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Der Amazon-Skandal, der keiner war: Retouren-Vernichtung ist Standard im Handel

Amazon vernichtet Retouren. Empörung in Medien, Politik und im Netz. Wer näher mit dem Handel zu tun hat, zuckt hingegen nur mit den Achseln: Business as usual. Das Thema Retouren-Vernichtung ist kein Problem des Handels, sondern der Gesellschaft.

Von Jochen G. Fuchs
5 Min. Lesezeit
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Amazon Logistikzentrum in Dupont, Washington, USA.
(Foto: t3n.de/Jochen G. Fuchs)

Der Skandal um die angebliche Vernichtung von zurückgesandten Neuwaren bei Amazon ist heuchlerisch, verlogen und entbehrt größtenteils einer sinnvollen Grundlage. Der Handel, damit ist ausdrücklich der gesamte Handel und nicht nur der Onlinehandel gemeint, vernichtet seit eh und je Altwaren und Retouren. Ja, dabei sind auch Neuwaren zu finden. Der Großteil der vernichteten Produkte ist aber schlicht nicht mehr verkaufsfähig. Der Endkunde, der als Teil der Konsumgesellschaft Produkte zurücksendet, obwohl sie in Gebrauch waren, ist Teil dieses Zyklus. Die Ressourcen-Verschwendung, die hier angeprangert wird, entsteht durch eine Konsumgesellschaft, die ihre Produkte nicht mehr repariert, sondern austauscht. Der Handel ist nur derjenige, der den Dreck wieder aufräumen darf.

Wieso der Handel Waren vernichtet

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Die Antwort lautet schlicht und einfach: erst wenn es keine andere Option mehr gibt. Wenn das Produkt nicht mehr verkaufsfähig ist, wenn ein benutztes Produkt nicht mehr rabattiert verkauft werden kann – und wenn Restpostenaufkäufer und Endkunden auch bei einem Schnäppchen nicht mehr zugreifen wollen.

Zerstört wird neben der schlichten Platzersparnis unter anderem auch aus steuerlichen und buchhalterischen Gründen. Ein Grund sei beispielhaft genannt: Wird noch funktionstüchtige Ware nicht mehr als Handelsgut, sondern als Inventar in einer Inventur erfasst, dann muss ein Händler die Artikel als Afa-Abschreibung verbuchen. Unter anderem über Jahre hinweg. Ein zerstörter Artikel kann direkt als Totalverlust verbucht werden.

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Das Gebot der Wirtschaftlichkeit steht dabei im Vordergrund. Es gibt aber auch rechtliche Regelungen, die Händlern keine andere Wahl lassen, als Artikel zu entsorgen. Ein Überblick über die wichtigsten Entsorgungsgründe liefert die nachfolgende Aufstellung:

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Hygieneartikel: nach Rücksendung per Gesetz Schrott

Benutzte Hygieneartikel, die besonders intensiv mit dem Körper in Berührung kommen, dürfen nach einer Rückgabe nicht erneut in den Verkauf gelangen. Nur versiegelte Ware darf wieder verkauft werden. Der Rest wird an den Hersteller zurückgesandt oder zerstört – je nach Rücknahmevereinbarung. Das Gesetz sieht für das Widerrufsrecht bei solchen Artikeln Regelungen vor, die die Händler vor Rücknahme schützen. Bleibt noch die Gruppe der Artikel, die gegen einen Wertersatz trotzdem retourniert werden darf. Und die Artikel, die erst bei Prüfung als benutzt identifiziert werden. Außerdem noch auf Kulanz vorgenommene Rücknahmen.

Retourenartikel, deren Wiederaufbereitung mehr kostet als die Herstellung

Oft geschieht die Zerstörung von Artikeln auf Anweisung des Herstellers, dessen Vereinbarung mit dem Händler vorsieht, dass defekte Geräte nicht zurückgeschickt, sondern vernichtet werden sollen. Dann erhält der Händler eine Gutschrift über den Einkaufspreis des vernichteten Gerätes. Wenn Instandsetzung, Rückversand und Fehlerprüfung zusammengenommen teurer wären als der einfache Austausch eines Gerätes, wählt der Hersteller oft diesen Weg. In der durchschnittlichen Service-Datenbank eines Händlers mit Elektrogeräten ist erfahrungsgemäß mindestens ein hoher zweistelliger Prozentsatz solcher Vereinbarungen zu finden: Beispielsweise, wenn für den Onlinehändler die Reinigung, Prüfung und Verpackung des Artikels bereits mehr Kosten verursachen würden, als der erneute Verkauf einbrächte. Wenn aber allein Rücksendung und Wiederaufbereitung eines Artikels schon hohe Kosten verursachen, wird auch hier ein Händler seine Kunden eher um Entsorgung bitten und Ersatz oder Erstattung anbieten.

