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Digital-Services-Act: So will die EU die Macht der Tech-Konzerne brechen

Gegen digitalen Hass, Werbe-Monopole und für eine effektive Kontrolle von Facebook, Google und Amazon – das EU-Parlament stimmt heute über die Ausschuss-Berichte des Digitale-Dienste-Gesetz ab.

Von Jan Vollmer
6 Min. Lesezeit
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Bisher galten für die großen Tech-Unternehmen in Europa kaum Regeln. Jetzt planen Margrethe Vestager (o.l.) und die EU-Kommission ein neues Gesetz für die Unternehmen von Mark Zuckerberg (o.r.), Sundar Pichai (u.l.) und Jeff Bezos (u.r.). (Grafik: mit dpa)

Stell dir vor, du machst ein Selfie und schickst es per iMessage an eine Freundin – und die öffnet das Bild in Whatsapp. Oder Telegram. Oder Signal. So selbstverständlich, wie eine E-Mail von einem Gmail-Account auch mit einem Hotmail-Account geöffnet werden kann – oder wie NutzerInnen aus dem O2-Netz eine SMS an ein Handy im Vodafone-Netz schicken können. Stell dir vor, du postest das Selfie auf Facebook. Denn: Seit der Facebook-Algorithmus transparent ist und das Microtargeting auf Facebook ausgestellt, magst du das Netzwerk wieder. Stell dir vor, du kriegst Fortnite wieder im App-Store.

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Aktuell sind die großen Tech-Unternehmen weit davon entfernt, ihre Schnittstellen zu öffnen, ihre Algorithmen transparenter zu machen oder ihre App-Monopole aufzuweichen. Das neue Digitale-Dienste-Gesetz der EU zielt aber genau darauf ab. Und nach dem ein Entwurf geleakt ist und drei wichtige Parlamentsausschüsse Berichte vorgelegt haben, sieht es so aus, als würde die EU es mit dem Digitale-Dienste-Gesetz tatsächlich ernst meinen.

Was will das Digitale-Dienste-Gesetz?

Mit dem neuen Digitale-Dienste-Gesetz will die Europäische Kommission (die in der EU neue Gesetze vorschlägt) die über zwanzig Jahre alte E-Commerce-Richtlinie überarbeiten und drei Ziele erreichen:

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  1. Die Regeln des digitalen Binnenmarkts in Europa sollen vereinheitlicht werden und es soll damit beispielsweise für Startups leichter gemacht werden, in Europa zu expandieren.
  2. Die Europäische Kommission möchte einen Kontrollrahmen schaffen, um große digitale Konzerne wie Facebook besser zu überwachen.
  3. Mit neuen Regeln will die Europäische Kommission die Marktmacht der großen Tech-Konzerne einschränken, gegen Monopolbildung und Netzwerkeffekte vorgehen und damit kleineren Anbietern eine Chance geben.

Gesetzesentwurf mit harten Regeln geleakt

Vor allem für die letzten beiden Ziele scheint die Europäische Kommission dabei über ungewohnt drastische Regeln für die digitale Welt nachzudenken. Einem geleakten Gesetzesentwurf zufolge plant die Kommission vor allem die Macht der „Gatekeeper“, also der großen Internetunternehmen wie Google, Facebook und Amazon, einzuschränken.

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So könnte das Gesetz es den großen Plattformen verbieten, ihre Daten exklusiv für ihre eigenen kommerziellen Zwecke zu nutzen: Die Plattformen müssten ihren Datenschatz dann mit kleineren Unternehmen teilen, die auch auf diesem Markt arbeiten wollen.

Kein bevorzugtes Ranking mehr

Laut dem Entwurf, aus dem die Nachrichtenseite Euractiv zitiert, dürften Portale ihre eigenen Angebote auch nicht mehr bevorzugt ranken: Amazon oder Google müssten sich dann dafür rechtfertigen, wenn sie eigene Marken bei einer Suche ganz oben anzeigen würden.

