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Endlich ein Schutz vor HIV-Ansteckung: Warum eine jährliche Spritze Hoffnungen weckt

Vielversprechende Ergebnisse einer frühen Studie deuten darauf hin, dass Lenacapavir-Injektionen einen lang anhaltenden Schutz bieten könnten.

Von MIT Technology Review Online
6 Min.
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Künftig könnte eine Spritze pro Jahr reichen, gegen HIV vorzubeugen. (Foto: shutterstock/penofoto)

Jedes Jahr stellt Technology Review eine Liste mit den „10 bahnbrechenden Technologien des Jahres“ zusammen. Bei den biotechnologischen Innovationen gab es dieses Jahr einen klaren Sieger: Lenacapavir, ein Medikament, das in einer klinischen Studie HIV-Infektionen bei 100 Prozent der Frauen und Mädchen verhinderte, die es erhielten.

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In der Medizin hört man „100 Prozent“ nie. Die Studie war die erfolgreichste, die je zur HIV-Prävention durchgeführt wurde. Das Medikament war darüber hinaus auch sicher und muss nur zweimal im Jahr gespritzt werden, um vollen Schutz zu bieten. Es ist bereits zur Behandlung von HIV-Infektionen zugelassen.

Phase-I-Studie für HIV-Medikament erweist sich als vielversprechend

Mitte März wurden auf einer Konferenz in San Francisco die Ergebnisse einer kleinen Phase-I-Studie bekannt gegeben, bei der Lenacapavir sogar nur einmal pro Jahr verabreicht wurde. Diese frühen „ersten Versuche am Menschen“ dienen dazu, die Sicherheit eines Medikaments an gesunden Freiwilligen zu testen. Dennoch sind die Ergebnisse äußerst vielversprechend: Alle Probanden hatten das Medikament noch ein Jahr nach der Injektion in ihrem Blutplasma, und zwar in einer Konzentration, die früheren Studien zufolge vor HIV-Infektionen schützt.

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Normalerweise sind Phase-I-Studien, an denen meist nur eine Handvoll Freiwilliger teilnimmt und die in der Regel nicht viel darüber aussagen, ob ein Medikament wirkt, noch lange kein Grund für Begeisterung. Aber diese Studie ist anders. Nimmt man alle Lenacapavir-Studien zusammen, bilden sie einen großen Schritt in Richtung Beendigung der HIV-Epidemie.

Vorbeugende Medikamente gegen HIV

Seit 2012 gibt es wirksame Medikamente zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Diese können vorbeugend eingenommen werden, man muss aber daran denken, das entweder täglich oder kurz vor dem Kontakt mit dem Virus zu tun. 2021 hat die US-Arzneimittelbehörde FDA das erste langwirksame injizierbare Medikament zur HIV-Prävention zugelassen: Cabotegravir muss nur noch alle zwei Monate verabreicht werden.

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Forscher:innen arbeiten inzwischen auch an Medikamenten, die einen noch länger anhaltenden Schutz bieten. Denn es kann schwierig sein, an die tägliche Einnahme von Tabletten zu denken, wenn man krank ist, und noch viel mehr, wenn man gesund ist. Außerdem sind diese Medikamente mit einem Stigma behaftet. „Die Leute sind besorgt, wenn sie die Pillen in ihrer Handtasche im Bus herumkullern hören, oder sie auf einem Medizinschrank oder Nachttisch sehen“, sagt Moupali Das, Vizepräsidentin für HIV-Prävention und Virologie, Pädiatrie und klinische HIV-Entwicklung bei Gilead Sciences, das Lenacapavir entwickelt hat.

Studie mit Frauen und Mädchen in Uganda und Südafrika

Diese Angst vor Verurteilung könnte bald der Vergangenheit angehören. Das Medikament ist bereits zur Behandlung einiger Fälle von HIV-Infektionen zugelassen, aber erst im vergangenen Jahr wurde in zwei Studien seine Wirksamkeit bei der Prävention getestet. In der ersten Studie erhielten mehr als 5.000 Frauen und heranwachsende Mädchen in Uganda und Südafrika entweder zweimal im Jahr eine Lenacapavir-Injektion oder eine tägliche PrEP-Pille. Diese Studie war ein durchschlagender Erfolg: Unter den Probanden, die Lenacapavir erhalten hatten, gab es keine Fälle von HIV.

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In der zweiten Studie wurde das Medikament an 3.265 Männern und Personen mit vielfältigen Geschlechtsidentitäten getestet, einschließlich Trans-Männern, Trans-Frauen und nichtbinären Personen. Durch die zweimalige jährliche Injektion wurde in dieser Gruppe die HIV-Inzidenz um 96 Prozent gesenkt.

Nur noch eine Spritze pro Jahr

In der jüngsten Studie, die im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht wurde, testeten Das und ihre Kollegen eine neue Formulierung des Medikaments an 40 gesunden Freiwilligen in den USA. Die Teilnehmer:innen bekamen zwar immer noch Lenacapavir, aber in einer etwas anderen Formulierung und in einer höheren Dosis. Während bei den früheren Versuchen das Medikament unter die Haut gespritzt wurde, erhielten diese Teilnehmer Injektionen in ihre Gesäßmuskeln. Die Hälfte der Freiwilligen in dieser Studie erhielt eine höhere Dosis als die anderen.

Das Medikament scheint in dieser kleinen Probandengruppe, für die kein HIV-Risiko bestand, sicher und auch wirksam zu sein. Die Blutplasmakonzentrationen des Medikaments blieben hoch, selbst bei jenen Probanden, die die niedrigere Dosis erhielten.

