Delivery Hero: Was für die Aktie spricht – und was dagegen

Mit einem Volumen von fast einer Milliarde Euro hat Delivery Hero den bisher größten deutschen Börsengang des Jahres hingelegt. Der erste Kurs lag mit 26,90 Euro gut fünf Prozent über dem Ausgabepreis. Die Begeisterung der Anleger währte zunächst allerdings nur kurz: Zum Start drehten die Aktien erst einmal ins Minus.
Der Start sagt aber wenig über die langfristige Entwicklung des Börsenkurses aus – man denke nur an Zalando. Auch bei dem Modehändler lief der erste Tag auf dem Parkett nicht optimal, trotzdem hat sich das Papier seitdem zu einem der Lieblinge der Anleger entwickelt. Bei Facebook sprach das Wall Street Journal gar einmal von einem „Fiasko“. Beide Unternehmen wurden kritisiert, weil sie lange Verluste schrieben. Beide konnten die voreiligen Schlüsse später mit guten Zahlen kontern.
Bei Delivery Hero schoss der Kurs am ersten Börsentag schnell wieder nach oben, das Handelsblatt feiert das Debüt bereits als Erfolg. Trotzdem stellt sich die Frage, in welche Richtung die Aktie langfristig gehen wird. Kann das 2011 gegründete Unternehmen schnell profitabel werden und seine Kritiker damit zum Schweigen bringen? Oder wird der Kurs mittelfristig eher an den von Investor Rocket Internet erinnern, der die Anleger bis heute nicht von seinem Konzept überzeugen konnte?
Das Geschäftsmodell
Das Geschäftsmodell stimmt erst einmal positiv. Delivery Hero ist ein Onlinemarktplatz, bringt also Kunden und Händler zusammen: Restaurants können auf der Plattform ihre Speisen anbieten, der Konsument kann dort bestellen. Auf Tochterplattformen wie Lieferheld und Pizza.de stellt Delivery Hero die technische Infrastruktur und lässt sich eine Provision für jeden Auftrag bezahlen. Dadurch hat das Startup geringe Personalkosten und ein geringes Risiko.
Allerdings sieht das Geschäftsmodell nicht überall so aus. Zu Delivery Hero gehört auch Foodora, ein Essensbringdienst mit nicht nur technischer, sondern auch analoger Infrastruktur: Während bei Lieferheld oder Pizza.de die Restaurants das Essen bringen, sind es bei Foodora die firmeneigenen Fahrer. Die Idee dahinter: Kleinere Restaurants ohne eigenen Bringdienst ins Netz zu bekommen – und dadurch eine exklusivere Auswahl zu bieten. Das Problem: Das ist richtig teuer.
Zwar hat Foodora 2016 insgesamt 45 Millionen Euro zum Bruttoumsatz der Gruppe beigetragen, das sind mehr als 15 Prozent. Die Erlöse durch Liefergebühren haben sich dadurch laut Börsenprospekt verdreifacht. Doch das Minus ist ebenso deutlich: 58 Millionen Euro. Und durch die Übernahme von Foodora sind die Umsatzkosten bei Delivery Hero explodiert: Insgesamt stiegen sie zwischen 2015 und 2016 um 187 Prozent auf gut 84 Millionen Euro. Delivery Hero nennt explizit Foodora als Grund für diesen Anstieg.
Konkurrenz droht nicht nur von anderen Lieferdiensten – sondern auch von Uber.
Überraschend ist das nicht: Anders als bei Marktplätzen muss Foodora zusätzliches Personal beschäftigen, das das Essen liefert. Damit sich die Beschäftigung der Fahrer lohnt, müssen sie mindestens zwei Gerichte in der Stunde ausliefern. Weil es aber Hochzeiten bei den Bestellungen gibt – mittags und abends – und über den Rest des Tages eher wenig reinkommt, ist das eher schwierig.
Was relevant werden wird: welche Rolle Foodora bei Delivery Hero spielt. Sollten die Lieferhelden wirklich auf den Bringdienst als Wachstumstreiber setzen, könnte es problematisch werden. Denn auch Unternehmen wie zu bedenken. Oder wenn Amazon seine Logistik für Prime ausbaut – warum sollte ein Paketlieferant nicht auch irgendwo Essen abholen? Die Kosten bei Foodora könnten im Wettbewerbskampf problematisch werden. Und das könnte auch den Kurs von Delivery Hero drücken.
Die Konkurrenz
Apropos Wettbewerb: In Deutschland liefert sich Delivery Hero eine ausgefeilte Marketingschlacht mit dem größten Konkurrenten Lieferando. Die geht so weit, dass die Niederländer kurz vor dem Börsengang noch schnell eine einstweilige Verfügung erwirkten: Delivery Hero darf sich demnach nicht mehr als Nummer eins in Deutschland bezeichnen.
Interessant: Der niederländische Konkurrent ließ in seinem Jahresbericht im vergangenen Jahr keinen Zweifel daran, dass er Lieferando als Marktführer in Deutschland betrachtet. Der eigene Marktanteil bei den Bestellungen sei größer als die zweit- und drittplatzierten Plattformen zusammen, heißt es darin. Zudem wachse Takeaway, die Muttergesellschaft hinter Lieferando, schneller als die Konkurrenz. Das kann gut sein, Delivery Hero hat dazu im Börsenprospekt keine Zahlen veröffentlicht.