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Der Gesetzesentwurf sieht auch vor, Privilegien, die Gatekeeper-Plattformen aktuell wegen ihrer Größe aushandeln können, einzuschränken. So könnte es den Plattformen untersagt werden, mit kleineren Händlern Exklusivverträge zu schließen, die den kleineren Händlern verbieten, auch im eigenen Shop oder auf anderen Portalen zu verkaufen.

In dem Entwurf wird auch überlegt, ein „Verbot der exklusiven Vorinstallation“ einzuführen, dass es Geräteherstellern nicht erlauben würde, nur ihre eigenen Apps auf einem Gerät vorzuinstallieren.

Kritische Berichte aus dem Parlament

Wie das Digitale-Dienste-Gesetz aussieht, das die Europäische Kommission dann dem Europäischen Parlament vorlegt, hängt auch von Berichten ab, die die Kommission vorher aus den Ausschüssen des Parlaments bekommt. Die Berichte von drei Berichterstattern, die sich mit dem Thema beschäftigt haben, wurden in den letzten Tagen in ihren jeweiligen Ausschüssen angenommen. Und auch diese sogenannten Initiativberichte der Ausschüsse haben es in sich.

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So fordert Tiemo Wölken, der Berichterstatter des Rechtsausschusses im Parlament, dass große Plattformen in Zukunft ein Opt-out für individualisierte Werbung einbauen sollen. Wenn die Kommission das für sinnvoll erachte, so Wölken in einem Youtube-Video über den Bericht, möchte er sogar eine komplette Abkehr von personalisierter Werbung hin zu kontextbezogener Werbung im Internet. „Ich will Grundrechte wie die Meinungsfreiheit online schützen, Fake News und Verschwörungstheorien weniger sichtbar machen, aber eben nicht zensieren, und ich will eure Daten besser schützen, indem personalisierte Werbung nur noch freiwillig ist“, so Wölken.

Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten hingegen einigte sich darauf, die Bestimmung zur Haftungsbeschränkung auf sozialen Netzwerken und das Verbot von allgemeinen Überwachungspflichten – also Grundlagen aus der E-Commerce-Richtlinie – zu übernehmen. Aber auch der Bericht von Berichterstatter Kris Peeters erinnerte an die Wichtigkeit von Transparenz bei politischer Online-Werbung.

Auch der Bericht des Binnenmarkt-Ausschusses des EU-Parlaments fordert mehr Transparenz für die Algorithmen von großen Plattformen und strengere Regeln für zielgerichtete Werbung und Microtargeting. Der Berichterstatter Alex Agius Saliba  fordert dabei Interoparabilität zwischen den einzelnen Netzwerken und Messengern: Wenn dieser Punkt aus seinem Bericht in das Digitale-Dienste-Gesetz einfließt, könnte die EU die Netzwerke verpflichten, ihre Schnittstellen so zu öffnen, dass Whatsapp-NutzerInnen Nachrichten zu Telegram-NutzerInnen schicken könnten. NutzerInnen könnten so mit FreundInnen auf allen Netzwerken in Kontakt bleiben – ohne in dem jeweiligen Netzwerk zwangsläufig selbst einen Account zu haben. Ein Ziel der Interoparabilität ist es, den Netzwerkeffekt von großen Playern wie Facebook auszuhebeln und somit auch neuen Anbietern von Netzwerken eine Chance zu geben.

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Dabei fordert der EU-Parlamentarier aber nicht nur Interoparabilität zwischen den Netzwerken, sondern auch bessere und transparentere Netzwerke. „Es geht darum, Geschäftsmodelle anzugreifen, die schädlich für die Nutzer und die Gesellschaft sind“, so Saliba in einem Telefonat mit t3n. „Die Verwendung von Algorithmen, um Menschen nach Ethnie, Religion oder beispielsweise als ‚unsicher‘ zu identifizieren – das muss aufhören.“

Deutlich erweiterte, sehr radikale Transparenzpflichten für Empfehlungsalgorithmen

Auch Alexandra Geese, die das Digitale-Dienste-Gesetz für die Fraktion der Grünen im Europaparlament begleitet, erhofft sich „deutlich erweiterte, sehr radikale Transparenzpflichten für Empfehlungsalgorithmen.“ Ihr, so erzählt Geese am Telefon, geht es dabei weniger darum, einzelne problematische Beiträge zu verbieten, sondern mehr um die Frage, warum gerade schädliche Beiträge auf Netzwerken wie Facebook so oft so hohe Reichweiten haben. „Wissenschaftliche Einrichtungen sollen sich mit dem Code und den Daten der Netzwerke auseinandersetzen dürfen“, so Geese.

