Wie drei Wissenschaftler die Literatur mit einem Bestseller-Algorithmus ermordeten [Kommentar]
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(Bild: © olly - Fotolia.com)

Ein Bestseller-Algorithmus bestimmt den Inhalt unserer Bücherregale? Nein Danke. (Bild: © sinuswelle – Fotolia.com)
Ich liebe Bücher – nein, ich korrigiere mich: Ich liebe Geschichten. Deshalb erscheinen mir die drei Wissenschaftler hier wie die drei Hexen aus Fontanes „Die Brücke am Tay“. Die sich mit dem berühmten Zitat „Wann treffen wir Drei wieder zusamm’“ wieder zu neuen Schandtaten verabreden – nachdem Sie das vergängliche Werk aus Menschenhand, die Brücke am Tay, mit großem Getöse in den Fluten versinken ließen. Ich sehe die drei Wissenschaftler vor meinen inneren Augen, wie sie händereibend und kichernd in gebückter Haltung am Steilhang stehen und – um beim Bildnis der Brücke zu bleiben – dabei zusehen, wie die Brücke der Literatur im Meer der Ignoranz versinkt.
Sicher, die Autoren betonen ihren Respekt vor dem Handwerk, sie betonen sinngemäß, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen den erkannten Mustern und der Qualität des Werks, sondern nur eine Korrelation zwischen dem sozusagen„technisch perfektem Wort-Gerüst“ und dem möglichen Erfolg des Buches herrscht. Also kurz gesagt: Der Algorithmus sagt nicht, wie ich ein gutes Buch schreibe, er sagt auch nicht ob das Buch literarisch wertvoll ist, sondern: Dieser Bestseller-Algorithmus sagt vor der Veröffentlichung die Chancen auf einen Bestseller vorher. Also wozu die Aufregung? Ganz einfach: Sollte sich ein solcher Algorithmus im Alltag durchsetzen, wäre das der mögliche Tod der Literatur. Und nebenbei bemerkt: Dieser Algorithmus kann eigentlich gar nichts – auch wenn er technisch funktioniert. Aber der Reihe nach.Dieser Algorithmus ist der Tod der Literatur.
Bücher bewerten? Dieser Bestseller-Algorithmus kann gar nichts
Oh, sicher, der Bestseller-Algorithmus tut genau das, wozu er geschrieben wurde und er leistet ganz sicher auch alles, was in dieser Studie versprochen wird. Nur eines, das kann er nicht: Vorhersagen über einen zukünftigen Bestseller tätigen. Die Argumentation der Studienautoren baut auf einer selbsterfüllenden Logik auf: Ein guter Autor kann grammatikalisch und syntaktisch elegante Wort-Konstruktionen erstellen. Also lautet der Umkehrschluss: Wenn ich in einem Textkonstrukt auf grammatikalisch und syntaktisch elegante Wort-Konstruktionen treffe, steckt automatisch ein guter Autor dahinter. Was passiert denn, wenn ich da ein Mistwerk mit einer einschläfernden und unispirierten Geschichte reinwerfe, das handwerklich unheimlich toll geschrieben ist? Dann schreit das Teil „Juhuu, ein Bestseller“.

Bestseller brauchen Atmosphäre um zu wachsen – je nach Autor auch mal eine pittoreske Atmosphäre. (Bild: © autofocus67 – Fotolia.com)
Literatur lässt sich nicht mit Algorithmen bewerten
Literatur ist mehr als nur eine syntaktisch möglichst effektive Aneinanderreihung von Wörtern. Wer meint, er könne die Seele eines Buchs anhand von Algorithmen bewerten, hat den Sinn der Literatur nicht verstanden. Das wahrlich Wertvolle, die Seele eines Buchs, ist die Geschichte und wie sie erzählt wird. Und diese Seele eines Buchs kann nur der menschliche Geist bewerten. Wenn ich beginne, Literatur mit den Werkzeugen des Verstandes auseinanderzunehmen und sie auf bloße Wörterreihungen und Konstrukte reduziere, raube ich ihr die Seele. Und erhalte im schlimmsten Falle etwas, das schon George Orwell in „1984“ als mahnendes Menetekel der Gesellschaft an die Wand geworfen hat: Die Orwell’sche Bücher-Schreib-Maschine.
Und die, meine lieben Wissenschaftler, will ich nicht haben. Behaltet sie.