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Interview

Desinformations-Expertin: „Noch nie so eine deutschlandkritische Haltung gehört wie jetzt“

Im Krieg in der Ukraine spielen Falschinformationen eine große Rolle. Wir haben mit Viola von Cramon-Taubadel darüber gesprochen, wie sehr Falschmeldungen den Krieg prägen und warum einige deutsche Medien dabei keine gute Figur machen.

6 Min.
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Viola von Cramon-Taubadel sitzt seit 2019 für die Grünen im Europäischen Parlament. (Foto: Viola von Cramon-Taubadel)

Viola von Cramon-Taubadel hat viel zu tun in diesen Tagen: Auf allen ihr zur Verfügung stehenden Kanälen setzt sie sich für die Ukraine ein. Die Europaparlamentarierin beschäftigt sich seit 1996 mit Osteuropa und hat viele Kontakte nach Russland, aber auch in die Ukraine. Seit 2019 sitzt von Cramon-Taubadel für die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament und ist Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und stellvertretende Vorsitzende in der Delegation im Parlamentarischen Assoziationsausschuss EU-Ukraine. Mit dem Einsatz von Desinformation in der Kriegsführung beschäftigt sie sich außerdem im Rahmen ihrer Kompetenzen.

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Tatsächlich war sie erst Ende Januar 2022 im Rahmen einer sogenannten Fact-Finding-Mission in Mariupol und Kiew – Ziel der Reise war laut Europäischem Parlament die „umfassende und koordinierte diplomatische Anstrengung zur Deeskalation der Spannungen und zur Vermeidung der katastrophalen Folgen eines möglichen bewaffneten Konflikts.“ Mittlerweile geht es um Schadensbegrenzung: An unterschiedlichen Stellen, so von Cramon-Taubadel, arbeite sie derzeit mit Kolleg:innen vor Ort, aber auch im Europäischen Parlament und mit NGO zusammen, um die Ukraine zu unterstützen. Das Land soll seine Souveränität behalten und von Russland besetzte Territorien zurückerobern können. Darüber hinaus geht es um Schutz und Versorgung der Zivilbevölkerung.

Wie sehr prägen Falschmeldungen den Krieg gegen die Ukraine?

Und auch Desinformation und die Verbreitung von Fake News treiben von Cramon-Taubadel um. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.

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t3n: Welche Rolle spielen Desinformation und Fake News in diesem Krieg?

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Viola von Cramon-Taubadel: Mir ist das so systematisch und klar das erste Mal 2013, 2014 in der Zeit des Maidans begegnet, aber desto länger man sich damit beschäftigt, umso stärker sieht man: Diese Fragen der Desinformation, von hybrider Kriegsführung, von Unterminierung von Gesellschaften, von Destabilisierung sind kein neues Phänomen. Das gab es immer schon. Aber jetzt ist es so systematisch und auf der Ebene der Narrative so geschickt und strategisch wichtig gesetzt und gestreut und verteilt.

„Diese Fragen der Desinformation sind kein neues Phänomen.“

t3n: Welche Narrative sind das?

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Putin infiltriert seine Gesellschaft seit Monaten mit Lügen, mit perfider Propaganda: Er schlägt den Bogen vom Ende des Zweiten Weltkriegs, wo die sowjetische Rote Armee die Faschisten bekämpft hat. Jetzt hat er das Narrativ vom faschistischen Regime in der Ukraine erfunden und belügt sein Volk über die „Gefahr“, die dieses nichtexistierende faschistische Regime für Russland darstellt. So absurd es auch klingt, dieses erfundene Narrativ reicht ihm aus, um den Angriffskrieg zu rechtfertigen. Deshalb gibt es Sanktionen vom Westen und deswegen müssen die Russ:innen diese Opfer bringen und wirtschaftliche Einbußen hinnehmen.

Das Interessante ist, dass er es geschafft hat, die Gesellschaft so weit von der Außenwelt abzuschirmen, dass Russ:innen, die in der Ukraine leben und die Verwandtschaft in Russland haben, es nicht mehr schaffen, zu ihrer eigenen Verwandtschaft durchzudringen. Weil dieses Narrativ „Die Ukraine muss befreit werden von dem Naziregime“ so weit gegriffen hat, dass es verfangen hat.

t3n: Wie viel dringt überhaupt nach Russland durch? Gibt es Widerstand oder gegenteilige Meinungen?

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Es gibt natürlich Menschen, die das nicht ertragen können. Viele sind ausgereist, einige sind im Gefängnis, andere sind in die innere Emigration gegangen. Das ist eine sehr gefährliche Form von Kriegsführung, auch gegen die eigene Gesellschaft oder Bevölkerung.

Selbst bei Meinungsumfragen ist es derzeit schwer abzuschätzen, weil die Leute so viel Angst haben. Es traut sich fast keiner mehr zu sagen: „Ich unterstütze Putin nicht.“ Einige Expert:innen gehen davon aus, dass 20, 30, vielleicht 40 Prozent der Menschen gar nicht mehr auf die Fragen antworten. Man muss das vielleicht ganz anders gewichten.

t3n: Wie zum Beispiel?

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Ich höre von großen Gruppen, die den Krieg durchaus befürworten, und andererseits weiß ich auch, dass die Elite sehr wohl weiß, dass dieser Krieg ein blutiger Angriffskrieg, ein Vernichtungskrieg ist. Dass die Schuld Russland lange nicht vergeben werden wird, dass die ukrainisch-russischen Beziehungen auf Generationen vergiftet sind. Ich möchte da nicht mit Zahlen kommen, das ist eher eine qualitative Einschätzung.

t3n: Wie können wir gegen Desinformation und Fake News von russischer Seite vorgehen?

