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Analyse

Amazon-Missbrauchsverfahren: Wir brauchen ein umsetzbares Händlerschutzgesetz

Jahre nachdem Marktplätze zum Dreh- und Angelpunkt des Handels geworden sind, prüft das Bundeskartellamt Amazons Umgang mit den Händlern. Das reicht noch lange nicht.

Von Jochen G. Fuchs
5 Min.
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Amazon ist  im Visier der Kartellwächter. Ein erster Schritt, dem aber umsetzbare Neuregelungen mit dazu passender, staatlicher Infrastruktur folgen müssen. (Foto: Frank Gaertner / Shutterstock.com)

 

Als Jeff Bezos Ende April den Axel-Springer-Award in Berlin in Empfang nahm, sprach er unter anderem darüber, dass er die aktuelle grundsätzliche Skepsis gegenüber Internet-Unternehmen verstehe. Die Unternehmen seien inzwischen so groß geworden, dass dies eine stärkere Aufsicht rechtfertige. Fast, so klang es, forderte Bezos die  Aufsicht ein. Jetzt ist es soweit: Das Bundeskartellamt hat ein Missbrauchsverfahren gegen Amazon eingeleitet. Es soll überprüft werden, ob Amazon seine Marktposition zu Lasten der aktiven Händler auf dem Marktplatz ausnutze, laut Amazon will das Unternehmen „vollumfänglich mit dem Bundeskartellamt kooperieren und weiterhin daran arbeiten, kleine und mittlere Unternehmen in ihrem Wachstum zu unterstützen.“ Grundsätzlich ist das Agieren des Bundeskartellamts begrüßenswert, aber wichtiger als ein bürokratischer Verwaltungsakt, wäre eine generelle gesetzliche Regelung der Händler-Pflichten und Rechte auf einem Marktplatz. Hoffen wir, dass die Chance genutzt wird.

Marktplätze beherrschen den Handel

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Es wird immer wieder über Amazons Stellung im deutschen Onlinehandel diskutiert. Jetzt sieht das Bundeskartellamt Anzeichen dafür, dass Amazon den Markt tatsächlich beherrscht. In der Folge einer markbeherrschenden Stellung wären die Händler von Amazon abhängig. Das Amt scheint jetzt Anzeichen dafür zu sehen. Zu Recht, denn nüchtern betrachtet ist damit zu rechnen, dass auf dem Marktplatz von Amazon der wesentliche Anteil am deutschen E-Commerce-Umsatz generiert wird. Im letzten Jahr lag dieser Anteil laut t3n-Hochrechnungen bei geschätzten 53 Prozent, zusammengesetzt aus dem Amazon-eigenen Umsatz und dem Umsatz der Händler auf dem dortigen Marktplatz. Je nach Hochrechnung und den zugrundeliegenden Annahmen, kursieren aber auch andere Zahlen. Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (Bevh) hat in einer Konsumentenbefragung ermittelt, dass rund die Hälfte des deutschen E-Commerce-Umsatzes 2018 von Marktplätzen wie Amazon und Ebay generiert wird. Ein anderes Beispiel liefert eine aktuelle Studie, derzufolge der Handel auf Amazon schon 20 Prozent des gesamten deutschen Buchmarkts ausmacht – online und offline.

Die Dunkelziffer des Marktplatzumsatzes in Deutschland dürfte vermutlich noch höher sein, denn die Top-10-E-Commerce-Seiten in Deutschland arbeiten mit Marktplatzmodellen und einer dahinter liegenden Plattformstrategie und erwirtschaften damit Milliardenumsätze: Amazon, Ebay, Zalando, Otto.

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Der Kunde gibt vor, wo verkauft wird

Kann man in Deutschland noch Umsatz mit einem eigenen Onlineshop machen? Ja, aber für die meisten Händler führt kaum noch ein Weg an Amazon und an anderen Marktplätzen vorbei. Amazon hat längst Google als Produktsuchmaschine abgelöst, die Suche nach Produkten beginnt für viele direkt bei Amazon, oder für eine Minderheit eben auf einem anderen Marktplatz. Wer Kunden zeitgemäß erreichen will, muss auf einem Marktplatz präsent sein. Unternehmerisch auf Sicherheit zu setzen und die Absatzkanäle zu diversifizieren, für den Fall, dass ein Kanal ausfällt, ist ratsam. Aber nicht jeder Händler will das. Das Verkaufen auf Marktplätzen erfordert Spezialwissen über die Funktionsweise der jeweiligen Plattform. Auf vielen Plattformen verkaufen verursacht dementsprechend mehr Aufwand.

