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Bedingungsloses Grundeinkommen: Sie bekam 1 Jahr lang 1.000 Euro – das ist passiert

Politiker wettern gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Dabei ist es für die Menschen ein Segen – Karriere, Familie und Gesundheit profitieren. Martina Pelz ist ein Beispiel unter vielen.

6 Min. Lesezeit
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Martina Pelz hat ein Jahr lang das bedingungslose Grundeinkommen bekommen. (Foto: Tobias Hase)

Auf die Idee, nicht zu arbeiten, wäre Martina Pelz nie gekommen – auch nicht angesichts des bedingungslosen Grundeinkommens. Die Münchnerin zählt zu den glücklichen Gewinnerinnen, die das sogenannte BGE für ein Jahr erhalten haben. Glück müsste man großschreiben, denn für sie hat sich mit dem Erhalt sehr viel geändert. Dabei war sie nicht einmal Überzeugungstäterin, sondern ist durch eine Freundin überhaupt erst darauf aufmerksam geworden. „Ich habe mich da einfach mal eingetragen, verlieren konnte ich ja nichts“, sagt sie im t3n-Gespräch. Am Ende hat sie nicht nur Geld bekommen, sondern eine neue Perspektive. Pelz glaubt, das Grundeinkommen biete großes Potential, die Menschen zu befähigen. Sie hat das am eigenen Leib erfahren.

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Die Idee des Grundeinkommens ist es, dass alle Menschen eines Landes von der Geburt bis zum Tod jeden Monat vom Staat so viel Geld erhalten, wie sie zum Leben benötigen. Als Grundrecht quasi, ohne dass Bürgerinnen und Bürger dafür etwas tun müssen oder es ihnen gestrichen werden kann. Das BGE wird nicht zuletzt deshalb politisch immer wieder hitzig diskutiert. Während hierzulande die CDU/CSU, die SPD, die FDP und die AfD sich ablehnend positionieren, befürworten die Grünen es. Die Linken sind sich uneins. Kritiker glauben, der Mensch würde es ausnutzen und nicht mehr arbeiten. Fürsprecher hingegen behaupten, der Mensch würde sich dadurch von Sachzwängen emanzipieren und erst richtig entfalten können. Die Debatte wird seit Jahren weltweit geführt.

Mutiger mit bedingungslosem Grundeinkommen

Als Martina Pelz die Nachricht bekam, in der Verlosung gewonnen zu haben, stieß sie einen kleinen Freudenschrei aus. Sie ist alleinerziehende Mutter und hangelte sich seit Jahren von einem befristeten Vertrag zum nächsten. In ihrer Branche keine Seltenheit, sie hat zur damaligen Zeit als Projektkoordinatorin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München gearbeitet. Ist ein Projekt beendet, endet in der Regel auch das Anstellungsverhältnis. „Für mich war das damals schon ein Traumjob“, erzählt sie im t3n-Gespräch. „Jedoch waren die Umstände oft auch nervenaufreibend.“ Wer im akademischen Umfeld arbeitet, dessen Job hängt häufig an Forschungsgeldern. Sicher ist hier oft nur die Unsicherheit. Mit zunehmendem Alter und Verpflichtungen, strengt das an.

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„Vorher hätte ich eine Verlängerung nie ausgeschlagen“, sagt die berufstätige Mutter. Mit ihrem Grundeinkommen im Rücken hat sie jedoch den Mut gefasst, über den ihr angebotenen Vertrag zu verhandeln. „Ich ging auf meinen Arbeitgeber zu und sagte, dass ich eine bessere Perspektive brauche oder leider gehen muss.“ Ein selbstbewusster Zug, der Chancen und Risiken herausfordert. Im Fall von Martina Pelz sollte beides eintreffen: das Risiko, erst den Job zu verlieren, und danach die Chance auf einen neuen, besseren Job. Nachdem klar war, dass ihr bisheriger Arbeitgeber keine Zugeständnisse machen wird, suchte sie in Ruhe nach einer Anstellung, die gut zu ihr passt. Schlussendlich landete sie einen Volltreffer: Die Landeshauptstadt München stellte sie ein.

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„Das BGE hat mir vor allem finanzielle Sicherheit und innere Ruhe gegeben.“

Was das bedingungslose Grundeinkommen mit Einzelnen und einer Gesellschaft an sich macht, ist immer wieder Gegenstand vieler Studien: Vergleichsweise junge Erkenntnisse zur Wirkung stammen aus einem Experiment in Finnland. Die Regierung hat von 2017 bis 2018 jeden Monat probeweise 560 Euro an 2.000 zufällig ausgewählte Langzeitarbeitslose ausgezahlt – steuerfrei und bedingungslos. Die Bilanz: Wer zum Kreis dieser Menschen gehörte, dem ging es oft besser. Das sichere Einkommen wirkte sich positiv auf deren Psyche aus. Jedoch wurden bei dem Experiment die erhofften, positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht explizit nachgewiesen. Sprich: Es war nicht so, dass am Ende alle Arbeitslosen plötzlich wieder in Arbeit waren.

