Endlich ein Lade-Stecker für alle: Was für einen Standard bei E-Bikes nötig ist

Eine Muster-Ladestation von EnergyBus in Hannover. Diese Pop-up-Ladestationen können unkompliziert und ohne Stromanschluss auf zwei Auto-Parkplätzen aufgestellt werden. Sie bieten zwölf Ladestellen. (Bild: ExtraEnergy)
Rund zehn Millionen E-Bikes fahren auf Deutschlands Straßen. Aber im Gegensatz zum Elektroauto lassen sie sich unterwegs nur umständlich oder gar nicht laden. Jeder Antriebshersteller verbaut seine eigenen Stecker – insgesamt sind mehr als zehn Varianten auf dem Markt. Öffentliche Ladesäulen gibt es kaum. Wer auf einer Radtour laden will, muss also klobige, oft kiloschwere Ladegeräte mitschleppen – und während des Ladens im Auge behalten, denn abschließbare Fächer sind Mangelware. Und wenn etwa Ausflugsgaststätten ihren radelnden Gästen Ladegeräte bereitstellen, dann meist nur die vom Europa-Marktführer Bosch.
Damit E-Bikes ähnlich unkompliziert laden können wie Elektroautos, braucht es einen einheitlichen Standard. Biergärten, Berghütten, Ausflugslokale, Supermärkte, Städte und Kommunen, Verleiher und Flottenbetreiber – sie alle könnten dann deutlich einfacher Ladeparks einrichten. Das könnte zusätzliche Kunden locken und nebenbei noch die Verkehrswende voranbringen.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 8/2023 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als pdf- oder Print-Ausgabe bestellen.
Vom Auto zum E-Bike
Genau so einen Standard entwickelt das private Industriekonsortium CHAdeMO. Dessen gleichnamiges Ladesystem für E-Autos ist im Ursprungsland Japan weit verbreitet, in Deutschland allerdings auf dem Rückzug. Aber für die Radvariante hat sich bereits ein großer Verbund zusammengefunden: bekannte Antriebshersteller wie Bosch, Shimano, Panasonic und Yamaha sowie Anbieter von Ladegeräten und -säulen. Das erste Mal vorgestellt haben sie ihren Ladestandard auf der Fahrradmesse Eurobike 2022, 2023 gab es dort 3D-gedruckte Modelle und Prototypen zu sehen. Das Konsortium plant, den Standard bis 2025 von einer offiziellen Normungskommission zertifizieren zu lassen.
Das System besteht, wie sein Auto-Pendant, aus einer Ladebuchse am E-Bike und einem fest installierten Kabel an Ladesäule oder Ladegerät. Über ein eigenes Protokoll und einen CAN-Bus kann das Batteriemanagementsystem des Fahrrades mit dem Ladegerät aushandeln, welchen Strom und welche Spannung es braucht. Per Adapter sollen sich möglichst viele bereits existierende E-Bikes laden lassen. Für die eigenen Antriebssysteme ab 2017 hat Bosch schon einen Adapter entwickelt.
Das Biergarten-Szenario
Die Ladeleistung orientiert sich am „Usecase Biergarten“: Ein Pedelec-Akku mit 500 Wattstunden sollte während einer 30-minütigen Pause zu 80 Prozent aufgeladen werden können. Um das zu erreichen, hat das Konsortium eine Ladeleistung von 800 Watt als Eckwert definiert (20 Ampere Gleichstrom bei bis zu 40 Volt).
CHAdeMO beschränkt sich bewusst auf Pedelecs mit 250 Watt Antriebsleistung und elektrischer Unterstützung bis 25 Kilometer pro Stunde („EPAC“). „Diese Klasse ist fertig entwickelt und groß genug, dafür einen eigenen Stecker zu definieren“, sagt Philipp Kohlrausch von Bosch E-Bike Systems. E-Scooter und ähnliche Fahrzeuge können den Standard auch nutzen. Die Spannung von 40 Volt sei einerseits hoch genug für zügiges Laden, andererseits niedrig genug, um bei einem Fehler weder Mensch noch Material zu schaden.

