Diese Gründerin erklärt, wie schlecht es um die Digitalisierung im Gesundheitswesen bestellt ist
Und wer sich die Explosion der Kosten im Gesundheitswesen ansieht, könnte sich fragen, warum wir nicht schon längst auf die digitale Unterstützung für unser Gesundheitssystem setzen. Wir haben bei Katharina Jünger, Geschäftsführerin und Gründerin von Teleclinic nachgefragt, wie der Stand der digitalen Transformation im deutschen Gesundheitswesen ist. Teleclinic ist eine digitale Gesundheitsplattform, die unter anderem die private Patientenakte, Gesundheitsmonitoring, digitale Präventionsprogramme und die digitale Arztsprechstunde ermöglicht.
t3n.de: Wie viel Digitalisierung haben wir heute im Gesundheitswesen?
Katharina Jünger: Die Menschen kommunizieren heute digital. Versicherungen oder Ärzte setzen dagegen noch auf Papier. Das passt einfach nicht zusammen. Wir müssen die Menschen dort abholen und ansprechen, wo sie sind. Und das sind heute digitale Kanäle.
t3n.de: Was ist mit Hilfe der Digitalisierung im Gesundheitswesen überhaupt möglich?
Im zweiten Gesundheitsmarkt nutzen ja schon viele Menschen digitale Anwendungen und damit die Möglichkeit, die eigene Gesundheit zu managen. Also den eigenen Körper zu überwachen und das Verhalten entsprechend anzupassen. Dabei stehen Fragen wie „Habe ich mich heute genug bewegt?“ oder „Wie gesund ist meine Ernährung?“ im Vordergrund. Die Digitalisierung kann aber noch sehr viel mehr. Sie kann Prozesse im ersten Gesundheitsmarkt – also im Bereich der Leistungen der Krankenversicherungen – wesentlich effizienter und nutzungsfreundlicher beziehungsweise einfacher für Patienten gestalten.
t3n.de: Beispiele?
Durch die Digitalisierung von Gesundheitsdaten oder Dokumenten wie zum Beispiel Röntgenuntersuchungen können kostenintensive Doppeluntersuchungen vermieden werden, indem unterschiedliche Ärzte oder Krankenhäuser die Daten digital austauschen können. Und natürlich kann ein behandelnder Facharzt, der Zugriff auf die digitalen Informationen des Hausarztes hat, den Patient besser und zielführender behandeln.
Digitale Anwendungen können auch die bestehenden Unterschiede in der Versorgungsdichte ausgleichen, indem durch moderne Informations- und Kommunikationstechnik ländliche Gebiete an die medizinische Versorgung in Ballungszentren angeschlossen werden. Nicht in jedem Dorf findet sich heute ein Haus- oder Facharzt. Oft müssen die Menschen in die nächste Kreisstadt fahren. Über die Online-Videosprechstunde könnten Ärzte in Städten die Menschen in ländlichen Gebieten mitversorgen, und so die Versorgungsqualität verbessen. Oder nehmen wir das Online-Rezept: Chroniker oder Menschen, die regelmäßig ein bestimmtes Medikament benötigen, müssen bisher jedes Mal aufwändig zum Arzt gehen. Es wäre doch sehr viel einfacher, sich das benötigte Rezept online über die digitale Arztsprechstunde zuschicken zu lassen. Das spart Zeit und Geld.
t3n.de: Ja sind die Deutschen denn schon bereit, Daten an Ärzte auch digital zu übermitteln?
Die Menschen sind schon längst bereit. Laut einer Umfrage der Bitkom und Bayerischen Telemed Allianz (BTA) befürworten 60 Prozent die elektronische Gesundheitsakte. Knapp jeder Zweite nutzt Gesundheits-Apps; auch die Konsultation von Ärzten über digitale Kanäle kann sich laut Bertelsmann-Stiftung heute jeder zweite Patient vorstellen. Bei den Menschen ist die Digitalisierung also angekommen. Aber eben noch nicht im System.
t3n.de: Sie sagen, unser Gesundheitssystem ist noch nicht soweit. Hätten wir denn überhaupt schon die Infrastruktur für ein digitalisiertes Gesundheitswesen?
Erste Strukturen gibt es bereits. Die Patienten können Gesundheitsdaten in ihrem privaten und sicheren Gesundheitskonto speichern und mit Ärzten teilen. Das wird auch gemacht. Spontan fällt mir der Fall einer Urlauberin ein, die sich im Ausland den Arm gebrochen hatte. Der Arzt vor Ort wollte operieren. Die Patientin war unsicher und hat einem unserer Ärzte das Röntgenbild geschickt, um seine Meinung einzuholen. Das hat ihr enorm geholfen. Die Frage ist doch, warum so etwas noch nicht flächendeckend allen Patienten ermöglicht wird. Wichtig ist dabei, dass die Daten sicher übermittelt werden und der Patient jederzeit die Hoheit darüber hat und selbst entscheidet, wer die Daten einsehen kann und wer nicht.
t3n.de: Wie ist garantiert, dass diese sehr persönlichen Daten nicht in die Hände von Versicherern gelangen – Stichwort Abrechnung der Leistungen?
