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Kolumne

Digitalisierung: Die Phase der Sinnsuche hat begonnen

Kinder der 90er waren es gewohnt, in einer sich selbst beschleunigenden Revolution zu leben – und gingen davon aus, dass es immer so weiter geht. Doch die gesellschaftliche Veränderungseuphorie ist durch eine Sinnsuche abgelöst worden. Die Neuland-Kolumne.

Von Stephan Dörner
3 Min.
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Frau mit Meditations-App. Die Phase der Sinnsuche in der Digitalisierung hat begonnen. (Foto: Shutterstock/Dragon Images)

Ich bin ein Kind der 90er. Als ich aufwuchs, war die digitale Revolution in vollem Gang, ab Mitte der 90er Jahre eroberte das Internet die westliche Welt. Es war die Zeit, in der Computer jedes Jahr signifikant schneller wurden und sich zumindest die Gamer, die es sich leisten konnten, nach spätestens zwei Jahren den nächsten Rechner anschafften.

„Mein Eindruck ist, dass wir seit ein paar Jahren auch zur Digitalisierung in einer solchen Sinnfindung sind.“

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Vielen erschien es damals so, als wären wir in ein Zeitalter der ständigen Beschleunigung der Veränderung eingetreten. Moore’s Law war damals noch quicklebendig – die digitale Revolution vollzog sich noch exponentiell, also als steil ansteigende Kurve.

Tech-Revolution: Verschnaufpause für die Sinnsuche?

Und heute? Das erste iPhone erschien 2007, vor mehr als zehn Jahren – es läutete die Smartphone-Revolution ein. Das Internet ist heute immer und überall verfügbar, es ermöglicht uns die Navigation per Google Maps, die ständige Kommunikation über Apps wie Whatsapp und neue Mobilitätsdienste von Uber bis Bikesharing. Das Gefühl, in einer ständigen technischen Revolution zu leben, stellt sich bei mir seit einigen Jahren nicht mehr ein.

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Hat sich die Digitalisierung entschleunigt? „Veränderungsgeschwindigkeit zu messen, ist enorm schwer, egal, ob es um gesellschaftliche oder technologische Veränderungen geht“, sagt Stefan Bergheim, Direktor der 2009 gegründeten gemeinnützigen Denkfabrik Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt in Frankfurt am Main. „Was sich aber wohl verändert, das ist unser gesellschaftlicher Umgang mit den Veränderungen.“

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Bergheim sieht Phasen von Technik- und Veränderungseuphorie in Phasen der intensiveren Reflexion und Sinnsuche übergehen. „Mein Eindruck ist, dass wir seit ein paar Jahren auch zur Digitalisierung in einer solchen Sinnfindung sind und uns nun verstärkt überlegen, welchen Einfluss diese auf unsere Lebensqualität hat beziehungsweise haben sollte.“ Wenn also alles digitalisiert ist, was kommt dann?

Dass sich Fortschritt nicht zweifelsfrei messen lässt, denkt auch Wolfgang König, Professor für Technikgeschichte (a. D.) an der Technischen Universität Berlin. „Ich betrachte die Industrielle Revolution in den Jahrzehnten um 1800 als eine allgemeine Dynamisierung der Gesellschaft, die bis heute andauert“, sagt König. „Eine von manchen behauptete ständige Beschleunigung kann ich nicht erkennen; sie könnte auch nicht dauerhaft sein. Das soziotechnische Geschehen ist zu komplex, dass es allgemeine Indikatoren für Beschleunigung geben könnte. Es bleibt also eine Frage der Interpretation.“

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König und Bergheim stimmen darin überein, dass sich Fortschritt nicht mehr in erster Linie rein technisch definieren darf. „Vielmehr geht es um Gesellschaftsqualität und individuelles Wohlbefinden. Aber auch diese beiden Begriffe sind natürlich interpretierbar“, sagt König. „Fortschritt bedeutet für mich eine dauerhaft gesicherte Verbesserung der Lebensqualität der Menschen“, sagt auch Bergheim. Dazu gehörten neben Wohlstand auch ein friedliches Zusammenleben, gute Gesundheit, ein hohes Bildungsniveau, sinngebende Arbeit und vielfältige kulturelle Möglichkeiten.

Die „glückliche Variante des Kapitalismus“

Das gesellschaftliche Klima ließ sich zuletzt auch an Wahlergebnissen ablesen, zumindest im wirtschaftlich prosperierenden Deutschland: Nicht mehr Wachstum, Wohlstand und technischer Fortschritt allein stehen im Vordergrund, sondern die Frage, wie uns die Technologie hilft, gesünder, glücklicher, umweltschonender und nachhaltiger zu leben.

„Mein Eindruck ist, dass wir als Gesellschaft noch immer zu viel Aufmerksamkeit auf die materiellen Aspekte dieser anzustrebenden Zukunft legen. Zu kurz kommen das Miteinander, die Partizipation, die mentale und die physische Gesundheit, die Bildung und anderes“, sagt Bergheim. Der Chef des Zentrums für gesellschaftlichen Fortschritt arbeitet selbst an Indikatoren, um diese Faktoren des Fortschritts zu messen. Vorbild sind für ihn Länder, in der für ihn die „glückliche Variante des Kapitalismus“ herrscht: Skandinavien, die Niederlande und die Schweiz.

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Doch wie kann Politik den gesellschaftlichen Fortschritt so gestalten, dass möglichst viele Menschen davon profitieren? „Wir sollten so regulieren, dass viel Neues entstehen kann, aber auch zügig entschieden werden kann, was von dem Neuen wünschenswert ist und was nicht“, sagt Bergheim. „Wir sollten Vielfalt und Offenheit fördern – und das Neue nicht den etablierten Strukturen überlassen.“ Professor König plädiert für eine „Globalsteuerung der Technik“ ohne Micromanagement: „Das heißt, der Staat sollte sich nicht in einzelne Innovationen einmischen, was er zurzeit tut, sondern nur allgemeine Ziele über Steuern, Fördermaßnahmen und Regelungen begünstigen.“

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