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MIT Technology Review Interview
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„Eisberg sichtbar machen, der unter Wasser liegt“: KI-Firma will Transparenz in Lieferketten bringen

Internationale Lieferketten sind anfälliger denn je. KI kann helfen, Firmen besser vorzubereiten, sagt der CEO von Prewave im Interview.

Von Wolfgang Stieler
4 Min.
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(Quelle: Superstar/ Shutterstock)

Kriege und Krisen führen uns die Brüchigkeit internationaler Lieferketten drastisch vor Augen. Weil die meisten Unternehmen auch künftig auf globale Zulieferung und Produktion angewiesen sind, müssen sie andere Wege finden, die Risiken zu meistern – unter anderem mit KI. Das österreichische Unternehmen Prewave trat 2017 mit dem Versprechen an, seine Kunden mithilfe von KI vor zukünftigen Risiken wie bevorstehenden Streiks, politischen Unruhen, aber auch Naturkatastrophen zu warnen. Im Interview erklärt Prewave-Mitgründer Harald Nitschinger, was sich seitdem verändert hat, und warum KI bei der Risiko-Analyse noch immer eine zentrale Rolle spielt.

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MIT Technology Review (TR): Ich habe vor ein paar Jahren das erste Mal Kontakt gehabt mit Prewave, als ich einen Artikel über Konfliktvorhersage geschrieben habe. Seitdem sind die geopolitischen Spannungen und die politische Unsicherheit noch einmal massiv gewachsen. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?

Harald Nitschinger, Co-Founder und Managing Director von Prewave (Bild: Prewave)

Harald Nitschinger, Co-Founder und Managing Director von Prewave (Bild: Prewave)

Harald Nitschinger: In den 90er Jahren wurden die Lieferketten immer globaler. Es schien eigentlich nur Vorteile aus der Globalisierung zu geben: Man konnte Lagerstände immer mehr reduzieren, man konnte immer den billigeren Lieferanten nehmen, auch wenn der vielleicht weiter weg ist. Es gab sozusagen viel Gain und keinen Pain. Dadurch wurden die Lieferketten aber auch immer komplexer.

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Und dann kamen eine Reihe an Black-Swan-Events, die das ganze Thema Resilienz von Lieferketten noch mal in ein ganz anderes Licht gestellt haben. Da waren die Pandemie und die Lockdowns, die global zu Verwerfungen geführt haben. Dann kam der Ukraine-Krieg. Der hat, muss man sagen, viele Industrien wie die Automobilindustrie, sehr kalt erwischt. Und schon zu diesem Zeitpunkt hat sich für uns als Software-Anbieter klar herauskristallisiert: Diese Black Swans, die kann man nicht vorhersagen.

Das war für uns der Schritt, an der Stelle eben stärker in die Lieferketten-Transparenz zu gehen. Das heißt, wir hatten dann 2021 begonnen, über verschiedene Datenquellen, die auch öffentlich verfügbar sind – das sind zum Beispiel Zolldaten oder auch Mediendaten – ein sogenanntes Lieferketten-Mapping zu machen.

TR: Wie funktioniert das?

Nitschinger: Das heißt, wenn man das Beispiel eines Großautomobilherstellers nimmt und seine 10.000 direkten Lieferanten: Wie erzeugt man eben in der tieferen Lieferkette diese Transparenz? Wer sind die Lieferanten der Lieferanten?

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Wir waren zu Beginn des Ukraine-Krieges, im Februar 2022, mit vielen unserer großen Kunden schnell in dieser Analyse. Natürlich wissen die sofort, welche ihrer direkten Lieferanten in der Ukraine produzieren. Das ist klar, das haben Sie in zehn Minuten ausgewertet. Aber welche Lieferanten aus der zweiten, dritten, vierten Stufe sind in der Ukraine? Das waren dann Informationen, die wir ihnen gegeben haben, wo dann wiederum entsprechende Strategien und Mitigation stattgefunden haben. Und das ist der Schwerpunkt, zu dem sich unsere Tätigkeit verlagert hat.

Wir haben ein Dashboard, das nennt sich Exposure-Analysen. Und das haben wir mittlerweile eben weiterentwickelt in eine Art Szenario-Analyse-Tool. Ein Szenario könnte sein: gesteigerte Wahrscheinlichkeit für Überflutungen in gewissen Regionen infolge des Klimawandels. Ein anderes Szenario kann sein, dass China die Exporte von gewissen Technologien oder Materialien stoppt. Und damit kann ein Kunde seine Lieferkette testen und sieht, wie er betroffen ist.

TR: Aber was ist, wenn ihre Kunden gar nicht alle Abhängigkeiten kennen?

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Nitschinger: Mittlerweile haben viele der Unternehmen schon eine Transparenz in gewissen Bereichen. Das ist aber oft nur sehr selektiv. Wir sagen immer, das ist der Teil vom Eisberg, der über der Wasseroberfläche liegt. Das übermitteln sie uns. Und wir gehen dann quasi unter die Wasseroberfläche, indem wir mehrere Datenquellen kombinieren.

Das sind Zolldaten, also etwa 30 Länder weltweit publizieren grenzüberschreitende Lieferungen, die im Zoll deklariert werden. Wir machen das auch über Mediendaten. Da wird KI eingesetzt, mit der wir zum Beispiel Geschäftsberichte und Pressemeldungen von Unternehmen analysieren. Oder auf der Website nennen sie Lieferanten, oder Referenzkunden. Und so machen wir diesen Eisberg sichtbar, der unter der Wasseroberfläche liegt.

TR: Und wenn Sie eine unvollständige Lieferkette kriegen, also die 100 wichtigsten Lieferanten, und da fehlen drei wichtige, weil niemand daran gedacht hat?

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Nitschinger: Was ich vorher gerade beschrieben habe, das sind die „known unknowns“. Wir wissen: Okay, seltene Erden aus China sind ein Problem. Ich möchte wissen, wie betrifft mich das? Was Sie gerade beschrieben haben, sind diese „unknown unknowns“. Wo habe ich gewisse Cluster-Risiken, wo man einfach auf Ebene von gewissen Materialien diese Risiken auf Länderebene auswerten kann?

Das heißt, man wertet aus, inwiefern gewisse Materialien aus globaler Sicht besonders stark zum Beispiel in der Ukraine, in Taiwan oder in China produziert werden. Und dann sieht man natürlich sehr schnell in den Daten: China hat eine Art Monopolstellung im Bereich der seltenen Erden. Aber es gibt auch ganz andere, weitgehend unbekannte Risiken. In Südkorea gibt es einen ganz spezifischen Gummi, der wird eingesetzt für O-Ringe, aber auch für Gummihandschuhe. Da hat Südkorea knapp über 50 Prozent der Weltproduktion von diesem Gummi.

TR: Das andere Problem, das Sie bestimmt haben und irgendwie angehen müssen, ist die sich sehr schnell verändernde politische Landschaft. Wie gehen Sie damit um? Stichwort: Trump und Zölle.

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Nitschinger: Wenn die Kunden, die ihre Lieferketten schon gemappt haben, dann können wir ein neues Szenario – also zum Beispiel 50 Prozent Zoll auf Stahleinfuhren aus Europa – innerhalb von wenigen Stunden im System auswerten. Wenn ich natürlich jetzt erst sage: Ich möchte das machen, dann dauert das ein bis zwei Monate, bis dieser Prozess des Mappings fertig ist. Die kurze Botschaft ist eigentlich: Man muss sich vorbereiten, man muss diese Transparenz schaffen. Wenn man sie hat, dann ist man in der Lage, eben schnell neue Analysen und Szenarien auszuwerten.

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