Wir müssen uns auch technologisch dagegen wehren. Deshalb gibt es in der EU das vorübergehende Verbot von Sputnik und RT und RT Deutsch – das ist wichtig, weil das keine Form von Journalismus ist, keinen ethischen Kriterien, keinen Standards entspricht. Das kommt vom russischen Außenministerium, um uns hier zu erreichen und uns mit Lügen zu infiltrieren.

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t3n: Das sorgt auch hier für Unsicherheiten …

Menschen wissen häufig nicht mehr, was wahr ist und was nicht, wem sie vertrauen können, welche Quellen wichtig sind. Daher haben die IT-Branche und die Plattformen eine große Verantwortung, gemeinsam mit uns diese Fact-Findings und diese Markierung – was ist nicht wahr, was ist erfunden, was ist gefährlich – voranzutreiben. Da entwickeln wir auch regulatorische Methoden auf EU-Ebene, sodass man auch Sanktionen aussprechen kann. Da kann ich im Einzelnen aber nicht drauf eingehen, weil das noch nicht entwickelt ist. Dies alles sollte natürlich ohne Einschränkung der grundlegenden Prinzipien der Meinungs- und Redefreiheit geschehen. Deshalb richten sich unsere Bemühungen auf die Kennzeichnung von Informationen, die faktisch falsch und gefährlich sind.

t3n: Welche Rolle spielen dabei die Medien?

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Medien sind dann gut, wenn sie nicht sofort sagen: „Die Angaben können nicht überprüft werden“. Wer quasi Russland und die Ukraine auf eine Stufe stellt, hat ein Problem und verwirrt die Leute auch. Die ARD als deutscher öffentlich-rechtlicher Rundfunk stellt sich hin und sagt allen Ernstes: „Das kann nicht überprüft werden“, weil sie die Leute nicht in die Region schicken. Aber CNN ist mit fünf Leuten da, BBC ist mit fünf Leuten da, Spiegel und andere auch.

Ich finde die Berichterstattung sehr pseudo-ausgewogen: Es wird immer noch vom Ukraine-Konflikt gesprochen und nicht von einem Krieg der Russen oder Russlands gegen die Ukraine. Wir müssen in der Rhetorik klarer werden, und das haben die sich jahrelang nicht getraut, und das erschüttert auch die Ukraine.

t3n: Das sagen Ihnen Ihre Kontakte vor Ort?

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Absolut. Ich habe noch nie so eine deutschlandkritische Haltung in der Ukraine gehört wie jetzt. Es fing erst an mit Nord Stream und verweigerten Waffenlieferungen, Swift und dem Gas-Embargo. Es ist nicht leicht.

Natürlich hat auch die Ukraine einen interessengeleiteten Informationsfluss. Aber das Land hat ganz andere Standards und lässt alles offen. Es gibt keine Zensur und nichts, was ausgeschlossen ist.

t3n: Open-Source-Intelligence-Gruppierungen wie Bellingcat tragen ebenfalls zur Berichterstattung bei. Deren Vorteil ist, dass sie freier sprechen und veröffentlichen können, ohne Rücksicht auf Klassifizierungen oder Bündnisse. Wie bewerten Sie das aus Politiksicht?

Bellingcat macht unglaublich wichtige Arbeit, auch in den letzten acht Jahren. Sie haben den MH17-Abschuss minutiös nachgezeichnet. Die sind extrem wichtig. Manchmal finde ich, sie kündigen zu viel an und das Ergebnis ist dann nicht so überzeugend, aber wir wissen schon viel durch sie. Auch ihre Informationspolitik und Kommunikationsstrategie sind gut.

Ich halte es für wichtig, dass unsere Politik und die Entscheidungsträger:innen in den Regierungen noch stärker auf sie zurückgreifen oder stärker aufgreifen, wenn sie neue Erkenntnisse präsentieren. Das darf nicht als eine Meinung stehengelassen werden. Gerade weil Bellingcat so fundiert und substanziell und mit offenen Quellen arbeitet und alles mehrmals überprüft, finde ich es wichtig, dass man ihnen auch mehr Raum gibt.

t3n: Eine andere externe Gruppierung, das Anonymous-Kollektiv, hat Putins Regierung direkt am Tag des Überfalls den Cyberkrieg erklärt. Sehen Sie die Gefahr, dass da ein dritter Akteur mit eigenen Interessen mitmischen könnte?

Meine ukrainischen Freundinnen und Freunde sind sich sehr sicher, dass Anonymous auf ihrer Seite kämpft und sie unterstützt. Anonymous hat das russische Fernsehen gehackt, die russische Infrastruktur angegriffen. Ob das durchgängig so ist, verfolge ich zu wenig, aber offenbar gibt es bei Anonymous – wer auch immer das steuert – eine große Präferenz für die Angegriffenen, für die Opfer.

t3n: Und was ist mit der Kommunikation von Selenskyj selbst? Er gibt sich sehr nahbar und authentisch.

Das ist seine einzige Chance. Er muss die Herzen für sich gewinnen. Er ist wirklich in eine Rolle hineingewachsen, die ihm viele nicht zugetraut haben. Er macht in der Situation genau das Richtige und das ist hervorragend. Das ist für uns gut, weil er mutig ist, furchtlos, weil er die richtigen Sachen sagt, weil er die Schwächen erkennt, weil er sich selbst und seine Leute mobilisiert. Ich war vorher durchaus eine Kritikerin von ihm, aber ich bin absolut begeistert und ich glaube, das ist es, was das Herz der Ukraine jetzt am Leben hält.

t3n: Vielen Dank für das Gespräch!

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Sim

Der Begriff der „Propaganda“ ist politischer Natur. Das Problem bleibt jedoch bestehen, was fremde Falschaussagen sind und was eigene, die aber als wahre verkauft werden.

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