Die Versicherung erhält nur einen Abgleich darüber, ob der Versicherte, der angegeben hat, bei der Versicherung versichert zu sein, dort auch tatsächlich versichert ist. Dieser Abgleich erfolgt über die Versicherungsscheinnummer – alle anderen Auswertungen (beispielsweise über Fachrichtungen, Device Nutzung und vieles mehr) erhält die Krankenversicherung anonymisiert.
t3n.de: Seit wann haben Sie eine digitale Gesundheitsakte? Und wer hat darauf Zugriff?
Ich habe seit Going Live von Teleclinic im Mai 2016 eine eigene und private Gesundheitsakte. Darin enthalten sind meine Allergien, Lebensmittel-Intoleranzen und Medikamente, die ich nehme. Außerdem habe ich meinen Impfpass hochgeladen. Das ist super praktisch, beispielsweise jetzt, wo ich nach Vietnam fliege, konnte ich schnell basierend auf meinem Gesundheitskonto eine Beratung durch einen unserer Ärzte zum Thema „welche Impfungen brauche ich noch“ einholen.
t3n.de: Danke für das Gespräch.
Leider hinkt unser Gesundheitssystem den berechtigten Anforderungen und Wünschen der Patienten bzw. Versicherten hinterher. So werden z.B. Wearables und Gesundheits-Apps beim Patienten immer beliebter. Auch „Doktor Google“ wird häufig zu Symptomen und Krankheiten befragt. Aber leider zögern bislang die Entscheider im Gesundheitswesen, diese Entwicklungen zugunsten der Versorgung zu nutzen. Es wird Zeit, dass hier Entscheidungen getroffen werden, sonst wird der Patient Angebote nutzen, die nicht dem deutschen Datenschutz unterliegen.
Wer einmal in eine Arztpraxis geht, der wird ernüchternd feststellen, dass dort noch mit kreischenden Modems und mittlerweile ausrangiertem Windows XP als Betriebssystem gearbeitet wird.
Ich hatte auch mal was ernsthaftes, nicht der niedergelassener Arzt hat das herausgefunden, sondern ich über einen weiteren ehemalig Betroffenen im Internetforum, was glücklicher Zufall war. Der Arzt meinte immer, alles Quatsch im Internet, nachher stellte sich heraus: Doch kein Quatsch.
Abgesehen davon fehlt z. B. jeglicher Service in Krankenhäusern oder bei niedergelassenen Ärzten. Meist kein WLAN vorhanden und wer im Funkloch sitzt, ist von der Welt abgeschnitten. Ist mir mal passiert, eine Woche kein Internet und damit keine Filme, kein Kontakt nach außen und konnte auch nicht arbeiten. In einer anderen Klinik war das Internet unverhältnismäßig Wucher. Ich denke, hier sind die Internetanbieter gefragt, die Kliniken mit kostenlosem Internet Hotspot auszustatten.
An Finanzmitteln sollte es grundsätzlich nicht mangeln für die Kassenbeiträge und Steuern die wir alle zahlen „müssen“. Immerhin soll ja Überschuss bestehen.
Ich finde es übrigens gut, dass nunmehr moderne Ärzte (darunter auch einige ältere Generationen) ziemlich viele Informationen über Diagnose, Therapie, Medikamente etc. auf deren Website leicht verständlich veröffentlichen, aber das ist noch eine Minderheit. Auch das Medikamente nebst möglichen Nebenwirkungen etc. detailreich beschrieben werden.
Grundsätzlich hat dieser Artikel ja Recht, das Gesundheitswesen hinkt hinterher – aber sorry, was ist denn „Wie ist garantiert, dass diese sehr persönlichen Daten nicht in die Hände von Versicherern gelangen – Stichwort Abrechnung der Leistungen?“ für eine dämliche Frage? Regen Sie sich auch drüber auf, wenn die Kassierin im Supermarkt sehen kann, was sie einkaufen? Soll das auch anonymisiert werden?
Gesundheitsleistungen sind nunmal abrechenbare Leistungen, der Mitgliedsbeitrag an die Krankenkasse kauft keine Flatrate, auch wenn es sich so anfühlt. Ihre Krankenkasse hat ein Anrecht auf diese Daten, genau wie ihr Arzt und die KV, diese hängen nunmal alle drin in dem Abrechnungsprozess. Wem das nicht passt, der kann ja zum Privatarzt oder zum Heilpraktiker gehen und bekommt dann eine direkte Rechnung.
Und mit Verlaub: Diese Datenschutzpanik ist genau einer der Gründe, warum das Gesundheitswesen bei der Digitalisierung nicht voran kommt.