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Das Geschäftsmodell auf der Serviette: So funktioniert Amazon und was der Handel daraus lernen kann

Dass Amazons jüngste Zahlen keinen Anlass zur Sorge bereiten sollten, liegt am Geschäftsmodell von Amazon. Wie das Geschäftsmodell genau aussieht und was der Handel daraus lernen könnte erklärt unser Gastautor Stefan Hoffmeister.

Von Stefan Hoffmeister
7 Min. Lesezeit
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So funktionier Amazons Geschäftsmodell. (Bild: Amazon)

Amazon darf jedoch weder nur verteufelt, noch abgeschrieben werden, sondern der Handel muss sich mit dessen Geschäftsentwicklung und den Innovationen beschäftigen und auseinander setzen.

Amazon bedarf einer differenzierten Betrachtung

Amazon will immer mehr Kunden noch tiefer in das eigene Ökosystem einbinden.

Ein Unternehmen wie Amazon, auch wenn es nicht zu den jungen E-Commerce-Startups gehört, darf nicht eindimensional als Onlinehändler betrachtet werden. Dafür hat es sich im Laufe der Zeit zu breit aufgestellt und seine Wertschöpfungskette immer mehr ausgeweitet. Im Grunde werden permanent und weltweit Projekte angestoßen, die jedes für sich einem eigenen Unternehmen oder einer Neugründung entsprechend würden. Würde man etwa Amazon Instant Video oder die Hardware rund um die Kindle Tablets und das Fire Phone für sich betrachten, müsste man ihnen jeweils entsprechend Zeit und finanzielle Investitionen zugestehen, bis sie sich zu einem eigenständigen Gewinnbringer entwickelt haben.
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Benedict Evans, von Andreessen Horowitz, merkt dies in einem viel beachteten Blogbeitrag an. Neben der groben Unterteilung in die drei Geschäftsbereiche Media, Elektronik und allgemeine Handelsware sowie dem Bereich „Andere“ (hauptsächlich Amazon Web Services AWS), verteilen sich mehrere Dutzend internationale Teams über das gesamte Unternehmen. Diese befinden sich in unterschiedlichen Reifephasen: Einige sind relativ alt, haben sich etabliert, wachsen langsamer und sind profitabel. Andere sind neue Startups, entwickeln ihr Geschäftsmodell, verlieren dabei Geld, wie es jede andere Neugründung ebenfalls macht. Einige davon sind bereits profitabel, andere verkaufen zum Selbstkostenpreis oder nehmen Verluste in Kauf, um Traffic und Kundenbindung für die Hauptseite zu generieren. Der Buchmarkt liefert hierfür ein gutes Beispiel. Es gibt die weit verbreitete Annahme, dass Amazon auf dem internationalen Markt Bücher mit Verlusten verkauft, auch wenn der absolute Preis dem Preis im stationären Handel recht nah kommt. Einige werden mit Rabatten angeboten, aber bei weitem nicht alle. Lässt man laufende Rechtsstreitigkeiten außer acht, kann deren Zahl und tatsächliche Preisgebung wohl niemand wirklich durchschauen.

Dieses Bundle an Bausteinen spiegelt sich deutlich in Amazon Prime wieder: Als Mitglied erhält man nicht nur kostenlosen Warenversand, schnellere Zustellung der Bestellungen, sondern auch Zugang zu Amazon Instant Video und weiteren Vorteilen. Natürlich kostet Amazon der Erwerb der Filmrechte, in absoluten Zahlen, hohe Summen. Doch das Prinzip eines skalierenden Geschäftsmodells liegt ja darin, dass die Grenzkosten, um dieses Angebot einer unbegrenzten Menge an Nutzern zur Verfügung zu stellen, sehr niedrig sind. Es wäre viel zu kurz gedacht, nur die alleinigen Kosten für den Rechteerwerb zu betrachten. Es ist allgemein bekannt, dass Prime Kunden wesentlich öfter einkaufen. Das dahinter liegende Ziel ist natürlich immer, mehr Kunden noch tiefer in das eigene Ökosystem einzubinden.

