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Arbeitszeit ist Leistungszeit? Ein riesiges Missverständnis!

Es ist noch zu früh, um Feierabend zu machen – also bleibt der Mitarbeiter sitzen. Doch davon hat weder er noch das Unternehmen etwas. Ein Plädoyer für eine klügere Arbeitszeit.

Von Alexandra Vollmer
4 Min. Lesezeit
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Mark ist eben fertig mit seiner Aufgabe für heute. Kurz bevor er den Rechner runterfährt, registriert er, dass um ihn herum noch die halbe Mannschaft am Schreibtisch sitzt. Mist. Jetzt kann er unmöglich gehen. Wie sieht das denn aus?

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Und so geht er die Präsentation noch einmal durch für das Meeting übermorgen. Und dann startet er doch noch mit dem Angebot, das er sich eigentlich morgen früh vornehmen wollte. Dabei ist er für das Jonglieren mit Zahlen jetzt schon viel zu müde… Obwohl Mark noch bleibt, bleibt die Leistung auf der Strecke. Und was, wenn alle anderen bleiben, weil Mark noch da ist?

Arbeitszeit: Sind Leistungsträger die, die besonders lange tragen?

Das Erfassen der Arbeitszeit hat eine lange Tradition und geht aufs Industrialisierungszeitalter zurück. Der Deal für den Tag: Du gibst für acht Stunden Hirn und persönliche Freiheit ab und stellst deine manuelle Arbeitskraft zur Verfügung – in der Regel für repetitive manuelle Tätigkeiten. Und für den Rest der Zeit darfst du deine wohl verdiente Freizeit genießen. Und wenn du früher gehst, dann fehlt der Firma schlicht ein Handschlag. Also heißt es: Bleiben bis zum Gong. Arbeitszeit und Leistungszeit waren absolut identisch. Und heute?

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Arbeitszeit absitzen: Wer länger bleibt, bringt noch lange nicht mehr Leistung. (Foto: Shutterstock)

Auch heute wird in den meisten Unternehmen noch gestempelt oder zumindest die Anwesenheit in irgendeiner Form erfasst. Und über diese Erfassung werden Überstundenkonten gefüllt, Bezahlungen geregelt und die Arbeitsleistung beurteilt. Wer bleibt, gewinnt. Und irgendwie haben auch die außertariflichen Mitarbeiter, die nicht stempeln müssen, dieses Leistungs-Konzept im Kopf: Wer lange im Büro ist, hat mehr geleistet.

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Ich erinnere mich noch gut, wie ich damals zu Agenturzeiten stets darauf geachtet habe, nicht zu früh zu gehen. Zumindest nie als erste. Das war für mich manchmal echt eine Tortur. Einfach, weil ich es schätze, Dinge flott vom Tisch zu kriegen. Aber nun, lange zu bleiben war ein Zeichen dafür, dass du wichtige Dinge zu tun hast und vermutlich Kunden mit Riesen-Etats betreust. Gut fürs Image. Was für ein Theater.

Äpfel und Birnen

Die Grundidee hinter diesem Drehbuch ist, dass Arbeitszeit nach wie vor gleich Arbeitsleistung ist. Jede Arbeitszeiterfassung, die in irgendeiner Weise an Entlohnung, an Leistung oder auch an Urlaub geknüpft ist, sagt implizit: „Jede Stunde, die du mehr arbeitest, leistet du auch im gleichen Verhältnis mehr.“ Falsch.  Jeder, der schon mal im berüchtigten „Suppenloch“ eine brisante Kundenmail aufsetzen wollte, weiß, dass die Leistungskurve sich einen Teufel um so etwas wie Anwesenheit im Büro schert.

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Anyway… Das Drehbuch steht und die Schauspieler begeben sich auf Position. Zuhause arbeiten, um etwas Wichtiges zu schaffen? Machst du vielleicht noch am Anfang, wenn du hochmotiviert ins Arbeitsleben einsteigst. Aber mit jedem Arbeitsjahr, mit jedem neuen Stempelkissen schwindet die Einsatzbereitschaft. Irgendwann sagst du dir: „Warum soll ich jetzt noch zuhause was tun? Das wird ja nirgends erfasst, bringt mir also nichts.“ Und noch etwas: Alle Schauspieler sind auch exakt dann auf der Bühne, wenn der Regisseur das sagt. Nicht etwa dann, wenn der- oder diejenige besonders produktiv ist. Du bist ein Nachtarbeiter? Pech. Kernarbeitszeit ist von 9 bis 17 Uhr. Nicht die eigene Leistungsfähigkeit, sondern die soziale Norm ist das Maß der Dinge. Wenn frühes Anfangen angesagt ist, dann tut man das. Wenn Lange-Bleiben angesagt ist, dann tut man das eben auch.