Ein älteres Experiment lief von 1974 bis 1979 im kanadischen Dauphin. Etwa 1.000 Familien erhielten finanzielle Unterstützung – allerdings nicht mit fixen Beträgen wie in den heute diskutierten Modellen üblich, sondern abhängig vom Einkommen. Jeder zusätzlich verdiente Dollar ließ das Grundeinkommen um 50 Cent sinken. Auch hier ergaben sich spannende Ergebnisse: Die Stadt verzeichnete einen signifikanten Rückgang der Krankenzahlen. Teilnehmende mussten seltener zum Arzt, vor allem Besuche aufgrund psychischer Beschwerden gingen zurück. Der Arbeitsmarkt brach auch nicht ein, die Testpersonen steckten das Geld sogar in Anschaffungen wie beispielsweise ein Auto, das ihre Wettbewerbsfähigkeit am Arbeitsmarkt verbesserte.

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Auch Martina Pelz hat die in den beiden Studien nachgewiesenen Effekte in ihrem Leben gespürt: „Das BGE hat mir vor allem finanzielle Sicherheit und innere Ruhe gegeben“, sagt sie im t3n-Gespräch. „Ich habe mir weniger Sorgen gemacht.“ Davon habe vor allem auch die Tochter profitiert, der sie kurz vor der Einschulung noch einmal etwas gemeinsame Zeit bieten konnte. Normalerweise hätte sie sich die achtwöchige Auszeit, die sie vor dem Schulstart einplante, finanziell nicht leisten können. Aber auch den anschließenden neuen Job ging sie viel motivierter an, da sie mehr gedankliche Freiheit hatte, um fokussiert in ihre neue Position einzusteigen. Die berufstätige Mutter spricht von einem Geschenk, das sonst nur Besserverdienende erhalten würden.

Grundeinkommen bringt Sicherheit und Selbstwert

Historiker und Autor Rutger Bregman plädiert für das bedingungslose Grundeinkommen. (Foto: dpa)

Viele Beobachter bezeichnen das bedingungslose Grundeinkommen oft als utopisch. Der niederländische Historiker Rutger Bregman behauptet in seinem gleichnamigen Buch jedoch, es sei eine „Utopie für Realisten“. Er will das BGE unbedingt realisiert sehen. Nachdem ausgerechnet der damalige US-Präsident Richard Nixon es Anfang der 1970er beinahe per Gesetz eingeführt hätte, sei es nun absolut überfällig. Studien aus aller Welt, so sagt er, hätten belegt, dass Geld ohne Auflagen an Bedürftige funktioniere. Weder die Faulheit habe zugenommen noch der sittliche Verfall, wie Kritiker immer befürchteten. Das Geld sei vielmehr sehr gezielt und problemorientiert für die Gesundheit, Ausbildung, Kindererziehung sowie die Realisierung von Karrieren verwendet worden.

„Sicher wird es auch Menschen geben, die sich zurücklehnen.“

Zum ersten Mal in der Geschichte sei ein solches Grundeinkommen finanzierbar, rechnet Bregman in seinem Werk vor, und betont, es könne dem Sozialstaat seinen eigentlichen Sinn zurückgeben. Studien, so argumentiert er, zeigten weltweit auf, dass die Kosten, die damit einhergehen würden, sich amortisieren. Weniger Kranken- und Pflegegeld sowie geringere Arbeitslosenhilfe seien die unmittelbare Folge. Im Grunde stehe dahinter lediglich eine Steuerreform. Die Umverteilung würde die Forderung der politischen Linken nach sozialer Gerechtigkeit erfüllen. Was das System der Gängelung anbelangt, so käme es der Forderung der politischen Rechten entgegen, die staatliche Einflussnahme zu begrenzen. Sicherheit und Selbstwert als Folge des Grundeinkommens.