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Das Amazon Geschäftsmodell

Wem das Geschäftsmodell immer noch unklar ist, dem empfehle ich die folgende Skizze, die Jeff Bezos ursprünglich auf einer Serviette skizziert haben soll.

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So soll die legendäre Skizze aussehen, die Amazon Gründer Jeff Bezos auf eine Serviette gemalt haben soll. (Grafik: Jeff Moore, Amazon.com)

So soll die legendäre Skizze aussehen, die Amazon Gründer Jeff Bezos auf eine Serviette gemalt haben soll. (Grafik: Jeff Moore, Amazon.com)

Eigentlich sollte man den Kreis mehr wie ein Wind- oder Wasserrad darstellen, um die Dynamik widerzuspiegeln, die sich dahinter verbirgt.

  • Selection = Das breite Warenangebot zieht die Kunden an und löst einen Einkauf in immer mehr Bereichen aus. Folglich wird es permanent ausgebaut.
  • Customer Experience = Jeff Bezos sagt: „Wir wollen das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt sein!“
  • Das positive Kauferlebnis, die niedrigen Preise, der gute Kundenservice führt zu hohen Wiederkaufraten und Produktempfehlungen. Folge: Der Traffic und die Conversion Raten erhöhen sich.
  • Sellers = Ein etablierter Marktplatz öffnet sich für Drittanbieter, die vom bereits vorhandenen Traffic und Kundenstamm profitierten. Siehe hierzu: E-Commerce Marktplätze in Deutschland: ebay, Amazon – und sonst nichts.

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Das Schwungrad Wachstum ist stetig in Gang.

Dies vier Komponenten setzen das Schwungrad Wachstum, “Growth”, in Gang. Bis zu diesem Punkt wäre das Business Modell noch nichts Besonderes. Anstatt das Wachstum zu nutzen, um möglichst profitable Gewinne einzufahren, werden – wohl durch kurzfristig hohe Investitionen – die langfristigen Kostenstrukturen gesenkt und parallel dazu die Verkaufspreise weiter niedrig gehalten und nach Möglichkeit sogar gesenkt. Dies treibt das Wachstumsrad weiter an.

Benedict Evans ergänzt dazu: „And someone at Amazon has the job of making sure that each quarter, this nets out to as close to zero as possible, at least as far as net income goes.“ Auf Deutsch: Irgendwo sitzt bei Amazon jemand, dessen Aufgabe es ist, dieses permanente Laufrad an Netto-Einnahmen und Investitionen so auszubalancieren, dass man sich möglichst um die Nulllinie bewegt.

Das Amazon Management weiß, was es tut

Amazon zu unterstellen, dass es ziellos vorgeht und seine Ausgaben nicht im Griff hat, wäre ein großer Fehler. So sagt Amazons Finanzvorstand Tom Szkutak: „Wir haben eine Menge Gelegenheiten vor uns. Wir sind sicherlich jetzt mehrere Jahre lang in einer Phase gewesen, die ich als Investitionsmodus bezeichnen würde. Aber wir wissen, dass wir die Gelegenheiten, die wir verfolgen, sehr genau auswählen müssen.“

Auch Jochen Krisch betont in seinem Exchanges Podcast, dass Amazon sehr genau um seine Stärken und Schwächen weiß. Auch wenn die jüngsten Zahlen zum abgelaufenen dritten Quartal 2014 einen operativen Verlust von 544 Millionen Dollar ausweisen, ist dies nur ein kleiner Ausschnitt der langfristigen Veränderung des Investitionsaufwands seit etwa 2009. Seither wird von jedem Dollar, der eingenommen wird, ein immer größerer Anteil wieder reinvestiert – und es ist derzeit kein Ende dieser Geschäftspolitik zu erkennen.

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Wohin gehen nun diese Investitionen?

Amazon-Streik: Bis voraussichtlich Mittwoch wollen rund 1.800 Beschäftigte an drei deutschen Standorten gleichzeitig ihre Arbeit niederlegen.