Eine Million in einer Sekunde

Hirn abgeben, pflichtgemäß vor Ort sein, möglichst lange bleiben – das mag seine Berechtigung haben, wenn es um die üblichen „Wiederhol-Tätigkeiten“ in der Industrie geht. Tätigkeiten, die wirklich immer gleich ablaufen. Davon gibt es aber nur noch sehr wenige. Wissensarbeit nimmt zu. Und trotzdem wird gestempelt, was das Zeug hält.

Was ist nun aber mit den Ideen, die mir unter der Dusche kommen? Oder mit Überlegungen, die ich beim Kaffee auf der Terrasse am Wochenende anstelle, während ich gerade entspannt in den blauen Himmel gucke? Keine Stempeluhr weit und breit…

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Solche Ideen können dem Unternehmen ein Vermögen einbringen. Innerhalb von wenigen Sekunden entsteht ein Wert, der – wenn die Innovation im Unternehmen dann noch gelingt – durch wochenlange Regel-Arbeit niemals aufgewogen werden kann.

Nehmen wir an, ich arbeite in der Entwicklungsabteilung eines Sportartikel-Herstellers und treffe am Wochenende bei einem Charity-Lauf einen alten Bekannten. Wir kommen ins Gespräch – und er erzählt, wie er seinen Laufschuh nachgerüstet hat. Das Feature, eine Neuheit aus den Staaten, reduziert die Bodenhaftung um ein Drittel! Ich schaue mir das Ding an. Und mir kommt eine Idee. Wieder im Unternehmen trommle ich mein Team zusammen. Ein Vierteljahr später stürzt sich die Läufer-Gemeinde auf einen innovativen Super-Laufschuh. Ein deutscher Sportartikelhersteller ist in den Schlagzeilen und steigert seinen Jahresumsatz um 30 Prozent.

Arbeitszeit ist also auf gar keinen Fall gleich Arbeitsleistung. Nicht einmal annähernd. Arbeitszeit als Maßstab scheidet aus. Und jetzt?

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Leistung besprechen statt messen!

Vergesst das Stempeln und Zeiterfassen zur individuellen Leistungsbeurteilung. Es provoziert soziales Theater und hat keinen Erkenntnisgewinn. Im Gegenteil, es demotiviert und setzt falsche Signale. Abgesehen von den klar beschreibbaren und immer gleichen Tätigkeiten, ist Leistung immer das Ergebnis gemeinsamer Tätigkeit. Messbar nur in der Phantasiewelt der BWL.

Dennoch ist es wichtig, Leistung zum Thema zu machen. Ein Unternehmen ist ja schließlich kein Kinderferienlager. Und selbst da will am Ende das Team, das die meisten Himbeeren gesammelt hat, unbedingt darüber sprechen.

Über Leistung zu reden, ist wichtig, damit sich soziale Spannung auflösen kann. Im Gespräch lassen sich auch die meist sehr wenigen schwarzen Schafe identifizieren. Dazu braucht man keine Pseudo-Messsysteme.

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6 Kommentare
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Arbeitszeit

Nee, Nee
Wenn x-Stunden Arbeitszeit vereinbart sind und auf x-Werktage verteilt werden (ob gleichmässig oder nicht) dann ergibt sich daraus die vertraglich geschuldete individuelle Arbeitszeit und die entsprechende Vergütung. In dieser Zeit bietet der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft an und der Arbeitgeber hält Arbeit vor. Hat der Arbeitgeber in dieser Zeit keine Arbeit anzu bieten. so besteht trotzdem Vergütungsanspruch (keine Übertragung des unternehmerischen Risikos auf den Arbeitnehmer). Bleibt der Arbeitnehmer außerhalb der vereinbarten Arbeitszeit im Büro und arbeitet ohne Anordnung, erlischt der Vergütungsanspruch (damit bekommt man die Präsenzkultur in den Griff), arbeitet er unter Anordnung, entstehen Überstunden, die vergütet werden müssen. Das hat nichts mit Wissens- oder Industriearbeitern zu tun, das sind die Grundlagen der bürgerlichen Vertragstheorie, niedergelegt im BGB

Antworten
Lars

Und so alt wie das BGB, ist auch das denken dahinter. Wenn von mir als angestelltem Projektleiter ein Umsatz von 125.000 Euro im Monat erwartet wird und ich diesen mit einem Pensum von 20 Stunden schaffe, bekomme ich beim nächsten mal die Vorgabe verdoppelt – oder ich täusche Arbeit vor. Nein danke, dann lieber jeden Monat eine fixe Summe, egal ob ich 2 oder 200 Stunden arbeite. Abgesehen davon: Der Arbeitgeber schuldet immer ein volles Gehalt wenn die Arbeitskraft angeboten wird, egal was vereinbart wurde.

