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Kolumne

Die Antwort auf die Digitalisierung? Deutsches Handwerk!

Eine Antwort auf die vielen noch ungeklärten Fragen der Digitalisierung unserer Arbeitswelt könnte ausgerechnet das deutsche Handwerk liefern. Tim Leberecht erklärt wieso.

Von Tim Leberecht
7 Min.
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(Foto: dpa)

Das Handwerk ist in Deutschland eine Macht: In rund 887.000 Betrieben arbeiten knapp fünf Millionen Menschen, zudem fast 500.000 Auszubildende. Somit sind 12,8 Prozent aller Erwerbstätigen und rund 31 Prozent aller Auszubildenden in Deutschland im Handwerk tätig. Dennoch sind die Probleme groß. Es mangelt an Fachkräften und ein Drittel der Auszubildenden entscheidet sich letztlich für einen anderen Berufsweg, nicht zuletzt, weil die Industrie mit im Durchschnitt 1.000 Euro höheren Gehältern lockt – von den Verheißungen der Tech-Startups ganz zu schweigen.

Digital mit Herz und Hand

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Kürzlich habe ich an einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Eröffnung der Internationalen Handwerksmesse in München teilgenommen, gemeinsam mit der Beraterin Katja Nettesheim, die als Expertin im Bereich Digitalisierung geladen war, während ich als „Business Romantiker“ für die Humanisierung der Wirtschaft geworben habe. Das Thema: die Zukunft des Handwerks und inwieweit diese digital stattfinden kann, ohne die dem Handwerk innewohnenden Werte – Authentizität, Tradition, Regionalität und Transparenz – zu zerstören.

Meine zentrale Frage: Wie kann man die Romantik des Handwerks erhalten, ohne zu romantisieren? Wie kann sich das Handwerk – ohne rosarote Brille – sein Selbstverständnis bewahren? Geht das überhaupt, Digitalisierung mit Herz und Hand? Das ist nicht nur die entscheidende Frage für die Zukunft des Handwerks, sondern die Herausforderung für die deutsche Wirtschaft schlechthin.

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Ich bin kein Handwerker, aber ich bin im Mittleren Neckarraum aufgewachsen, umgeben von zahlreichen Mittelständlern und Handwerksbetrieben. Die letzten 15 Jahre lebte und arbeitete ich im Silicon Valley, wo ich eine entfesselte, auf exponentielles Wachstum getrimmte Welt kennenlernte. Beide Erfahrungen haben mich geprägt und zu der Überlegung gebracht, wie sich die Gegensätze vereinen lassen: Digitalisierung mit Menschlichkeit sowie die rationale Logik der Wirtschaft mit unserer Sehnsucht nach Emotionen, nach mehr Bedeutung jenseits der Zahlen.

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Rehumanisierung wird zum Megatrend

Es ist ein Begehren, das immer stärker wird – von der Achtsamkeitsbewegung zur zunehmenden Anzahl von Konferenzen und Publikationen mit Schwerpunkt auf „Rehumanisierung“ bis hin zum Center for Humane Technology, das der Ex-Facebook-Manager Tristan Harris ins Leben gerufen hat. Ein Gegenentwurf zur digitalen Automatisierung der Welt, zu einer technologiegläubigen Mechanisierung, die uns zunehmend entmenschlicht, in dem sie uns auf reine Effizienz und Selbstoptimierung reduziert. Einer Umfrage der Personalberatung Korn Ferry zufolge betrachten schon jetzt zwei Drittel der weltweiten Führungskräfte nicht mehr ihre Mitarbeiter als ihr wertvollstes Gut, sondern ihre Technologie.

Die Folge ist eine tiefsitzende digitale Enttäuschung. Eine Befragung der Bertelsmann Stiftung ergab, dass Arbeit für uns Deutsche nach Familie und Partnerschaft der zweitwichtigste Aspekt eines glücklichen Lebens ist. Zugleich gaben 86 Prozent der Befragten an, dass sie am Arbeitsplatz unter Stress leiden. Und laut Gallup-Studie hat fast jeder Fünfte bereits gekündigt.

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Vielen von uns reicht es einfach nicht mehr, ein produktives und erfolgreiches Leben zu führen; wir wollen vor allem auch ein schönes Leben führen, ein sinnerfülltes und auch sinnliches Leben – auch am Arbeitsplatz, nicht nur zu Hause. Gleichzeitig ahnen immer mehr Unternehmen, dass das, was sie in den letzten Jahrzehnt erfolgreich gemacht hat – Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung – in Zukunft nicht mehr genügen wird, um erfolgreich zu bleiben.