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Ein Jahr nach der Injektion waren die Werte immer noch höher als bei Personen, die im letzten Jahr vor HIV geschützt waren. Mehr noch: Auch ein Jahr nach der Injektion war der Wirkstoffspiegel immer noch höher als bei Personen, die in den letztjährigen Studien durch zwei Injektionen vor HIV geschützt wurden. Das deutet darauf hin, dass die neue jährliche Injektion genauso gut schützt, wie die zweimal jährlich verabreichte, sagt Renu Singh, Senior Director in der klinischen Pharmakologie bei Gilead Sciences, der die Ergebnisse auf der „Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections“ in San Francisco vorstellte. „Ich war so begeistert [von den Ergebnissen]“, sagt auch Carina Marquez von der University of California, San Francisco, die sowohl Infektionskrankheiten erforscht als auch Menschen mit HIV behandelt.

Jährliche Impfungen würden die Arbeit sowohl für die Patient:innen als auch für die Gesundheitsdienstleister erleichtern und möglicherweise billiger machen, so Marquez. „Wenn es funktioniert, was nach den Daten der Phase I vielversprechend aussieht, wird es ein Wendepunkt sein“, sagt sie.

Schluss mit der Virusvermehrung

Das Medikament wirkt, indem es die Vermehrungsfähigkeit des Virus beeinträchtigt. Aber es scheint auch einige sehr ungewöhnliche Eigenschaften zu haben, sagt Singh. Es kann täglich oder einmal im Jahr eingenommen werden. Kleine Dosen können tagelang im Blut verbleiben, anstatt nur Stunden zu dauern. Und größere Dosen bilden ein sogenanntes Depot, das den Wirkstoff im Laufe der Zeit allmählich freisetzt. „Ich habe früher bei der FDA gearbeitet und mir viele, viele verschiedene Moleküle und Produkte angesehen, aber so etwas habe ich noch nie gesehen“, fügt Singh hinzu.

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Nach dem erfolgreichen Abschluss einer Phase-I-Studie gehen die Forscher in der Regel zu einer Phase-II-Studie über, in der die Wirksamkeit eines Arzneimittels getestet wird. Bei Lenacapavir ist dies angesichts des beispiellosen Erfolgs der letztjährigen Versuche nicht notwendig. Das Team von Gilead plant derzeit eine Phase-III-Studie, bei der jährliche Impfungen an einer großen Zahl von Menschen mit HIV-Infektionsrisiko getestet werden sollen.

Das Medikament ist noch nicht zugelassen, aber die Forscher:innen von Gilead haben das zweimal jährlich verabreichte Lenacapavir bei der FDA und der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Zulassung eingereicht. Sie hoffen, dass es im Juni von der FDA zugelassen wird, sagt Das. Das Medikament wird auch im Rahmen des „EU-Medicines for all“ (EU-M4all)-Verfahrens geprüft. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit zwischen der EMA und den Weltgesundheitsorganisationen, um die Zulassung von Medikamenten für Länder außerhalb Europas zu beschleunigen.

Bei jedem neuen Medikament gegen eine Infektion, die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen betrifft, gibt es immer Bedenken hinsichtlich der Kosten. Die bestehenden Formulierungen von Lenacapvir (zur Behandlung von HIV-Infektionen) können für einen Jahresvorrat etwa 40.000 US-Dollar kosten. „Für die zweimal jährlich zu verabreichende [Formulierung] gibt es noch keinen Preis“, sagt Das.

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Günstigere Generika in Sicht

Gilead hat Lizenzvereinbarungen mit sechs Generikaherstellern unterzeichnet, die günstigere Versionen des Medikaments in 120 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verkaufen werden. Im Dezember kündigten der Global Fund und andere Organisationen Pläne an, den Zugang zu zweimal jährlich verabreichtem Lenacapvir für zwei Millionen Menschen in diesen Ländern zu sichern.

Diese Bemühungen wurden jedoch mit dem Notfallplan des US-Präsidenten zur Bekämpfung von Aids (PEPFAR) koordiniert, einem Programm, dessen Existenz durch eine von der Trump-Regierung erlassene Anordnung zur Aussetzung der Auslandshilfe gefährdet ist.

„Wir beobachten die aktuelle politische Lage und prüfen unsere möglichen Optionen“, sagt Singh. „Wir sind entschlossen, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, um zu sehen, wie es weitergeht und was getan werden kann.“

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HIV-Epidemie: Bereits über 40 Millionen Leben gefordert

Die Aussetzung der US-Entwicklungshilfe USAID wird verheerende Folgen für die Gesundheit der Menschen auf der ganzen Welt haben. Und die Vorstellung, dass dadurch der Zugang zu einem Medikament erschwert werden könnte, das dazu beitragen könnte, die HIV-Epidemie zu beenden – die bereits über 40 Millionen Menschenleben gefordert hat – ist eine herzzerreißende Aussicht. Schätzungen zufolge starben im Jahr 2023 630.000 Menschen an HIV-bedingten Ursachen. Im selben Jahr infizierten sich weitere 1,3 Millionen Menschen mit HIV.

„Wir sind so weit, dass wir die Epidemie beenden können“, sagt Marquez. „Wir sind so weit gekommen … wir müssen die letzte Meile gehen und das Produkt zu den Menschen bringen, die es brauchen.“

Dieser Artikel stammt von Jessica Hamzelou. Sie ist Senior Reporter bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review und schreibt über Biomedizin und Biotechnologie.
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