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Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten

Alle Produkte, die im weiteren Sinne der Produktkategorie Lebensmittel zuzuordnen sind, haben ein Mindesthaltbarkeitsdatum. Auch wenn die meisten Verbraucher wissen, dass es „mindestens haltbar bis“ und nicht „sofort tödlich ab“ heißt, dürfen Händler abgelaufene Produkte nicht mehr verkaufen. Im Onlinehandel setzt der Entsorgungsprozess bei diesen Produkten technisch bedingt früher ein  unter anderem aufgrund der Versandlaufzeiten.

Lagerüberhang

Der letzte Punkt in dieser Liste ist der wahrscheinlichste Kandidat, der zur Verschrottung von Neuwaren führt: Artikel, die niemand rabattiert oder geschenkt haben will, werden zerstört. Meist geht eine warenwirtschaftliche Kalkulation voraus, die berücksichtigt, wie lange ein Artikel schon ohne jede Bewegung auf einem Lagerplatz liegt und was der sinnlos belegte Lagerplatz das Unternehmen jährlich kosten würde.

Amazons Retourenhandling: Verkaufen, verschenken, notfalls zerstören

Angesichts der Berichterstattung durch Frontal 21 und der Wirtschaftswoche stellt sich der Verbraucher eine berechtigte Frage: Was macht eigentlich Amazon mit Retouren?

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Die Antwort ist ebenso simpel wie logisch: In erster Linie das, was alle Händler machen. Wiederaufbereiten und verkaufen. Wenn es sich um benutzte Ware handelt, dann auch mit Abschlag in den sogenannten „Warehouse Deals“. Zusätzlich gibt es gewerbliche Verwerter, die sich auf den Aufkauf von Restposten und Retouren spezialisiert haben, auch die kaufen bei Amazon ein. Diese Unternehmen kaufen aber auch nicht wahllos alles. Eine andere Alternative ist das Spenden von noch gebrauchsfähigen oder neuen Artikeln. Nicht ganz einfach, denn gemeinnützige Organisationen haben meist einen sehr spezifischen Spendenbedarf. Deshalb wickelt Amazon viele Spenden über den Marktplatz Innatura und international über Kind Direct ab. Beides sind Marktplätze, die Spenden gezielt nach Bedarf vermitteln.

Nach Recherchen von Wortfilter.de werden rund 99 Prozent der Retouren bei Amazon in irgendeiner Form wieder in den Warenkreislauf zurückgeführt. Knapp ein Prozent der Retouren wird zerstört. Bei Amazon kommt im dokumentierten Fall von Frontal 21- und Wirtschaftswoche-Berichterstattung der Recycling-Spezialist H&G der Henrich Gruppe zum Einsatz. Er entnimmt den entsorgten, zerstörten Produkten die verwertbaren Stoffe und führt sie wieder dem Produktionszyklus der Gesellschaft zu. Das sollte bedacht werden, wenn von Ressourcen-Verschwendung die Rede ist. Zerstörte Produkte werden ja nicht im Hinterhof des Handels vergraben.

Amazon hat selbst kein Interesse an einer erhöhten Retourenzahl und an den damit verbundenen Warenabfällen. Der US-Konzern arbeitet mit ausgefeilten Nachfrageprognosen um Überbestände zu verhindern und versucht mit Produktinformationen, Bildern, Videos und Rezensionen möglichst zutreffende Beschreibungen der Produkte zu liefern. Wer trotzdem völlig überzogen Waren in hoher Zahl zurücksendet, muss in Einzelfällen auch mit einer Sperrung seines Kundenkontos rechnen.