Genau da kommt jetzt die Romantik ins Spiel – und das Handwerk. Die Romantik – und ich meine damit die Ideen aus der Geistesbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, nicht das Candlelight-Dinner – betonte zwei Dimensionen unseres Menschseins, die uns einzigartig, das heißt, nicht automatisierbar machen: Einfühlungsvermögen und innerer Antrieb. Das Handwerk verkörpert beide Qualitäten und verbindet Leidenschaft mit Sinnhaftigkeit, sowie idealerweise mit dem Gefühl, die Berufung zum Beruf gemacht zu haben. Es besitzt Grundqualitäten, die auch für andere Berufe immer wichtiger werden, in denen Menschen noch eine Rolle spielen sollen: die Einzigartigkeit des Geschaffenen sowie eine intime, unmittelbare Beziehung zwischen Mensch und gefertigtem Objekt.

Wenn wir diese neue Romantik im Herzen der Wirtschaft platzieren, dann profitieren wir auch wirtschaftlich: Menschengerechte Arbeit macht glücklicher, und glückliche, von innen heraus motivierte Mitarbeiter sind produktiver und innovativer. Zudem zahlen sich auch emotional gebundene Kunden für ein Unternehmen aus: Menschen wollen den Kontakt mit anderen Menschen, und wenn andere nur maximieren und optimieren, dann ragen jene Marken heraus, die genau dies ermöglichen. Und schließlich geht es um Innovation: Die können Maschinen noch nicht, sondern nur Menschen. Und zwar nur Menschen, die die Welt nicht so sehen, wie sie ist, sondern, wie sie sein könnte: Menschen mit Einfühlungsvermögen, starkem inneren Antrieb und Fantasie. Mit anderen Worten: Romantiker.

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Genau deswegen bietet uns das Handwerk wichtige Fingerzeige, was die Zukunft der Arbeit insgesamt betrifft. In einer Zeit, in der alles Prozessorientierte, Effizienzgetriebene von Maschinen noch effizienter erledigt werden kann, wird die wichtigste menschliche Arbeit die sein, die schön gemacht werden muss – mit Einfühlungsvermögen und aus innerem Antrieb, mit Herz und Hingabe und Werten.

Nicht-materielle Faktoren immer wichtiger

„Etwas selbst dann richtig zu tun, wenn man vielleicht gar nichts dafür bekommt, das ist wahrer Handwerksgeist. Und wie ich meine, vermag nur solch ein uneigennütziges Gefühl des Engagements und der Verpflichtung die Menschen emotional zu erheben“, so hat es der US-Soziologe Richard Sennett einmal formuliert.

Diese nicht-materiellen Faktoren werden gerade bei den Millennials und der nachfolgenden Generation Z immer wichtiger. In einer jüngsten Deloitte-Studie gaben 90 Prozent der befragten Millennials in Deutschland an, am stärksten von der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit motiviert zu sein. Übrigens bedeutet dies nicht nur Selbstverwirklichung. Der Psychologe Abraham Maslow hat seine berühmte Bedürfnispyramide 1970, kurz vor seinem Tod, nochmals erweitert und eine Ebene über die Selbstverwirklichung eingezogen: Transzendenz, das Gefühl zu etwas beizutragen, das größer ist als man selbst.

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Auch sind Sinnhaftigkeit und Leidenschaft nicht immer dasselbe. Ein kurz vor dem Ruhestand stehender, hochrangiger Manager einer großen deutschen Bank hat mir einmal gebeichtet, dass er zwar immer leidenschaftlich gerne Banker war, aber dass er nun auf der Zielgeraden seiner Karriere bereue, nichts wirklich geschaffen zu haben, nichts wirklich zu hinterlassen, das ihn überlebe. Umgekehrt kann es aber auch sein, dass Menschen etwas gefühlt sehr Sinnhaftes tun, indem sie beispielsweise für Greenpeace oder Amnesty International arbeiten, aber ihr Büroalltag völlig leidenschaftslos verläuft. Das ist das Schöne am Handwerk – dass sich hier im Idealfall Sinnhaftigkeit und Leidenschaftlichkeit decken.

Das Handwerk versucht mit dieser Werthaftigkeit der Arbeit auch die wachsende Lohnschere zur Industrie zu kompensieren. Brand Eins hat jüngst die Geschichte von Bürsten Nickles erzählt, einem kleinen Familienunternehmen in Bamberg. Inhaber Kilian Schumm hat seinen IT-Job an den Nagel gehängt, um das sterbende Geschäft seiner Großeltern wieder aufleben zu lassen.

Ähnlich getrieben von einem besonderen Ethos sind Kumpel & Keule, die unter anderem in der hippen Berliner Markthalle Neun mit der Mission am Start sind, „dem Fleisch und dem Handwerk die Würde zurückzugeben“ oder auch Stitch by Stitch, eine Organisation, die aus Syrien geflüchteten Schneiderinnen eine neue Aufgabe gibt und damit zuletzt den Frankfurter Gründerpreis gewann.