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Marktplätze lohnen sich, für Händler und Betreiber

Viele Händler entscheiden sich sogar, wie die altbekannten Beispiele von Kavaj und KW Commerce zeigen, nur bei Amazon oder nur auf Marktplätzen zu handeln. Schlicht weil es sich lohnt. Marktplätze, das zeigen viele Erfolgsstorys von kleinen bis mittleren Händlern, sind nicht nur Risiko, sondern vor allem Absatzchance. Schließlich wird beispielsweise in Deutschland nach t3n-Hochrechnungen und externen Studien mehr als die Hälfte des Marktplatz-Handelsumsatzes (GMV) von Händlern generiert. Die Umsätze und Erträge von Amazon kommen mittlerweile auch überwiegend aus den Taschen der Händler, damit hat auch Amazon ein starkes Eigeninteresse am Gedeihen der Händler.

Händler kämpfen mit Ungewissheit auf Marktplätzen

Aber über den Händlern schwebt ein Damoklesschwert: Beispielsweise die Accountsperrung. Ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen des Marktplatzes kann so etwas selbstverschuldet oder die Aktivierung eines finanzregulatorischen Prüfungsprozesses auch unverschuldet hervorrufen.

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Torsten Lippke vom Feuerwehr-Bedarfs-Onlineshop „Roter Hahn 112“ traute letztes Jahr im Weihnachtsgeschäft seinen Augen nicht: Ohne Vorwarnung sperrte Amazon sein Verkäuferkonto und forderte Lippke auf, seine Geschäftsdokumente hochzuladen. Was war passiert? Lippke steigerte im Weihnachtsgeschäft seinen Umsatz in seinem Amazon-Account um mehr als das Dreifache. Diese Umsatzsteigerung muss bei Amazon einen vorgeschriebenen Schwellenwert überschritten haben, ab dem interne, auf gesetzlichen Regeln basierende Vorschriften eine Überprüfung des Händlers erforderlich machen. Als Lippke seinen alten Gewerbeschein hochlud, anstatt einen neuen, der seine bestehende gewerbliche Registrierung bestätigt hätte, war es geschehen: Der Händler steckte im gesetzlich vorgeschriebenen Verifikationsprozess fest und wandte sich schließlich an unsere E-Fuchs-Hilft-Kolumne. Das Problem und seine Ursachen konnte mit Hilfe der Pressestelle von Amazon schnell geklärt werden und nach einer Woche war der Händler wieder am Start.

Das Beispiel zeigt exemplarisch das Problem auf, das facettenreicher ist, als es scheint. Auf der einen Seite gibt es regulatorische Vorschriften und Gesetze, die Unternehmen zu bestimmten Prozeduren verpflichten. In dem Fall ein Identifizierungsprozess (KYC). Die zugrundeliegenden Gesetze und Regularien sind aber oft unzureichend und nicht funktionstüchtig an die digitale Welt angepasst. Und schon gar nicht an die Welt der Marktplätze. Wenn, wie bei Lippke, überprüft werden muss, ob eine steuerliche Registrierung vorliegt – wieso zum Teufel ist das nur per händisch gestempeltem Formular möglich und nicht über eine behördliche Schnittstelle? Da fehlen wesentliche technische Infrastrukturen im Staatswesen. Nebenbei bemerkt, sind die entsprechenden Formulare bundesweit weder einheitlich noch maschinenlesbar.

Auf der anderen Seite berücksichtigen eben selbe regulatorische Vorschriften und Gesetze die Rechte der Händler nicht. Diese Regelungen sind nicht speziell für Marktplätze konstruiert. Um auf das Beispiel von Lippke, dem gesperrten Händler, zurückzukommen: Wo ist geregelt, was mit einem in Prüfung befindlichen Händlerkonto geschieht? Wo ist festgehalten, dass so ein Prozess in einer bestimmten Zeit abgeschlossen sein muss?

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Marktplätze, die Mietskasernen des 21. Jahrhunderts

Im Juni 1923 ist zum ersten Mal erkannt worden, dass das Wohnrecht schützenswert ist und der Mieter nicht der Willkür des Vermieters unterworfen sein sollte. Was wir brauchen ist ein ähnliches Mieterschutzgesetz für „Mieter“ auf einem Marktplatz. Händler, sind auf vielfältige Weise abhängig vom Marktplatzbetreiber. Der Marktplatzbetreiber ist aber auch abhängig vom Gesetzgeber, der brauchbare Regularien und vor allem auch eine praktikable Umsetzbarkeit gewährleisten muss. Die kommende gesetzliche Haftungsregelung für Marktplätze zeigt mal wieder, wie es nicht laufen soll: Da unser Behördenapparat vorerst nicht in der Lage ist, die verpflichtende Überprüfung der umsatzsteuerlichen Registrierung von Händlern auf Marktplätzen elektronisch anzubieten, werden Händler im nächsten Jahr wieder gestempelte Formulare vorlegen müssen. Und das hat ja schon bei Torsten Lippke nicht funktioniert. Deshalb bleibt zu hoffen, dass das Missbrauchsverfahren nicht in sinnlosen Aktionismus endet, sondern tatsächliche Änderungen anstösst und der Gesetzgeber endlich mal rechtzeitig an eine zeitgemäße Infrastruktur zur Umsetzung denkt.

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