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Kolumne
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Warum die Digitalisierung zum Bullshit-Begriff zu verkommen droht

Alle reden von der Digitalisierung: Politik, CEOs großer Unternehmen – und die Talkshows. Dabei droht der Begriff zur Rechtfertigung für Dinge zu werden, die mit Technik nichts zu tun haben. Die Neuland-Kolumne.

Von Stephan Dörner
2 Min. Lesezeit
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FDP-Wahlkampfplakat zur Digitalisierung. (Foto: dpa)

Wenn Menschen Prozesse als Naturgewalten erleben, die in Wirklichkeit von Menschen gemacht sind, wird es gefährlich. Beispiel gefällig? Die wirtschaftliche Globalisierung, die freie Bewegung von Gütern und Kapital, wurde politisch beschlossen, dann aber in den 1990er Jahren von Politik und Wirtschaft als unumkehrbarer Prozess dargestellt.

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Die Entscheidung, Kapitalkontrollen abzuschaffen und Zölle abzubauen, war eine politische, die aus guten Gründen gefällt wurde. Doch statt auf die Vorteile für Wirtschaft und Menschen durch die Globalisierung hinzuweisen, wurde eine politische Entscheidung als Naturgewalt beschrieben, mit der alles Mögliche gerechtfertigt wurde. Lohn- und Renten-Stagnation, schmerzhafte Arbeitsmarkt- und Sozialreformen – was wurde nicht alles mit Verweis auf Globalisierung und der Wettbewerbsfähigkeit beschlossen?

Das Resultat: Die Bevölkerung begann sich vor diesem Ungeheuer namens Globalisierung, das sich scheinbar unaufhaltsam über den Globus walzte und dem sich keine Regierung der Welt entgegenzustellen wagte, zu fürchten. Natürlich erzeugt es Angst, wenn Menschen das Gefühl haben, einer Naturgewalt ausgesetzt zu sein. Einfache vermeintliche politische Antworten, wie sie Donald Trump oder die Brexit-Befürworter anbieten, fallen da auf fruchtbaren Boden.

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Der Digitalisierung droht das Schicksal des Begriffs Globalisierung

Das Drama droht sich mit dem Begriff Digitalisierung zu wiederholen. Natürlich kann kein Unternehmen und keine Regierung beschließen, den technischen Wandel aufzuhalten. Aber wie wir zusammenarbeiten, leben und wie wir die großen Reichtümer, die der technische Fortschritt uns beschert, verteilen wollen – das können wir Menschen immer noch politisch entscheiden.

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Digitalisierung ist bei der #FDP auch nur eine nette Formulierung für sachgrundlose Befristung“, schrieb kürzlich ein Twitter-User. Und tatsächlich setzt sich die FDP unter dem Programmpunkt „Arbeit 4.0“ unter anderem für den Abbau von Arbeitnehmerrechten ein. Unter dem Stichpunkt „New Work“ fordert die FDP unter anderem mit Verweis auf die Digitalisierung, die Höchstarbeitszeit pro Tag auszuweiten und Ruhezeiten von elf Stunden für sicherheitsrelevante Bereiche abzuschaffen.

Was aber hat die Digitalisierung mit Ruhezeiten für Arbeitnehmer zu tun? Sie darf nicht wie schon die Globalisierung als Universal-Rechtfertigung für unangenehme Entscheidungen herhalten – sei es in Unternehmen oder in der Politik.

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Digitalisierung und Globalisierung sind politisch gestaltbar

Die Digitalisierung wird uns insgesamt reicher und gesünder machen – sie wird für Umweltschutz und für ein besseres Leben sorgen. Digitalisierung und Automatisierung werden den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand der Welt nochmals auf ein ganz neues Level heben. Das Problem: So wie die Wohlstandsverteilung derzeit organisiert ist, werden viele davon wenig oder gar nicht profitieren. Auch in Zukunft wird menschliche Arbeit gefragt sein – aber die Nachfrage wird sich auf noch weniger Menschen beschränken als heute. Diese dennoch mitzunehmen, wird die große Aufgabe der Politik in den kommenden Jahrzehnten.

