Digitale Dystopie: Wie Nordkorea jede Smartphone-Aktivität seiner Bürger überwacht

Was für uns selbstverständlich erscheint – freier Zugang zu Informationen, Meinungsäußerung per Fingertipp und eine gewisse digitale Privatsphäre – ist in Nordkorea reine Utopie. Berichte über aus dem Land geschmuggelte Smartphones zeichnen ein detailliertes Bild davon, wie Technologie dort zur lückenlosen Überwachung der Bürger:innen eingesetzt wird. Die Erkenntnisse sind so faszinierend wie beunruhigend und zeigen die Kehrseite einer vernetzten Welt.
Der unsichtbare Beobachter in der Hosentasche
Im Zentrum der Überwachung stehen Funktionen, die tief im Betriebssystem nordkoreanischer Smartphones verankert sind. Wie die britische BBC unter Berufung auf Analysen eines geschmuggelten Geräts berichtet, fertigen diese Handys offenbar automatisch alle paar Minuten Screenshots an. Diese Bildschirmaufnahmen, so heißt es, würden in einem für Nutzer:innen unzugänglichen Ordner gespeichert, auf den nur staatliche Behörden des Regimes in Pjöngjang Zugriff hätten.
Damit entstünde eine Art digitales Tagebuch der Handynutzung, das jede Aktivität penibel dokumentiert – vom Besuch erlaubter Webseiten im staatlich kontrollierten Intranet „Kwangmyong“ bis hin zur Nutzung vorinstallierter Apps. Das globale Internet bleibt für die nordkoreanische Bevölkerung ohnehin gesperrt.
Wenn die Autokorrektur zur Zensur wird
Doch die Kontrolle geht über das reine Beobachten hinaus. Berichten zufolge greifen die Geräte aktiv in die Kommunikation ihrer Besitzer:innen ein. Gibt eine Person beispielsweise das in Südkorea populäre Wort „Oppa“ (eine informelle Anrede, die oft für den Partner oder einen älteren Freund genutzt wird) ein, soll die Autokorrektur dies umgehend in „Genosse“ (Dongmu) ändern. Angeblich wird dann sogar eine Warnung angezeigt, dass „Oppa“ nur für Geschwister zu verwenden sei.
Noch deutlicher wird die Zensur bei politisch heiklen Begriffen. So soll die Eingabe von „Südkorea“ automatisch durch abwertende Begriffe wie „Marionettenstaat“ oder „Puppenstaat“ ersetzt werden.
Diese Manipulationen dienen offensichtlich dazu, das staatliche Narrativ zu festigen und jegliche positive Assoziation mit dem südlichen Nachbarn oder anderen als feindlich betrachteten Staaten im Keim zu ersticken.
Technologie im Dienste der Doktrin
So läuft die Überwachungssoftware, wie Analysen von Geräten wie dem Modell „Samtaesung 8“ zeigen, auf einer Hardware-Basis, die zwar teils auf älteren Chipsätzen beruht, aber durchaus über moderne Merkmale wie erweiterte Speicherkapazitäten (bis zu 256 GB beim Samtaesung 8) und fähige Kameras verfügt. Betrieben werden diese Smartphones mit stark modifizierten Android-Versionen (beim Samtaesung 8 eine Android 11-Basis), wobei teils kuriose Hinweise auf chinesische Ursprünge bei Komponenten oder Basismodellen die komplexe technologische Abschottung des Landes unterstreichen.
Diese Smartphones sind von Grund auf als Werkzeuge der Indoktrination und Überwachung konzipiert. Jeglicher Versuch, die Software zu manipulieren, ausländische Medieninhalte auf das Gerät zu laden oder die Überwachungsfunktionen zu umgehen, gilt als schwere Straftat. Organisationen wie Amnesty International weisen seit Langem auf die extremen Einschränkungen der Meinungs- und Informationsfreiheit in Nordkorea hin.
Die Erkenntnisse über die Funktionsweise dieser Geräte stammen häufig von Organisationen wie Daily NK, einem in Seoul, Südkorea, ansässigen Onlinedienst, der oft mit Informant:innen und Überläufer:innen aus Nordkorea zusammenarbeitet. Die Telefone selbst werden unter großem Risiko aus dem Land geschmuggelt.
Was wir daraus lernen können
Nordkoreas Umgang mit Technologie ist weit mehr als ein Beispiel für staatliche Überwachung im digitalen Zeitalter – er steht sinnbildlich für die totale Kontrolle eines Regimes, das jeden Aspekt des Alltags seiner Bürger:innen bestimmt. Die gezielte Manipulation von Smartphones, das streng überwachte Intranet und die systematische Zensur von Sprache und Inhalten sind dabei nur ein Teil eines vielschichtigen Systems, das auch international längst Wirkung zeigt.
Denn, wie wir bei t3n in weiteren Beiträgen dokumentiert haben, reichen Nordkoreas digitale Aktivitäten von Cyberangriffen und Industriespionage hin zu ausgefeilten Hackeroperationen, mit denen das Regime Devisen beschafft und westliche Unternehmen infiltriert. Damit wird deutlich, dass die digitale Abschottung nach innen mit einer aggressiven digitalen Offensive nach außen einhergeht.
Für uns als technikaffine Gesellschaft bleibt die Erkenntnis, dass technologische Innovation immer auch Verantwortung bedeutet – und der Schutz von Privatsphäre, Meinungsfreiheit und offenen Systemen keine Selbstverständlichkeit ist, sondern täglich verteidigt werden muss.