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Ein Gesellschaftsproblem, kein reines Handelsproblem

Solange die Produktion von Waren günstiger ist als die Instandsetzung oder die Rücksendung, wird diese Praxis erhalten bleiben. Verbraucher werden ohne zu zögern Artikel wegwerfen, wenn sie  einen neuen zugesandt bekommen – und Händler werden weiterhin Artikel zerstören. Effekthascherei wie sie Frontal 21 und die Wirtschaftswoche betreiben und die ebenso populistische wie öffentlichkeitswirksame Schelte des Handels wie sie Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, betreibt, ist deshalb fürchterlich naiv. Flasbarth hat Amazon aufgefordert, die Vorwürfe aufzuklären: „Das ist ein riesengroßer Skandal, denn wir verbrauchen auf diese Weise Ressourcen mit allen Problemen auf der ganzen Welt“, sagt der Beamte und erweckt damit den Eindruck, es handele sich um ein singuläres Fehlverhalten eines Händlers. Dabei ist es weltweite Praxis, die von der Industrie bevorzugt und vom Verbraucher durch sein Konsumverhalten implizit unterstützt wird.

Eine Möglichkeit, um zu einer nachhaltigeren Umgangsweise zu gelangen, wäre eine weltweite Reform der Betriebswirtschaft: Würden politische Kräfte die Variable der Umweltkosten zwingend in die Produktionskalkulation einfügen, würde es rentabler, Produkte zu reparieren und zu aktualisieren. Werden beispielsweise Umweltschäden berücksichtigt, die bei der Metallproduktion entstehen, wird der Werkstoff deutlich teurer. Und je teurer ein Rohmaterial wird, desto rentabler wird die Reparatur eines Gegenstandes, der diesen Werkstoff benötigt.

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Dein t3n-Team

matrixOnline

Es ist ein Skandal wenn man Unmengen an Müll erzeugt, nur weil man damit keinen Umsatz mehr machen kann. … Amazon (und diverse andere Unternehmen) könnten statt zerstören, recyceln!

Antworten
Verstecker Name

Erst Lesen, dann kommentieren liebe MatrixOnline:
„Bei Amazon kommt im dokumentierten Fall von Frontal 21- und Wirtschaftswoche-Berichterstattung der Recycling-Spezialist H&G der Henrich Gruppe zum Einsatz. Er entnimmt den entsorgten, zerstörten Produkten die verwertbaren Stoffe und führt sie wieder dem Produktionszyklus der Gesellschaft zu.“

Antworten
Jutta Schreiter

Offensichtlich gibt es Berechnungen über die entstehenden Umweltkosten. Warum werden diese dann nicht in die Artikel einbezogen? So zahlen wir alle die Kosten für entstandene Umweltprobleme, auch wenn wir uns Umweltfreundlich zu verhalten suchen. Umweltfreundliches handeln und haushalten wir bei uns also bestraft, weil wir alle für diejenigen mit zahlen müssen, denen die Umwelt und somit auch unser Klima schnurzegal ist. Dabei können wir in den momentan auftretenden Unwettern den Klimawandel erkennen, der auch uns trifft und enorme Kosten verursacht, die die Gesellschaft zu tragen hat und deshalb entsteht, weil wir solch ein unsinniges Wirtschaftssystem haben :-(

Antworten
frankie123dd

Jutta, Ist doch ganz einfach, „Geiz ist geil“. Solange das beim Kunden im Kopf ist, werden auch keine höheren Preise akzeptiert. Der Kunde lässt dem Händler doch keine andere Wahl.

Antworten
Jutta Schreiter

Nicht der Kunde, die Politik ist schuld an den Verhältnissen. Der uns von unseren gewählten „Volksvertretern“ aufgezwungene und eingebläute Neoliberalismus ist die Ursache. Sowie die dem Neoliberalismus geschuldete Agenda 2010 mit den daraus entstandenen Folgen, wie Niedriglöhne, prekäre Beschäftigung und arme Rentner, die vielen Menschen keine andere Wahl lassen, als billig Produkte zu kaufen. Der „Geiz ist geil“ Unfug wurde uns doch über unsere Propagandapresse eingeredet. Nun stellen wir fest, dass unser Art zu wirtschaften den Planeten Erde zerstört. Das ändert aber nichts an den Verhältnissen, weil wir weiter neoliberal wählen und denken und die Ursachen da suchen, wo sie nicht zu finden sind :-(

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