Amazon investiert mit großem Aufwand in neue Logistikzentren. (Bild: Amazon)

  • Den Aufbau neuer Warenhäuser, die näher an den Ballungszentren liegen. Das verkürzt die Lieferzeiten, sorgt für niedrigere Logistikkosten pro Paket und hebelt die Erträge pro Bestellung.
  • Neue Warenhäuser bringen mehr Platz für neue Produkte und bieten den Marktplatzhändlern mehr Kapazität für deren Ware.
  • AWS: So wurde zum Beispiel kürzlich in Frankfurt ein neues deutsches Rechenzentrum in Betrieb genommen.
  • Hardware Gadgets: Amazon Dash, Amazon Fire Phone, Kindle Tablet Familie. Hier wurden in der letzten Pressemeldung genannt: Kindle Voyage, der neue Kindle Fire HD, Fire HD Kids Edition, Fire HDX 8.9.
  • Amazon Fire TV wurde neu auf den Markt gebracht.
  • Dafür werden zunehmend eigene Inhalte produziert, wie zum Beispiel die Serie „Alpha House“.
  • Amazon Game Studios entwickelt eine ganze Reihe neuer Spiele.
  • Akquise der Spiele und Gamer Plattform Twitch Interactive, Inc.
  • Amazon Fresh expandiert in den USA in immer mehr Städte und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Lebensmittel-Lieferdienst auch in anderen Ländern ausgerollt wird.
  • Amazon Local Register, der Kreditkartenzahlungsdienst.
  • Etablierung der neuen 3D-Drucker-Kategorie.

Eine eher vielversprechende Hardware-Erweiterung des Amazon Ökosystems: fireTV.(Bild: Amazon)

Schwerpunkte der Amazon-Investitionen

Um die einzelnen Bereiche besser einzuordnen lassen sich Schwerpunkte festmachen:

  • Amazon als Innovationstreiber im Hardwaresektor für den Handel. Wo gibt es derzeit noch andere Handelsunternehmen, die spezielle Shopping-Geräte, wie den Amazon Fire Phone erfinden und in den Markt werfen?
  • Amazon als Communitybuilder. Vordergründig verbindet man das Bild vom Handelsriesen mit Amazon. Doch mit jüngeren Initiativen wie dem Autorenportal WriteOn, Twitch und zuvor Goodreads wird viel für den Aufbau, die Pflege und Integration von Communities unternommen.
  • Amazon auf dem Weg zum Medienhaus und einer Contentplattform. Immer mehr digitaler Content, der sich nahtlos in das eigene Ökosystem und die eigene Hardware integrieren lässt, wird selbst produziert.

Die Frage nach den Gewinnen wird also in eine ungewisse Zukunft verschoben. Vorerst gibt es von Jeff Bezos und Amazon nur eine Zusage: Das Wachstumsrad dreht sich unaufhaltsam weiter und es wird alles nur Erdenkliche unternommen, um dieses Rad am Laufen zu halten. Die finanziellen Kennzahlen liefern jedenfalls keine Argumente um festzustellen, dass Amazon insgesamt Verluste erwirtschaftet oder unprofitabel wäre. Die richtige Frage wäre: Wie lange wollt ihr mit diesen hohen Reinvestitionen weiter machen?

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Amazons Investitionsverhalten geht konträr zu Apples Investitionsverhalten

In einem Podcast diskutieren Ben Horowitz und Benedict Evans das Investitionsverhalten von Amazon. Dabei stellen sie einen interessanten Vergleich zwischen Apple und Amazon an. Apple weist in seiner Bilanz zwischen 150 und 200 Milliarden Barreserven aus. Dort hat man sich entschieden zu einem kleinen Teil das Geld an die Shareholder auszuschütten, indem es erstmals in der Firmengeschichte eine Dividende gab. Offenbar wusste man ansonsten nicht, was man mit dem Geld sinnvolles anfangen könnte. Natürlich gibt es auch bei Apple immer wieder kleinere Akquisitionen von Unternehmen, aber mit dem großen Aktienrückkaufprogramm und der Dividendenausschüttung gab es auch Stimmen, die mangelndes Innovationsdenken unterstellten. Jeff Bezos und Amazon verfolgen genau die entgegen gesetzte Strategie und geben alle Einnahmen sofort wieder aus.