Schaut man sich die Bestellungen für 2016 aber länderübergreifend hinweg an, sieht das Bild anders aus: Lieferando zählte 2016 knapp 50 Millionen Bestellungen, ein Plus von 46 Prozent. Auf den Plattformen von Delivery Hero hingegen gingen fast 171 Millionen Bestellungen ein – 65 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Der Kampf der beiden Giganten wird eben nicht nur in der Bundesrepublik geführt, sondern in ganz Europa.
Und das geht richtig ins Budget. 2016 gab Delivery Hero 100 Millionen Euro allein für Radio- und TV-Werbung aus. Insgesamt belaufen sich die Vertriebskosten auf mehr als 250 Millionen Euro. Takeaway hat im selben Zeitraum knapp 83 Millionen Euro ins Marketing investiert, einen Großteil davon in Deutschland.
Das Geschäft lebt vom Marktanteil: Je höher der Anteil, desto höher die Margen.
Aus finanzieller Sicht hat Delivery Hero die Nase vorne – nicht nur beim Marketing. Auch beim Umsatz schlägt das Berliner Startup die Konkurrenz: Takeaway kam 2016 auf einen Nettoumsatz von 96 Millionen Euro, Delivery Hero auf 212 Millionen Euro. Auch den Börsengang kann man als erfolgreicher bezeichnen: Takeaway nahm mit der Neuemission September 2016 etwa 350 Millionen Euro ein, Delivery Hero strich am Freitag fast die dreifache Summe ein.
Auf dem Papier sieht das gut aus. Allerdings lebt das Geschäft vom Marktanteil in den Märkten: Je höher der Anteil, desto höher die Margen. Und die kann ein Unternehmen vor allem dann bestimmen, wenn es 90 bis 95 Prozent des Marktes besetzt. Das schätzt zumindest Christoph Gerber, Mitgründer von Lieferando, gegenüber den Online Marketing Rockstars. Dann könne man die Provision auch einfach mal um zehn Prozent erhöhen. Bisher bezeichnet sich Delivery Hero aber nur in drei Ländern als Marktführer: in der Türkei, in Ägypten und in Saudi Arabien. Für den dauerhaften Erfolg wird es wichtig sein, dass sich die Berliner auch in einigen anderen Ländern klar durchsetzen.

Delivery-Hero-CEO Niklas Östberg. (Bild: Delivery Hero)
Die Wachstumsmöglichkeiten
Trotzdem: Auch wenn der Markt der Lieferdienste umkämpft ist, gibt es noch Potenzial. Das zeigt sich schon allein daran, dass Delivery Hero den Umsatz jährlich bisher deutlich zweistellig in die Höhe treiben konnte – obwohl Lieferando ebenfalls Kunden gewinnt. Vor allem in den Wachstumsmärkten sieht das Berliner Startup seine Chance: In der Türkei hat es sich 2015 den Marktführer Yemeksepeti geleistet, in Südostasien die einstige Rocket-Tochter Foodpanda. Auch in Südamerika ist Delivery Hero aktiv. Das wachsende Bruttoinlandsprodukt in diesen Märkten könnte auch die Bestellungen bei Onlinelieferdiensten in die Höhe treiben – das Unternehmen von Niklas Östberg könnte ein Profiteur dessen sein.
Bisher hat sich Delivery Hero sein Wachstum auch durch Zukäufe erschlichen. So tragen Foodpanda und Foodora mittlerweile deutlich zum Umsatz bei. Die Meinung bei Experten ist dazu geteilt: Einige argumentieren, dass es dadurch kein einheitliches Unternehmen gebe. Andere wiederum sehen die Akquisitionen als kluge Expansionsstrategie: Wer in einer signifikanten Anzahl an Ländern Marktführer ist, kann das Europageschäft – und den teuren Konkurrenzkampf – vernachlässigen.
Delivery Hero wird es nicht einfach haben
Diese ganzen ungeklärten Fragen machen eine Prognose zu der Aktie fast unmöglich. Wenn die Berliner schnell profitabel werden, wenn sie sich gegen ihre Konkurrenten durchsetzen, wenn sie in all ihren Ländern Marktführer werden, wenn sie Millionengewinne schreiben, dann wird die Aktie natürlich durch die Decke gehen. Aber das ist der beste Fall. In einem anderen Szenario könnte Delivery Hero trotz des finanziellen Vorteils die Marktführerschaft in einigen Kernländern verlieren, Foodora könnte von Uber und vielleicht sogar Amazon überrannt werden, das Wachstum abflachen. In dem Fall werden sich auch die Anleger abwenden.
Was schon jetzt absehbar ist: Das Geschäftsmodell wird Erklärung brauchen. „Es dauert etwas, um die Story zu verstehen“, sagte auch Geschäftsführer Niklas Östberg im Rahmen des Börsengangs. Anders als Zalando konnte Delivery Hero nicht kurz vorher mit Gewinnen glänzen. Genau die wollen Anleger aber sehen, um versichert zu sein, dass sie ihr Geld nicht verbrennen. Gleichzeitig wird Delivery Hero weiter wachsen müssen. Und wenn das Unternehmen bei seiner Expansionsstrategie bleibt, bedeutet das: weiter Geld ausgeben.
Für die Berliner wird es ein harter Kampf werden. Nicht nur um die Gunst der Anleger, sondern auch um die der Kunden.