Amazons erster Laden in Deutschland: Ein Vorbote zum Amazon-Kaufhaus?
Auf zwei Etagen eröffnet Amazon in Berlin am Kudamm 26a den ersten Laden in Deutschland. Lange wird das Geschäft nicht bleiben, nach fünf Tagen ist schon wieder Schluss: Der Pop-up-Store Home of Christmas schließt am 27. November wieder. Amazon will dort mit seinen Kunden Plätzchen backen, Adventskalender basteln, Amazon-Endgeräte und Geschenkideen aus dem eigenen Angebot und dem Angebot seiner Händler und Kunsthandwerker präsentieren. Die Konzeption zeigt schon, wie Amazon stationär denkt: im Laden kaufen und mit nach Hause nehmen, ist nicht möglich. Alles wird online bestellt. Im Laden geht es vorrangig um das Kundenerlebnis. Ein Konzept, dass sich auch im größeren Stil umsetzen ließe.
Der Amazon Pop-up-Store Home of Christmas
Keine Kasse, kein Warenlager, aber viele Geschenkideen querbeet durch nahezu alle Produktkategorien. Profane Energieriegel über edle Adventskalender bis hin zum Lego-X-Wing-Fighter stehen in rustikalen Holzregalen zwischen glitzernder und funkelnder Weihnachtsdekoration. Jedes Produkt ist mit einem Smile-Code versehen, ein Amazon-eigener QR-Code, der in der Amazon-App direkt zum Produkt führt.
Am Eingang empfängt der Weihnachtsmann die Kunden, direkt dahinter beginnt die Produktpräsentation. Huawei und HP führen mobile Fotodrucker, Smartphones und mehr vor. Etwas weiter hinten gießt Nespresso Kapsel-kaffee aus und dahinter kocht der Marktplatz-händler 3Bears aus München Porridge und stellt sein neues Kochbuch vor. Gegenüber sind etwa vier bis fünf Meter Regalfläche für Produkte aus dem Marktplatz und dem Handmade-Programm reserviert. Dort tummeln sich Reishunger, Hallingers Genussmanufaktur mit Tees und Schokoladen, Halm präsentiert die gleichnamigen nachhaltigen Strohhalme oder Happypo zeigt sein portables Hosentaschen-Bidet.
Hier soll der Kunde sich austoben können, Produkte ausprobieren, durch ein Smart-home flanieren, sich schminken oder frisieren lassen, Lego-Landschaften aufbauen – oder erschöpft auf einem der rund einem halben Dutzend Hocker vor dem Weihnachtskino niedersinken. Amazon hat seinen Pop-up-Store mit vielen Aktivitäten ausgestattet.
Diese Kundenerlebnisse will Amazon bieten
Täglich bietet Amazon unterschiedliche Veranstaltungen an. Für Kinder sind immer der Weihnachtsmann ab 14.00 Uhr und Olaf aus „Die Eiskönigin“ ab 10.00 Uhr im Einsatz.
Ansonsten gibt L’Oréal Männern Pflegetipps, am 22. November gibt Schauspielerin Joyce Ilg mit Samsung Instagram-Tipps, Sophia Thiel gibt am 26. November Workout-Tipps und die Stimmen von Brad Pritt und Angelina Jolie lesen Adventsgeschichten. Obwohl sie eigentlich eher aus dem Buch „Der Rosenkrieg“ vorlesen müssten, da sich ihre Alter Egos in Scheidung befinden. Für Prime-Mitglieder gibt es ein exlusives Konzert von Rea Garvey am 27. November. Für die meisten Veranstaltungen müssen sich Besucher anmelden.
Ohne Anmeldung kann vor der Tür gelächelt werden, dort ist in einem Schaukasten eine Smile-Box, mit der für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ein Euro pro Lächeln gespendet werden soll – wenn mindestens 10.000 Kunden lächeln, legt Amazon noch 5.000 Euro nach. Auch die im Laden ausgestellten Artikel gehen nach der Schließung des Pop-up-Stores an das DRK.