Marktanteile gegen Investitionen

Folglich sollte eine ganz andere Frage gestellt werden. Nämlich die Frage nach dem Zeithorizont. Wo steht der E-Commerce heute und wie weit wird sicher dieser noch entwickeln? Amazon hat, bezogen auf den gesamten Einzelhandel, in den USA vielleicht ein Prozent Markanteil. Für Jeff Bezos, der die Expansion über den laufenden Cash Flow finanziert, gibt es keinen Grund dies zu verändern. Jeder nicht investierte Dollar bedeutet: keine weiteren Produktkategorien, keine neuen Warenhäuser, keine neuen Entwickler, keine weitere internationale Expansionen – die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Learnings für den Handel

Die Marktmacht und damit einhergehende Dominanz von Amazon wird vielfach als beängstigend und übermächtig beschrieben. Darauf möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht eingehen. Vielmehr einige Aspekte aufbringen, die ob der öffentlichen Anti-Amazon Meinungsmache (leider) zu wenig beachtet werden.

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  • Die Frage, die sich der Handel stellen muss: Verfalle ich angesichts der einzelnen, fast unüberschaubaren Projekte von Amazon in Resignation oder nutze ich sie als Denkanstoß und Inspiration?
  • Wie wird mit den eigenen Einnahmen und Gewinnen umgegangen? Werden sie sinnvoll und nachhaltig in den Unternehmensaufbau und die -weiterentwicklung investiert?
  • Wie kann durch aktuelle Investitionen langfristig die Profitabilität des Unternehmens gesteigert werden?
  • Besteht die Möglichkeit eigene Märkte zu schaffen und Nischen zu etablieren?
  • Welche Mehrwerte können den Kunden angeboten werden, um deren Wiederkaufrate, Warenkorbgröße und Kundenbindung zu erhöhen?
  • Wie kann die Aktivierung von Internetnutzern, abseits kommerzieller Aspekte gelingen? Stichwort Community-Building.

Eine ausführliche Analyse zu den Geschäftszahlen und finanziellen Kennzahlen, der Aktienentwicklung und den Zukunftserwartungen habe ich heute Morgen veröffentlicht.

Zu diesem Hintergrundartikel gehört eine Analyse von unserem Gastautor Stefan Hoffmeister: Amazons Rekordverluste: Alles läuft wie geplant.

Dieser Artikel erschien zuerst auf geistreich78.info.

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6 Kommentare
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Thomas D.

Solange sie alles unter Kontrolle und genug Geld haben, die Verluste auszugleichen, super (für Amazon)! Allerdings steigt mit Größe und neuen Geschäftsfeldern auch die Komplexität und auch Amazon kann nicht jeden Misthaufen in Gold verwandeln. Die Tablets laufen, weil sie günstig sind, Produkte zum Marktpreis wie das Fire Phone verkaufen sich da schon schlechter und an den Dash kann ich auch nicht so ganz glauben.

Antworten
christof_versacommerce.de

Ich finde es sehr gut, aus den zahllosen Aktivitäten von Amazon die Kerne heraus zu arbeiten („Learnings für den Handel“), denn diese Strategien sind es, die jeder Händler für sich operationalisieren kann – und sollte. Ansonsten verbieten sich für „den Rest der Welt“ Parallelen zum diversifizierten Geschäft von Amazon – und ich denke, wenn sie es wollen, wird das nächste Quartal auch wieder positiv dargestellt.

Antworten
Erdem W.

Es muss heißen „Logistikzentren“ – nicht: „Warenhäuser“. Es wäre mir neu, dass Amazon hierzulande (oder sonst wo) stationären Einzelhandel betreibt. Wurde etwa schlecht aus einem englischsprachigen Beitrag kopiert?

Antworten
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