Im Jahr 1865 hatte William Stanley Jevons in seinem Buch The Coal Question beschrieben, dass der britische Kohlenverbrauch nach der Einführung einer deutlich effizienteren Dampfmaschine nicht wie angenommen sank, sondern deutlich anstieg. Das daraus folgende Jevons-Paradoxon besagt, dass technischer Fortschritt nicht zu Einsparungen führen muss.
Kohle: Effizientere Nutzung steigert Nachfrage
Im Gegenteil: So ermöglicht die effizientere Nutzung eines Rohstoffs es, mehr Arbeit zu leisten und Produkte herzustellen. Dadurch wiederum sinken die Preise und die Nachfrage steigt. Zudem werden neue Marktsegmente und Dienstleistungen erschlossen.
Auf den Verkehrsbereich umgelegt, sagt das Jevons-Paradoxon voraus, dass neue Verkehrsinfrastruktur und Verkehrsträger auf Dauer nicht zu Zeit- und Energieeinsparungen führen. Denn diese werden durch steigende Reiseentfernungen und -häufigkeiten sowie vermehrtes Pendeln ausgeglichen.
Ähnliches lässt sich auch über die möglichen Auswirkungen des autonomen Fahrens vorhersagen, wie The Verge schreibt. Die von Anbietern und Verfechter:innen prognostizierte Zukunft mit einer großen Zahl an selbstfahrenden Autos soll eine Minimierung von Energieverbrauch und schädlichen Abgasen bringen. Der Verkehr soll allgemein sicherer werden.
In einem Blogeintrag von Mobileye aus dem Jahr 2021 heißt es etwa, dass ein höherer Anteil an selbstfahrenden Autos auf der Straße den Verkehrsfluss gleichmäßiger mache, „was zu weniger energieschluckendem Stop-and-Go-Verkehr führe“. Zudem würden selbstfahrende Autos allgemein weniger Fehler als Menschen machen, wenn es um energieeffizientes Fahren geht.
Selbstfahrende Autos brauchen mehr Energie
Aber: Wie im Jevons-Paradoxon beschrieben, sorgen selbstfahrende Autos auf der einen Seite zwar vielleicht tatsächlich für eine Minimierung des Energieverbrauchs beim Fahren. Hinter dem virtuellen Steuer sitzt dann aber jede Menge Computerpower in Form von Sensoren und anderer Hardware, Software sowie Servern, auf denen die jeweiligen nächsten Fahrschritte berechnet werden.
Allein dafür ist eine riesige Menge an zusätzlicher Energie notwendig, wodurch wiederum – so das ganze System nicht ausschließlich mit erneuerbaren Energien hergestellt und betrieben wird – weitere schädliche Emissionen erzeugt werden. Dazu kommt die oben erwähnte Prognose im Rahmen des Jevons-Paradoxon zur steigenden Nutzung effizienterer Systeme.
Wer künftig während der Autofahrt an Meetings teilnehmen, Games spielen, lesen oder schlafen kann, dürfte kaum einen Grund haben, aus dem Auto auszusteigen. Schon 2014 hatte der US-Historiker Peter Norton von der University of Virginia gewarnt, dass autonomes Fahren Leute eher dazu bringen dürfte, „mehr Zeit in den Fahrzeugen zu verbringen und sie für noch mehr Aufgaben zu nutzen“.
Norton, der das Jevons-Paradoxon an der Uni lehrt, hatte sich gewundert, warum die Befürworter:innen des autonomen Fahrens nur von Vorteilen und Einsparungen sprachen, die zu erwartenden gegenteiligen Entwicklungen aber nicht ins Kalkül zogen.
Fahrten werden häufiger und länger
Eine US-Studie schlägt in eine ähnliche Kerbe. Demnach werde durch eine zunehmende Verfügbarkeit von selbstfahrenden Autos die damit gemachten Fahrten häufiger und länger. Ebenfalls möglich sei, dass sich Pendler:innen durch weniger anstrengende Fahrten dazu ermutigt fühlen, noch weiter ins Umland zu ziehen – mit entsprechenden Auswirkungen auf den Verkehr.
Eine Möglichkeit, das zu verhindern, so die Forscher:innen, wäre es, Privatpersonen den Zugang zu selbstfahrenden Fahrzeugen zu erschweren – also stärker auf deren Verwendung im ÖPNV oder im Taxibereich zu setzen. Ob sich das politisch durchsetzen ließe, ist allerdings fraglich.
Letztlich ist freilich nicht klar, wozu die mit vielen Milliarden US-Dollar geförderte Entwicklung des autonomen Fahrens uns in Zukunft führen wird. Sicher ist, dass es nicht nur die von den Anbietern propagierten Vorteile gibt. Das Jevons-Paradoxon sollte man zumindest in entsprechende Überlegungen mit einbeziehen.