Auch die Europäische Kommission will Big Tech regulieren

Nicht nur die Ausschüsse des Parlaments, auch die Europäische Kommission will eine deutliche Regulierung der Netzwerke. Margrethe Vestager, die Vizepräsidentin der EU-Kommission und Verantwortliche für Wettbewerbs- und Digitalpolitik, sprach sich bereits öfter für eine stärkere Regulierung der großen Plattformen aus.

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Auch EU-Kommissar Thierry Breton sagte erst im September, große Tech-Konzerne notfalls zerschlagen zu wollen oder von dem Gebiet der EU zu verbannen, wenn ihre Marktdominanz eine Gefahr für ihre Nutzerinnen und Nutzer darstellt.

EU-Kommissarin Věra Jourová kritisierte währenddessen die großen Social-Media-Plattformen immer wieder im Zusammenhang mit Missinformation und forderte beispielsweise mehr Transparenz für politische Werbung.

„Politisch stehen die Chancen für die Veränderungen gut“, erklärt Jan Penfrat, Politikberater bei dem Verband Edri (European Digital Rights). „Zwei der drei Berichte beinhalten Verpflichtung zu Interoparabilität, mehr Transparenz steht auch in allen dreien. Ob die Kommission das vorschlägt: Mal schauen, ob die sich das trauen“, so der Politikberater. Dabei, so Penfrat, sei auch die Regulierung von Facebook und Co. nichts fundamental Neues „Die Telekom-Unternehmen haben für die globale Verbreitung eines interoperablen Mobilfunkstandards in den 80ern auch einen politischen Push gebraucht.“

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Gegen eine stärkere Regulierung könnten sich vor allem die Vertreter der sogenannten D9+ Staaten in der EU aussprechen: In D9+ organisieren sich Staaten, die entweder selbst eine verhältnismäßige große Techbranche haben wie Finnland und Estland, oder die dank niedriger Steuern zum der Sitz der großen Tech-Unternehmen in der EU sein wollen, wie Irland oder Luxemburg.

Das Digitale-Dienste-Gesetz ist aber nicht nur eine politische Angelegenheit: Es geht auch darum, wie gut sich komplexe Technologie mit Gesetzestext regulieren lässt. „Danach steht die Frage der Umsetzbarkeit,“ erklärt Politikberater Penfrat. „Und da liegt der Hase begraben: Der Gesetzgeber muss das Gesetz so formulieren, dass es auch umsetzbar wird.“

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4 Kommentare
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Loran

Richtig so. Ein Schritt in die richtiger Richtung. Alle diese menschenverachtenden Geschäftsmodelle gehören zugunsten der Gesellschaft verändert. Noch dazu: Gesetzliche Kennzeichnungspflicht für alle Webseiten, die mittels der Dienste solcher Unternehmen die Daten ihrer Besucher abschnorcheln. Ähnlich den Kennzeichen auf Zigarettenschachteln. „Vorsicht, auf dieser Webseite halten wir nichts vom Schutz ihrer Daten.“ oder „Die Inhaber dieser Webseite missachten vorsätzlich jegliche moralischen Grundsätze unserer Gesellschaft in Bezug auf ihren Datenschutz.“ oder auch gerne genommen „Leck mich, ich track Dich.“

Antworten
Chris Fitzgerald

Mehr als überfällig, richtig so! Hoffentlich wird nicht wieder eingeknickt …

Antworten
M. Irfan

Ein Schritt in die richtiger Richtung. Ich hoffe, es wird nicht wieder knicken.

Antworten
Kai Hartmann

„[…]digitaler Hass[…]“, rofl.

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