Wenn jetzt die Angst vor der Digitalisierung genährt wird, indem unangenehme Dinge damit gerechtfertigt werden, die mit dem technischen Fortschritt nichts zu tun haben, wird die Technik-Skepsis der Deutschen noch größer, als sie ohnehin schon ist. Und Deutschland verspielt die Chance, von den Früchten der Digitalisierung im größtmöglichen Maße zu profitieren. Digitalisierung und Globalisierung sind menschengemacht und keine Naturgewalten, sie lassen sich gestalten – und das zum Wohle fast aller Menschen.

Mehr zum Thema: Was bedeutet digitale Transformation eigentlich konkret?

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8 Kommentare
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Dein t3n-Team

Wolfgang Meibohm

Der Autor spricht ein paar äußerst wichtige Aspekte an.
Vielen Dank für diesen gut geschriebenen Artikel.

Antworten
Peter

„Die Digitalisierung wird uns insgesamt reicher und gesünder machen – sie wird für Umweltschutz und für ein besseres Leben sorgen.“

So ähnlich wurde damals auch die Globalisierung angepriesen. Leider ist das nicht eingetreten. Den Menschen (in den westlichen Industrienationen) geht es nicht besser, sie sind nicht reicher oder gesünder als vor 25 Jahren. Die Umwelt wird durch die Globalisierung mehr zerstört als je zuvor.

Ansonsten ist es der beste t3n-Beitrag seit sehr langer Zeit. Und danke für die korrekt eingesetzten Gedankenstriche – die sieht man hier leider nicht oft.

Antworten
S. B.

Da steht nichts davon dass die FDP die Höchstarbeitszeit auszuweiten, sondern es geht in dem Programmpunkt darum, nicht stumpf nach der Arbeitszeit zu arbeiten, weil es so verordnet ist, sondern projektorientiert zu arbeiten, also sinnhaft. Bitte diesen Punkt noch mal richtig lesen, hier wird was völlig falsch dargestellt.

Antworten
Frank Weigenbrecht

Gerade recherchiert, ich kann Ihre Ausführungen so nicht nachvollziehen, es ist doch richtig im Artikel beschrieben

Antworten
S. B.

In den Programmpunkt steht:

„Weg von der Stechuhr, hin zum projektorientierten Arbeiten. Arbeitsformen wie die Vertrauensarbeitszeit stellen die Aufgaben in den Vordergrund, nicht die Stunden, die man am Arbeitsplatz verbringt. Deshalb wollen wir das Arbeitszeitgesetz flexibilisieren, indem die bisherige Grenze der täglichen Höchstarbeitszeit von acht beziehungsweise zehn Stunden, sowie in den nicht sicherheitsrelevanten Bereichen die elfstündige Ruhezeit aufgehoben wird.“

Das kann alles bedeuten. Könnte auch ganz einfach heißen, dass es endlich dazu kommen soll, sich die Zeit selber einzuteilen und nicht stumpf nach Stunden zu arbeiten, wie auch oben beschrieben. Projektorientiertes Arbeiten.
Und, wenn man da mal rechnet kommt man bei 48 Stunden Höchstarbeitszeit nach EU-Recht auf maximal 9,6 Stunden bei 5 Tagen bzw 8 Stunden bei 6 Tagen Arbeit, und das maximal. Weiß nicht, was da ausgeweitet ist, diese Zeiten sind doch jetzt schon völlig normal. Vielleicht versteh ich den Punkt ja auch nicht richtig, aber für mich steht da nichts von ausweiten.

Lars

Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich gut verstehen, werden sich beide sicherlich einig dass Gesetze auch nur bedrucktes Papier sind, die man als Handlungsempfehlung nutzen kann – oder eben nicht. Wenn der Arbeitgeber jedoch meint Druck aufbauen zu müssen, dann hat der Arbeitnehmer einklagbare Rechte.

Antworten
Frank Weigenbrecht

Sehr gelungener Artikel! Weiter so!

Antworten
Phil

Die Worte zur Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen sind gutklingend gewählt, sollten aber zurecht kritisch betrachtet werden.

Falsch wiedergegeben ist im Artikel jedoch der Part der Aufhebung der Ruhezeit in n i c h t sicherheitsrelevanten Bereichen.

Antworten
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