KI-Training der Zukunft: Warum 7 Sinne besser sind als 5
Was ist die optimale Anzahl an Sinnen für ein lernendes System? Forscher haben jetzt eine überraschend präzise Antwort darauf. (Bild: Shutterstock/Vitalii Vodolazskyi)
Ein internationales Forscher:innen-Team hat eine überraschende Entdeckung gemacht, die weitreichende Folgen für die Entwicklung künstlicher Intelligenz haben könnte. Ihre Arbeit legt nahe, dass die optimale Kapazität zum Speichern von Konzepten nicht bei fünf, sondern bei sieben Dimensionen der Wahrnehmung liegt – quasi bei sieben Sinnen.
Veröffentlicht wurde diese Erkenntnis in der renommierten Fachzeitschrift Scientific Reports. Die Autor:innen Wendy Otieno von der Loughborough University im Vereinigten Königreich, Ivan Tyukin vom King’s College London und Nikolay Brilliantov vom Skolkovo Institute of Science and Technology (Skoltech) im russischen Moskau haben dafür ein neues kinetisches Modell des Gedächtnisses entwickelt.
Ein mathematisches Modell des Gedächtnisses
Das Modell simuliert, wie das Gehirn Erinnerungen in Form sogenannter Engramme speichert. Stellt euch ein Engramm als eine Gruppe von Neuronen vor, die gemeinsam feuern, um ein Konzept zu repräsentieren, etwa eine Banane. Dieses Konzept wird durch verschiedene Sinneseindrücke definiert: ihr Aussehen, ihren Geruch, ihren Geschmack, wie sie sich anfühlt und wie sie klingt, wenn man sie bricht.
In ihrem Modell werden diese Engramme als geometrische Objekte in einem mehrdimensionalen „konzeptuellen Raum“ dargestellt. Trifft ein externer Reiz auf ein Engramm, wird das Konzept bestätigt und das Objekt im Modell schrumpft, wird fokussierter. Diesen Prozess verstehen die Forscher:innen als Lernen. Ohne solche Reize dehnt sich das Objekt langsam aus und wird unschärfer, was dem Prozess des Vergessens entspricht.
Relevanz für die Entwicklung künstlicher Intelligenz
Die zentrale Entdeckung der Studie ist, dass die Anzahl der unterscheidbaren Konzepte, die in diesem System stabil gespeichert werden können, bei einer Dimension von sieben maximiert wird. Überträgt man jede Dimension auf einen Sinn, ergibt sich die Schlussfolgerung, dass sieben Sinne das Optimum für die Gedächtniskapazität darstellen.
Für die Entwicklung von KI ist diese Erkenntnis von hoher praktischer Relevanz. Heutige KI-Systeme verarbeiten bereits Daten aus verschiedensten Quellen, etwa Bild-, Ton- und Textinformationen. Das Modell liefert nun eine mathematische Grundlage für die Annahme, dass Systeme, die Konzepte anhand von sieben unterschiedlichen Merkmalen oder Datenströmen klassifizieren, eine höhere Lern- und Speichereffizienz erreichen könnten. Das könnte besonders im Bereich der Robotik und der Sensorfusion zu robusteren und fähigeren Systemen führen.
Was bedeutet das für den Menschen?
Die Forscher selbst raten bei der Übertragung ihrer Ergebnisse auf den Menschen zur Vorsicht. Studien-Co-Autor Nikolay Brilliantov bezeichnet diese Anwendung als „hochspekulativ“. Gleichzeitig merkt er an, dass die Ergebnisse für das Design von Robotern und die Theorie der KI von praktischer Bedeutung sein könnten.
Die Idee von mehr als fünf menschlichen Sinnen ist in der Biologie indes nicht neu. So sind etwa der Gleichgewichtssinn, der Temperatursinn (Thermorezeption) oder die Wahrnehmung der eigenen Körperposition im Raum (Propriozeption) längst bekannte, aber im Alltag selten mitgezählte Sinnesleistungen. Das Modell liefert somit keine biologische, aber eine interessante informationstheoretische Perspektive auf die Verarbeitung von Wahrnehmung.
Ein weiterer Aspekt, den die Studie beleuchtet, ist ein fundamentaler Kompromiss. Eine höhere Empfänglichkeit für neue Reize führt im Modell dazu, dass die gelernten Konzepte unschärfer werden. Eine zu starke Fokussierung wiederum kann dazu führen, dass das System neue Informationen schlechter aufnimmt. Dieses Spannungsfeld zwischen der Bereitschaft zu lernen und der Präzision des Gelernten ist auch in der Entwicklung von KI eine ständige Herausforderung.
Das Modell von Otieno, Tyukin und Brilliantov bietet damit eine neue, quantitative Perspektive auf die Funktionsweise von Gedächtnis. Während die Auswirkungen auf den Menschen vorerst spekulativ bleiben, liefert es konkrete und prüfbare Ansätze für die nächste Generation lernender Maschinen.