
Die Messung der HFV ist bereits bei vielen Smartwatches der Standard, anhand dessen Stresswerte geschätzt werden. Dabei definiert der Messwert den Abstand zwischen zwei Pulsausschlägen. Je regelmäßiger der Puls schlägt, desto gestresster ist der Mensch.
Das ist die HFV
Es scheint kontraintuitiv, ist aber tatsächlich so, dass eine im Millisekundenbereich möglichst unregelmäßige Pulsfolge für höhere Gelassenheit spricht. Das ist leicht erklärbar.
Anspannung und Entspannung werden im menschlichen Körper durch das vegetative Nervensystem, konkret den aktivierenden Sympathikus und den entspannenden Parasympathikus gesteuert. Die beiden Teile des Nervensystems bewirken im Zusammenspiel den gesunden Herzschlag.
Ist der nun aber sehr regelmäßig, liegt eine Dominanz des Sympathikus, des aktivierenden Teils des Nervensystems, der für die Kampf-oder-Flucht-Reaktion des Körpers zuständig ist, vor. Der entspannend wirkende Parasympathikus kann sich nicht recht durchsetzen.
Eine niedrige HFV ist die Folge. Die Herzfrequenzvariabilität kann bei völlig gesunden Menschen zwischen unter 20 und über 200 Millisekunden liegen. Daher ergibt es keinen Sinn, seine eigene HFV mit der anderer Personen zu vergleichen. Sinnvoll ist ausschließlich die kontinuierliche Messung und der Vergleich der eigenen Werte gegeneinander.
Kompetitive HFV-Messung nicht sinnvoll
Schon bislang gibt es Apps für die Apple Watch, etwa AI Stress oder Athlytic, die die HFV aus den Pulsdaten extrahieren. So machen es Wearables von Fitbit oder Garmin seit Jahren. Auch Samsung setzt bei seinen Smartwatches auf die reinen Pulsdaten.
Dabei ist deren Annahme sehr einfach. Steigt die HFV, sinkt der Stress und umgekehrt. Fitbit nimmt bei seinen aktuellen Modellen teils noch die Messung der elektrischen Eigenschaften der Hautoberfläche hinzu.
EKG-Daten besser als reine Zeitmessungen
Forschende der kanadischen University of Waterloo konnten nun zeigen, dass die Verwendung der EKG-Daten der Apple Watch helfen kann, das Stressniveau Nutzender deutlich zuverlässiger vorherzusagen. Das verwundert allerdings nicht.
Denn die bei dem Ein-Kanal-EKG der Apple Watch anfallenden Daten sind nicht bloße Zeitmessungen zwischen zwei Pulsausschlägen, sondern sehr viel genauer. Apple schreibt: „Die Fähigkeit der EKG-App, eine EKG-Aufzeichnung genau in Vorhofflimmern und Sinusrhythmus zu klassifizieren, wurde in einer klinischen Studie mit etwa 600 Probanden getestet. Sie zeigte eine Spezifität von 99,6 Prozent in Bezug auf die Klassifizierung des Sinusrhythmus und eine Sensitivität von 98,3 Prozent für die Klassifizierung von Vorhofflimmern.“
So gingen die Forschenden vor
Das erlaubt mehr, dachten sich die Forschenden aus Kanada und statteten ihre Studienteilnehmenden mit einem iPhone 7 mit installiertem iOS 15 und einer Apple Watch Series 6 aus. Über einen Zeitraum von zwei Wochen sammelten die Teilnehmenden sechsmal am Tag im Abstand von drei Stunden Daten.
Für die Studie wurden Algorithmen des maschinellen Lernens in Kombination mit anderen Faktoren wie dem Alter, dem Geschlecht und dem Beruf der Probanden herangezogen.
Dabei stellte sich heraus, dass die Apple Watch einwandfrei erkennen konnte, wenn sich Probanden in einer Phase ohne Stress befanden. Dieses Ergebnis war gut reproduzierbar.
Weniger gut reproduzierbar, aber im konkreten Fall ebenso präzise zeigt sich die Watch bei der Erkennung von Stresszuständen. Das Resümee der Forschenden: „In Anbetracht der im Vergleich zur Norm sehr kurzen Dauer der hier durchgeführten EKG-Messungen sowie der Art der Messungen im realen Leben waren die vorgelegten Ergebnisse recht vielversprechend.“
EKG-Daten können zu gutem Kombi-Tool führen
Sie erwarten, dass der EKG-Sensor der Apple Watch in Kombination mit der Schlaf- und Aktivitäts-Tracking der Uhr zu einem guten Instrument zur Stressvorhersage entwickelt werden könnte. Das könnte Nutzenden dann Benachrichtigungen über drohende Anstiege ihres Stressniveaus senden und so eingreifen helfen, bevor sich ihre psychische Gesundheit weiter verschlechtern kann.
Die Ergebnisse der Studie haben die Forschenden im Wissenschaftsmagazin Frontiers in Digital Health veröffentlicht.