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Interview
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Mehr als nur ein Hype: „Coworking wirkt“

Tobias Kremkau ist Coworking-Manager im St. Oberholz in Berlin und Mitgründer des Insitituts für Neue Arbeit (IfNA). Er kam mehr zufällig mit Coworking in Berührung – und war angefixt. Nach einer Recherchereise durch Europa kennt er die hiesige Szene besser als die meisten anderen.

Von Eva Wolfangel
6 Min. Lesezeit
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(Foto: Hegemann)

t3n: Herr Kremkau, Sie gelten als Coworking-Experte. Wie wird man das? Coworking ist ja gerade ein Hype, aber noch kein Studienfach …

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Tobias Kremkau: Stimmt, das kann man nicht studieren. Angefangen hat bei mir alles mit einem Zufall: Ich war 2014 mit meiner damaligen Freundin und heutigen Frau in Brügge im Urlaub. Damals war ich Redaktionsleiter bei den Netzpiloten, ein Blog rund um Netzpolitik. Gleich am ersten Urlaubstag rief mich die Redaktion an: Meine Vertretung war erkrankt und es drohte, das Chaos auszubrechen. Ich brauchte also WLAN und einen Arbeitsplatz, um zumindest einige Stunden am Tag die Arbeit zu organisieren. Ich fand tatsächlich einen Coworking-Space in Brügge …

t3n: Ernsthaft? Dort gab es 2014 schon einen Coworking-Space?

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Ja, und das hat mich auch überrascht. Ich habe also die Betreiberin gefragt: Wer nutzt denn hier einen Coworking-Space? Und ihre Antwort war: Männer, die hier mit ihrer Familie Urlaub machen und zu Hause die Arbeit wegorganisieren müssen.

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t3n: So wie Sie also?

Ja. Und das hat Lust auf mehr gemacht. Meine Frau und ich haben damals gemerkt, dass wir eigentlich nicht mehr Urlaub brauchen, sondern lieber reisen und arbeiten verbinden würden – und dass das offenbar geht. Das hat uns neugierig gemacht, sodass wir im Sommer 2015 für zwei Monate durch Europa gereist sind: Zwei Monate von Barcelona nach Stockholm, und dabei haben wir jeden Tag in einem anderen Coworking-Space gearbeitet.

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t3n: Sie waren damals aber doch fest angestellt, oder?

Meinem Chef habe ich das nicht gesagt. Ich habe ja auch in Berlin in Coworking-Spaces gearbeitet. Von daher ist es eigentlich egal, wo ich arbeite. Ich werde auch nicht für Anwesenheit, sondern für Leistung bezahlt.

t3n: Und Ihr Chef hat nichts gemerkt?

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Ich habe das sehr ernst genommen, beispielsweise wenn wir gerade reisten und die Frage aufkam, ob es am Flughafen WLAN gibt. Aber es hat geklappt – und mein Chef hat erst nach sieben Wochen gemerkt, dass ich nicht in Berlin bin.

t3n: Haben Sie tatsächlich überall einen Space gefunden?

Einmal wurde es knapp, in Mailand an einem hohen Feiertag: Alles hatte geschlossen, auch die Coworking-Spaces. Im Blog einer digitalen Nomadin habe ich Tipps für Orte mit WLAN in Mailand gefunden, sodass wir schließlich den ganzen Tag in einer Bar saßen, die schon um 9 Uhr morgens geöffnet hatte. Das war sehr lustig, weil in der Bar nicht viel los war und die Barkeeper die ganze Zeit geübt haben, elegant Cocktails zu mischen.

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t3n: Und nach dieser Reise waren Sie Coworking-Experte?

Ich war die einzige Person, die einen Überblick über die Coworking-Szene in Europa hatte. Ich habe nämlich auch jeden Anbieter interviewt, und das Spannende ist: Sie waren alle verschieden. Die einzige Gemeinsamkeit ist, dass jeder einmal in seinem Leben Berührung mit irgendeiner Open-Idee hatte. Offenheit war das der einzige gemeinsame Nenner. Aber ich war nicht nur Experte, ich war auch süchtig geworden. Mit diesen Leuten zu reden, das macht süchtig. Freelancer sind so selbstbestimmt, sie haben ein ganz anderes Mindset als der typische Angestellte.

t3n: Wieso haben Sie sich danach denn nicht selbständig gemacht?

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Ich bin nicht der Gründertyp, aber ich wollte unbedingt in diesem Bereich arbeiten. Ich habe nach meiner Rückkehr im St. Oberholz angerufen und gesagt: Ich will euer Coworking-Manager werden. Das hat geklappt: Das bin ich seit Ende 2015. Und wir haben neben dem Coworking-Space selbst auch noch ein Beratungsgeschäft aufgebaut, denn wir haben gespürt: Das Thema kommt.

t3n: Wie haben Sie das gespürt?

Zum einen habe ich nach meiner Reise selbst Anfragen für Beratung bekommen, beispielsweise von einer großen Hotelkette, andererseits hatte das St. Oberholz schon immer Anfragen für Beratungen. Vor rund zwei Jahren wuchs die Nachfrage dann aber rasant. Zudem nahm der Bedarf nach Vorträgen und Wissensvermittlung für das Thema Coworking und neue Arbeit zu. 2015 war das Thema noch Underground, aber man merkte, es wird die Zukunft.