Abgerundet wird das Programm von den obligatorischen Weihnachtsbäckereien und -basteleien. Im Prinzip hat Amazon hier das Rahmenprogramm, das große deutsche Kaufhäuser dünn gesät in den Alltag integrieren, in deutlich prägnanterer Form zur Hauptsache erhoben und den Verkauf gefühlt zur Nebensache degradiert.
Das Pop-up-Store-Konzept und was Amazon damit erreichen will
Ein konkretes Ergebnis erwartet Amazon von dem neuen Laden nicht – zumindest nicht im Sinne von betriebswirtschaftlichen Zahlen. Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber ist da deutlich: „Wieviel verkauft wird, spielt keine Rolle.“ Aber das Kundenfeedback wird Amazon, wie gewohnt, von seinen Kunden einholen. Dass die Daten aus den überall platzierten Smile-Codes ausgewertet werden, die zu den im Laden befindlichen Artikelbeschreibungen führen – und die Konversionen ausgewertet werden, lässt sich allerdings nur vermuten. Wahrscheinlich ist es aber. Wieso sollte sich Amazon die Gelegenheit entgehen lassen, den Absatz in einem Showroom in Deutschland zu messen. Worauf Kleber hinaus will, ist etwas ganz anderes: Amazon ist online obsessiv auf das Kundenerlebnis bedacht. Das ist stationär nicht anders. In diesem Laden zählt nur eines: Möglichst viel Erlebnis bieten. Und das geht nicht, wenn auf engem Raum sämtliche Regale mit Waren beladen sind, deshalb wird hier nichts direkt verkauft, sondern nur über die Website.
Amazon erreicht damit mehrere Dinge jenseits der medialen Aufmerksamkeit, die nur bedingt eine Rolle spielt: Kunden lustwandeln, das Wort ist hier angebracht, durch den Laden, spielen ohne jeden Kaufzwang mit Dingen und entdecken Waren, die sie vorher noch nicht kannten. Oder tauchen tiefer in Produkte ein, die sie schon kannten. Sie lassen sich inspirieren, essen etwas von den zahlreichen Produktproben oder lassen die Kinder spielen und mit dem Weihnachtsmann lachen.
Amazon sammelt hier jede Menge positive Emotionen ein, die mit der Marke konnotiert werden. Das ist kein Marketing-Gag, das ist für das Unternehmen bares Geld wert. Und wer weiß, ob das betriebswirtschaftliche Ergebnis der Läden nicht doch bedeutender ist als es den Anschein hat. In Mailand durchströmten extrem viele Kunden den Laden, der Andrang war so enorm, dass am Abend die Polizei vorbeischaute, um Maßnahmen zur Verkehrsregelung zu besprechen. In Berlin startete der Laden sehr ruhig, die ersten Gäste waren überwiegend Journalisten, die sich bei der Suche nach Kunden beinahe mehrfach gegenseitig interviewten. Der direkt nebenan gelegene Apple-Store hatte eine längere Schlange von Kunden vor der Tür. Im Laufe des Morgens nahm der Kundenzustrom dann aber zu.
Amazon-Deutschland-Chef Kleber äußerte sich bei der vorabendlichen Pressevorführung nicht zu den stationären Plänen von Amazon, das ist keine Überraschung. Amazon äußert sich nie zu Zukunftsplänen. Kleber deutete aber an, wie Amazons Sichtweise auf den lokalen Handel ist: „In Deutschland sollen ja nur zehn Prozent des Einkaufs online erledigt werden, 90 Prozent werden stationär eingekauft. Da scheint ja noch jede Menge Potenzial vorhanden zu sein.“
Und dieses Potenzial erprobt Amazon hier eben mit fünf Weihnachts-Pop-up-Stores, die in diesen Tagen in Berlin, London, Madrid, Mailand und Paris eröffnet wurden. Im Gegensatz zum Konzept Amazon-4-Stars verkauft Amazon nichts direkt in den Läden. Im ersten Schritt wird aus dieser Aktion vielleicht nur eine Weihnachtstradition. Wahrscheinlicher ist es, dass unter anderem die Erkenntnisse aus diesem Pop-up-Store-Konzept dazu führen könnten, dass wir irgendwann vor einem Amazon-Erlebnis-kaufhaus stehen.