Solche – oft belegten oder beschädigten – Schließfächer für Ladegeräte könnten durch einen einheitlichen Ladestandard überflüssig werden. (Bild: Action press)
EnergyBus seit 2013
Klingt gut? Gibt es aber bereits. Zumindest so ähnlich. Schon 2009 hat der Verein EnergyBus e. V., der sich für einen einheitlichen Ladestandard einsetzt, seinen eigenen Standard vorgestellt und seitdem weiterentwickelt. Der auffälligste Unterschied zu CHAdeMO ist die Hardware: Das Ladekabel ist fester Teil des Fahrzeugs und nicht der Ladesäule. Zudem liefert das System mit bis zu 7000 Watt ein Vielfaches der Leistung. Damit kommt es nicht nur für Pedelecs infrage, sondern auch für andere elektrische Leichtfahrzeuge.
Einige Anbieter wie der schweizerische E-Bike-Hersteller Stromer nutzen den EnergyBus schon seit 2013 – allerdings mit einer älteren Steckerversion. Der aktuelle Standard setzt auf zwei Steckertypen: zweipolige mit bis zu 60 Volt sowie dreipolige mit bis zu 120 Volt. Der zweipolige Anschluss ist für Pedelecs und mittelgroße Elektroroller mit bis zu fünf kWh Akku-Kapazität gedacht. Im Gegensatz zu CHAdeMO ist er auch für Antriebe mit 48 statt der üblichen 36 Volt geeignet. Motorhersteller wie Brose oder TQ, die aus der Automobil- oder Automatisierungsbranche kommen, nutzen diese Spannung, weil sie dort Standard ist. Der dreipolige Stecker dient größeren Cargobikes und Motorrollern.
Steckverbindung und E-Bike werden mechanisch und digital abgesichert. Solange kein Stecker in der Buchse steckt, fließt auch kein Strom. Wird das E-Bike angesteckt, beginnt die Kommunikation zwischen Ladegerät und Fahrzeug, um die Elektronik vor Überspannung zu schützen. Sie geschieht drahtlos per NFC über das in vielen Branchen genutzte CANopen-Protokoll. Anschließend wird der Stecker arretiert und das E-Bike wird in den Lademodus versetzt, der den Antrieb elektronisch deaktiviert. Diese Sperre kann nur vom Besitzer freigeschaltet werden, zum Beispiel über einen Code am E-Bike. Ein gestohlenes E-Bike ist dadurch praktisch unbrauchbar. Für Verbraucher sei das ein echter Vorteil, sagt Hannes Neupert vom EnergyBus e. V., Mitinitiator und treibende Kraft hinter dem System.

EnergyBus-Stecker für 60 Volt (oben) und 120 Volt mit elektronischer Diebstahlsicherung. (Bild: EnergyBus)
Wer setzt sich durch?
Neupert wundert sich über die Anstrengungen von CHAdeMO, denn seit Juli 2023 sei der EnergyBus im IEC-Standard TS 61851-3-2 festgeschrieben und ab August 2024 gültig. Ab dann ist er für Hersteller als Teil einer Standardisierungskaskade indirekt vorgeschrieben: Um ein CE-Zeichen für geprüfte Sicherheit in Europa zu bekommen, müssen E-Bike-Hersteller die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG erfüllen. Diese enthält die DIN EN 15194/A1 für Pedelecs. Diese wiederum verweist auf den Batteriesicherheitsstandard EN 50604-1. Und dieser verweist schließlich auf den besagten Ladestandard IEC TS 61851-3-2.

Lade-Einbaudose für alle Steckertypen. (Bild: EnergyBus)
Müssen alle E-Bikes also in Zukunft fest verbaute Ladekabel haben? Nicht unbedingt. Bei öffentlich subventionierten Stellplätzen ist die „harmonisierte“ EnergyBus-Lösung zwar vorgeschrieben. Der Ladestandard erlaubt aber auch Ausnahmen. Dazu gehören herstellerspezifische Systeme wie CHAdeMO.
Gerade bei schlanken E-Bikes sei es unmöglich, Kabel fest zu installieren, argumentieren die CHAdeMO-Befürworter. Außerdem lassen sich über die Adapter auch ältere E-Bikes versorgen. Neupert hält entgegen: „Das regeln die Designer.“
Wichtiger sei es, die Infrastruktur im städtischen Raum zu sichern – fest installierte Kabel gingen erfahrungsgemäß zuerst kaputt. Und die Unterstützung für ältere E-Bikes? Da ist Neupert pragmatisch. Das seien wenig im Vergleich zu den 20 bis 30 Millionen neuen Pedelecs, die künftig pro Jahr dazukommen werden.