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t3n: Bei Coworking geht es aber doch um Freiberufler und Startups. Was wollen eingesessene Unternehmen damit?

Die Sparda-Bank Berlin beispielsweise will Coworking als Geschäftsmodell etablieren. Sie wollen das verbinden mit ihren Filialen und darin jeweils im Erdgeschoss auch Spaces anbieten, die öffentlich zugänglich sind. Andere Unternehmen wollen, dass wir ihre Arbeitsumgebungen entwickeln – sowohl das Design als auch den Service für die Mitarbeiter betreffend. Letztlich ist es eine Frage des Recruiting: Die großen Unternehmen bekommen nicht mehr die besten Leute, wenn sie nicht moderne Arbeitsumgebung anbieten. Die gehen dann zu Google und Co.

t3n: Aber es geht doch nicht um die Räume, sondern um das Mindset, oder?

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Klar, es geht nicht nur um bauliche Maßnahmen, das kann ja jeder. Nur im Unterschied zur üblichen Vorgehensweise beim Bauen, wo sich Architekten häufig ein Denkmal setzen und nicht an die denken, die später drinsitzen müssen, werden wir auch selbst in diesem Coworking-Space arbeiten – beispielsweise in dem, den wir gerade für ein großes Unternehmen entwickeln, das ich noch nicht nennen darf. Die untere Etage wird öffentlich werden. Das ist auch ein Signal, wenn dort eine kreative Atmosphäre herrscht. Wenn da gearbeitet wird, Leute netzwerken, sich an der Bar treffen: ganz anders als in einer sterilen Lobby. Es geht aber nicht nur um die Gestaltung, sondern auch um die Leitung. Die richtigen Leute zu suchen, Teams zusammenzustellen. Wir werden das nach Coworking-Regeln organisieren. Dort entsteht etwas wirklich Neues.

t3n: Was ist daran so anders als in klassischen Bürogebäuden mit ihren Regeln?

Das Miteinander ist anders und das wird durch diese Räume unterstützt beziehungsweise überhaupt erst möglich. Wir haben Gemeinschaftsflächen, Meetingräume, Eventflächen – und das alles offen und flexibel für alle, sodass flexibles Arbeiten mit wechselnden Teams möglich ist. Die Arbeit bleibt auf diese Weise spannend und abwechslungsreich.

t3n: Und das ist in klassischen Büros nicht möglich?

Wenn ich an klassische Bürogebäude denke, einen langen Flur mit rechts und links Büros, dann weiß ich schon, wer ganz am Ende des Flures sitzt: die wichtigsten Leute. Bei uns gibt es das nicht, denn es ist wichtig, dass sich Menschen verschiedener Hierachieebenen begegnen. Ich habe beispielsweise in einem solchen Konzept bei meinem ersten Arbeitgeber als Werksstudent plötzlich neben dem Europachef gesessen. Da ergeben sich spannende Gespräche! Man schaut mit ganz verschiedenen Perspektiven auf ein Problem und findet Lösungen, die keiner für sich allein gefunden hätte.

t3n: So ähnlich ist es ja auch als Freelancer in einem Coworking-Space: Wenn andere auf die eigene Arbeit schauen, kriegt man ganz unerwartete Rückmeldungen. Ist das schon das ganze Geheimnis?

Zumindest ein wichtiger Teil: Diese sogenannte „Serendipität“ stellt sich dort ein. Zufällige Beobachtungen oder Begegnungen, die vor allem dann wertvoll sind, wenn sehr unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Menschen verschiedenen Alters, mit unterschiedlicher Herkunft, Ausbildung, Erfahrung – das alles verändert die Perspektive. Und diese verschiedenen Blickwinkel fördern in der Konsequenz Innovation. Nur arbeiten in Unternehmen meist sehr ähnliche Menschen: Der Personalchef stellt ihm ähnliche ein, Diversität ist dort schwer zu erzeugen. Das ist die Chance von Coworking. Ich kann niemandem versprechen, was passiert. Aber: Es passiert etwas, wenn man sich darauf einlässt.

t3n: Wie steht denn der deutsche Coworking-Markt im europäischen Vergleich da?

Der deutsche Markt ist relativ unterentwickelt. Ich habe die Beobachtung gemacht: Je schlechter es einer Wirtschaft geht, umso mehr blüht der Coworking-Markt. In Frankreich oder Spanien mit stagnierender Wirtschaft, da haben junge Leute häufig nur die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit und Selbstständigkeit – und so kommen sie in die Spaces und tauschen sich aus.

t3n: Dann ist der Hype hier in Berlin nur gefühlt?

In der Tat macht Coworking selbst im Berliner Büromarkt nur 0,02 Prozent aus – und da sind die großen kommerziellen Anbieter wie Wework schon mit drin. Es ist ein totaler Nischenmarkt, aber die Wahrnehmung ist enorm. Wir machen die Zukunft der Arbeit. Microsoft in München ist mit aufgesprungen und hat die neue Zentrale coworking-mäßig gestaltet, die Otto Group ist gerade dran, ein großer Automobilkonzern hier in Berlin ebenfalls. Coworking wirkt nicht als eigener Markt, sondern als Konzept. Und die Idee ist definitiv mehr als ein Hype.

t3n: Vielen Dank für das Gespräch.

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