Antworten
Alfons Zitterbacke

Leistungsträger (u.a. nach FDP-Denke) sind sowieso die Manager-Ebenen, deren Leistung darin besteht, Kekse in Meetings zu essen. Nicht die wirklich leistenden – also arbeitenden – Angestellten.

Wie Herr Ehring in extra3 schon sagte: „Die einen müssen was leisten, die anderen können sich was leisten.“

Antworten
Bärbel Elsner-Hartmann

Höchste Zeit für neue Arbeitszeitmodelle
Wer weieterhin nach geleisteten Stunden bezahlt werden will, kann das gerne tun. Es gibt aber auch zunehmend mehr Menschen, die lieber nach Leistung entlohnt werden möchten und dadurch eventuell mehr Freizeit haben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie frustrierend es sein kann, die aufgetragene Arbeit in weitaus weniger Zeit zu schaffen als vereinbart und den Rest der Zeit nur noch „absitzen“ zu müssen. Da möchte ich die Möglichkeit haben, mit einem Arbeitgeber einen Leistungslohn statt einen Stundenlohn zu vereinbaren.

Antworten
Markus

Es klingt immer so romantisch, dass man sich nur nach Leistung bezahlen lassen möchte und im gleichen Atemzug erwähnt man den Grund, nämlich die schwankende Produktivität. Im Endeffekt wird man in seinen produktiven Stunden dann wohl besser bezahlt und in den unproduktiven Stunden gar nicht mehr. Wunderbar, aber in Summe kommt es auf genau das gleiche raus, nur das man sich bei freier Einteilung einredet, es wäre toll. Im Übrigen ist das ganz einfach: Selbständig machen, es braucht also kein neues Konzept, das gibt es schon.

Aber mal zur Sache. Seit nun mehr zwei Jahre probiere ich alle Zeitmodelle durch die mir einfallen und teste diese dann immer 2-4 Monate durch. Mein Arbeitgeber macht bisher alle Modelle klaglos mit und das Feedback meiner Kollegen ist durchwachsen. Hier stelle ich fest, dass viele Anwesenheit im Büro mit Arbeitszeit verwechseln und von Leistungszeit möchte ich da noch gar nicht sprechen. Alle Modelle haben Vor- und Nachteile, wobei in Summe ist es fast egal, denn sobald sich alle dran gewöhnt haben ist es wie vorher. Wichtig finde ich da eher die Bereitschaft vom AG auf individuelle Wünsche zu reagieren, denn das nützt in jeder Hinsicht dem Unternehmen am Meisten, da stimme ich mal zu.

Mir ist übrigens noch nie langweilig geworden .. entweder, da ich immer NoBrainer in der Schublade habe, die übrigens auch erledigt werden müssen. Da liegt es an einem selbst sich den Tag richtig einzuteilen, es liegt nicht immer an den Anderen. Und sollte mir mal die Arbeit ernsthaft ausgehen, dann bietet jedes Unternehmen zahllose Möglichkeiten Verbesserungen zu erarbeiten oder sich seine eigene Arbeitsweise mal zu reflektieren, um selbst besser zu werden.

Antworten
Mandal

Der Artikel ist selbst ein riesiges Missverständnis! Zurecht prangert er den weit verbreiteten Präsentismus an, doch die Schlussfolgerung – der Verzicht auf Zeiterfassung – löst das Problem nicht, sondern verursacht es mit. Ohne Zeiterfassung tritt doch gerade die sichtbare Anwesenheit an die Stelle der dokumentierten. Erst wenn alle wissen, dass alle ihre Arbeitszeiten erfassen, zieht niemand mehr falsche Schlüsse daraus, wann jemand kommt oder geht bzw. wo jemand arbeitet. Wieviel Arbeitszeit gute Leistungszeit ist, klärt jedoch erst die Dokumentation der Arbeitsinhalte und -ergebnisse.

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