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Für Martina Pelz hat sich das bestätigt. „Sicher wird es auch Menschen geben, die sich damit zurücklehnen“, sagt sie im t3n-Gespräch. Dennoch zeige sich doch gerade in der Coronapandemie, wie wichtig so ein sozialpolitisches Finanzinstrument für die Menschen sei. „Coronahilfen hängen mit hohem bürokratischem Aufwand zusammen, vieles muss später über die Steuer zurückgezahlt werden“, sagt die Münchnerin. „Was für viele Menschen bleibt, ist nach wie vor Unsicherheit.“ Ihr habe es zwar wehgetan, als die 1.000 Euro, die sie monatlich bekam, wieder weg waren, jedoch hatte sie zu Beginn der Krise einen sicheren Job. Das, so mahnt sie, können aber nicht alle von sich behaupten. Sie glaubt an das Grundeinkommen, ohne es romantisieren zu wollen.

Mit der Krise nimmt die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich wieder Fahrt auf. Existenzen stehen auf der sprichwörtlichen Kippe, allen voran die der Soloselbstständigen. Zu Beginn des vergangenen Jahres hatte eine Petition zum BGE deshalb leichtes Spiel. Satte 176.000 Menschen unterzeichneten für ein bedingungsloses, jedoch zunächst zeitlich befristetes Corona-Grundeinkommen – die bis dato größte E-Petition hierzulande. Zwar waren die Vorbehalte im Bundestag nach wie vor groß, als im Herbst über die Petition diskutiert wurde, jedoch wird die Debatte zunehmend ernsthafter geführt. Nichts ist größer als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Martina Pelz zeigt, was sie in der Realität bewirken kann. Laut Historiker Bregman ist es soweit.

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Schaut euch doch auch ein Mal https://www.stocktondemonstration.org/ an.

Aus dem O’Reilly Next:Economy Newsletter

Initial results from the guaranteed income pilot in Stockton

Using donated funds, Stockton, California, launched a small demonstration program to experiment with a universal basic income. Payments of $500 a month were sent to 125 randomly selected individuals living in neighborhoods with average incomes lower than the city median of $46,000 a year. The recipients were allowed to spend the money however they saw fit—no strings attached. No drug tests. No interviews. No means assessment. No work requirements. And the initial results are pretty intriguing.

Recipients leveraged the money to find full-time jobs. At the start of the project, 28% of recipients had full-time employment. One year later, 40% of recipients were employed full time, a 12% increase (compared to a 5% increase in the control group).
The guaranteed income enabled recipients to make payments on their debt. In February 2019, only 52% of recipients were making payments on their debts. One year in, 62% of recipients were making payments on their debts. (The control group saw a decrease in the percent of people making payments on their debt—from 48% in February 2019 to 44% in February 2020.)
Recipients had the ability to take more risks—something necessary for success. “People were able to apply for jobs they knew they were eligible for but just literally could not take a shift off of work to do so.”
Recipients were less anxious and depressed, both over time and compared to the control group.

“An exclusive new analysis of data from the demonstration project shows that a lack of resources is its own miserable trap,” says Annie Lowrey in this Atlantic article. “The best way to get people out of poverty is just to get them out of poverty; the best way to offer families more resources is just to offer them more resources.”

(https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2021/03/stocktons-basic-income-experiment-pays-off/618174/

+ Michael Tubbs, who spearheaded the project as mayor of Stockton, was targeted in a disinformation assault by a fake-news website known as the 209 Times during his unsuccessful reelection campaign.
(https://www.cjr.org/special_report/michael-tubbs-disinformation-racism-news-deserts-stockton-california-209-times.php)

Antworten
Doberfrau

Das ist aber doch gar nicht gewollt, dass sich Arbeitnehmer(innen) entfalten können. Ein erfolgreiches und lange gepflegtes System von Ausbeutungsmechanismen steht auf dem Spiel! Das geht mal gar nicht …

Antworten
N Stone

Das System könnte funktionieren, jedoch nur wenn der Empfängerkreis begrenzt ist und nicht durch Zuzug in Sozialsysteme mit der größten Attraktivität zum Einsturz gebracht werden kann. Wer diesen Weg beschreiten will muss auch die entsprechenden Folgen mit einkalkulieren. Das Sozialsystem ist ein Segen, ein Segen der aber je nach Auslegung der Teilnahmebedingungen auf sehr dünnen Beinen oder auf stabilen Säulen steht.

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Hel

Das BGE wäre DIE Lösung für die derzeitigen Probleme u.a. aller derer, die gerade z.B. nicht arbeiten dürfen!

Anstatt dem vollkommen blödsinnigen derzeitigem System, ultrakompliziert irgendwelche Hilfen beantragen zu müssen, die dann ev. Monate später vielleicht eintreffen.

Oder auch bei der Harz4-Problematik, dass Viele sich nicht trauen, eine neue Stelle anzutreten, weil, wenn´s nicht klappt, es megakompliziert ist und lang dauern kann, bis z.B. die Miete wieder bezahlt wird…

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