probleme treten bei den immer ausgefeilteren Infotainmentsystemen auf, in deren Entwicklung die chinesische Industrie inzwischen global als Vorreiter gilt. Auf diese entfallen allein 31 Probleme pro 100 Fahrzeuge. Dies macht laut den Experten die mangelnde Konzentration der Autohersteller auf grundlegende Qualität bei gleichzeitigem Fokus auf rasche technologische Verbesserungen deutlich.
Treibende Kraft dafür ist der ruinöse Preiskampf in China, der durch riesige Überkapazitäten angetrieben wird. Dank Subventionen der Zentralregierung und vor allem der Lokalregierungen kämpfen in China über 100 Marken von Elektroautos um Kunden. Selbst Vertreter der Autoindustrie warnten bereits, dass der Branche ein ähnlicher Einbruch wie der Immobilienbranche droht, in der die Preise seit vier Jahren kollabieren. Der Preiskrieg ist inzwischen so schlimm geworden, dass die Regierung eingeschritten ist, um ihn zu beenden.
Wie Autohersteller in China gegen die Kunden vorgehen
Diese Schadensanfälligkeit ist allerdings auch eine Belastung für die Kund:innen – und das nicht nur finanziell. Ein Problem ist, dass Verbraucher:innen in der Volksrepublik China im Konflikt mit Unternehmen oft unterlegen sind. Einige Hersteller gehen juristisch gegen öffentlich erhobene Vorwürfe vor. Und die Schadenersatzzahlungen können in die Zehntausende Euro gehen.
Marktführer BYD hat bereits 37 Influencer:innen verklagt. Als besonders effizient in der juristischen Schadenskontrolle gilt der US-Hersteller Tesla, der laut Medienberichten 90 Prozent seiner Fälle gewonnen hat. Die taiwanesische Zeitung „Taipei Times“ zitiert einen Juristen in China mit folgender Begründung der hohen Erfolgsrate: „Die Regierung hat Tesla einen Sonderstatus verliehen, der die Verbraucher:innen in eine sehr prekäre Lage gebracht hat.“
Laut der Zeitung profitiere Tesla davon, dass sich der jetzige Ministerpräsident Li Qiang in seiner Zeit als Sekretär der Kommunistischen Partei Chinas in Shanghai für Tesla stark gemacht habe. Der Parteisekretär steht in der politischen Hierarchie über dem Bürgermeister. Sein Einfluss wirkt nach.
Auch anderweitig greifen Elektroautohersteller zu Tricks, um Probleme zu verschleiern. So hat der VW-Partner XPeng laut der Economic Information Daily, einer Zeitung der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua, versucht, bei fast 70 Prozent seiner verkauften Autos eine fehlerhafte Servolenkung heimlich zu reparieren, um einen Rückruf zu vermeiden. Dieser wurde dann im September doch fällig.
Weiterhin beschäftigen die Autohersteller sogenannte „Internet-Wasser-Armeen“. Darunter versteht man in China Gruppen, die gegen Bezahlung eine Marke loben und andere Marken kritisieren. Auch dieser Praxis des irreführenden Marketings versucht die Regierung seit mehreren Monaten im Rahmen ihrer Anti-Preiskampfoffensive den Garaus zu machen.
Versicherer zeigen die versteckten Probleme von Elektroautos auf.
Aber die Abkürzungen in puncto Qualität und die Vertuschungsversuche fliegen letztlich auf – in den Bilanzen der Versicherer. Laut einer detaillierten Analyse der chinesischen Publikation OFweek aus dem Januar sollen die Assekuranzen mit Elektroauto-Policen 5,7 Milliarden Yuan (802 Millionen US-Dollar) verloren haben.
Ein Grund ist offenbar, dass die Kundschaft von Elektroautos jünger und damit unerfahrener ist und mehr Unfälle verursacht. Zudem sind die Reparaturen von Elektroautos deutlich teurer. So beträgt der durchschnittliche Arbeitsaufwand für Reparaturen bei Elektrofahrzeugen 3,04 Stunden, während er bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bei 1,66 Stunden liegt. Als Grund gilt die Komplexität der Hochspannungssysteme und Sicherheitsprotokolle. Gleichzeitig fehlt es den Werkstätten an Fachpersonal, was die Gehälter in die Höhe treibt.
Auch die Konstruktion von Elektrofahrzeugen trägt zu den hohen Kosten bei. So sind teure Lidar- und Radarsensoren sowie Kameras oft an Stellen in der Karosserie untergebracht, die bei Unfällen leicht Schaden nehmen können. Und dann ist da noch die Batterie, die sich selten reparieren, sondern meist nur tauschen lässt. Das Dilemma: Eine neue Batterie kostet oft 50 Prozent des Neuwagenpreises.
OFweek schildert eine unangenehme Folge dieses Zustands: Einem Bericht zufolge hat ein Shanghaier Taxiunternehmen im vergangenen Jahr keine Versicherungsgesellschaft gefunden, die eine gewerbliche Haftpflichtversicherung für Elektrotaxis abschließen wollte. Die Assekuranzen arbeiten jetzt daran, auch mit dem Versichern von Elektroautos Gewinn zu machen. Aber die Qualitäts- sowie die Unternehmensbilanzen zeigen, dass der Elektroauto-Boom in China auch seine Schattenseiten hat.