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Oder eben Mittelständler wie der Feinstpapierhersteller Gmund, der an der Schwelle zwischen Handwerksbetrieb und Industrie angesiedelt ist, sich aber die Romantik des Handwerks bewahrt hat: Vorstellungsgespräche finden in der Papierfabrik am Tegernsee statt. Die Möglichkeit, das Papier anzufassen und die Geschichte des Unternehmens hautnah zu erleben, so ein Mitarbeiter, locke immer wieder Bewerber zu Gmund, auch wenn andere Arbeitgeber eventuell mehr zahlen. Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit kommen hier im Bestreben zusammen, dieser Welt etwas mehr Schönheit zu stiften.

Mit Herz und Hand etwas Einzigartiges zu schaffen, leistet so schnell keine Maschine

Handwerksbetriebe haben den Vorteil, dass die Entscheidungswege kürzer sind als bei großen Konzernen. Das kommt ihnen beim rasanten Tempo der Digitalisierung entgegen. Auf der anderen Seite steht die Tradition in familiengeführten Firmen oft schnellen Entscheidungen und Experimenten entgegen.

Wenn man sich die vier Ebenen des digitalen Zeitalters – Digitalisierung, Dezentralisierung, Demonetarisierung, Disruption – anschaut, so steht das Handwerk stellvertretend für andere Berufsgruppen in Deutschland. Viele Unternehmen sind noch mittendrin in Phase eins und lediglich dabei, ihre Herstellungs- und Abrechnungsprozesse zu automatisieren. 58 Prozent der Handwerksbetriebe setzen laut einer gemeinschaftlichen Studie des Zentralverbands des deutschen Handwerks und des IT-Verbandes Bitkom Software-Lösungen für die Steuerung ihrer betrieblichen Abläufe ein. Ein Viertel nutzt digitale Technologien zur Herstellung von Ersatzteilen oder als Tracking-Systeme für Maschinen und Werkstoffe.

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Die große Chance liegt nun darin, digitale Technologien auch im Frontend, also beispielsweise in der Kundenerfahrung, einzusetzen. Techniken wie Design Thinking können helfen, die sogenannte Customer-Experience-Journey zu verstehen und jene Momente zu identifzieren, die für den Kunden wirklich wichtig sind. Beim Handel lautet das Zauberwort hier „Omnichannel“, die kanalübergreifende Ansprache und Begleitung des Kunden. Für das Handwerk sollte Bequemlichkeit alleine jedoch nicht das höchste Gut darstellen, sondern Charakter. Trotz immer smarterer Datenprofile muss die Customer-Experience persönlich sein, nicht personalisiert.

Darüber hinaus sind natürlich neue Geschäftsmodelle ein Thema, insbesondere Plattform-Modelle, sprich E-Commerce oder eventuell auch Partnerschaften mit anderen Industriezweigen oder großen Handelsketten. Bislang hat aber erst jeder fünfte Handwerksbetrieb eine Partnerschaft mit Unternehmen aus der Digitalwirtschaft geschlossen.

Eine neue Generation an Handwerkern geht voran. Die Berliner Handwerkervermittlungsplattform Homebell schloss gerade eine elf Millionen Euro starke Finanzierungsrunde ab. Der Dortmunder Mirco Grübel baut mit Myster.de eine Firma auf, die sich auf Böden und Wände fokussiert und sich als Plattform für Kunden, Handwerker und Produzenten positioniert. Stegimondo hat sich sich als Online-Dachdecker etabliert und bietet seinen Nutzern vom Angebot bis hin zur Baubetreuung einen umfassenden Service.

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Das Handwerk ist gut beraten, diese Plattformstrategien mit voller Kraft weiterzuverfolgen, um somit Amazon und anderen lauernden Plattformgiganten zuvorzukommen. Gerade für Handwerker, die so stolz auf ihr Tun sind, gilt: Digitalisierung ist eine radikal neue Form des Denkens. Allerdings werden Convenience und Effizienz dabei alleine nicht ausreichen. Die Digitalisierung des Handwerks kann Vorbildcharakter haben, weil sie auf extreme Art und Weise den Spagat der gesamten deutschen Wirtschaft illustriert: zwischen Tradition und Disruption, zwischen Werten und Wandel. Handwerk bleibt Herzensache und es ist genau diese Qualität, mit der es uns hinsichtlich einer humanen Zukunft der Arbeit inspieren kann. Mit Herz und Hand etwas Einzigartiges schaffen – ein Unikat –, das leistet so schnell keine Maschine.

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