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Interview
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Enfore-Gründer Marco Börries: „Wir haben Apple-Margen”

Mit Enfore will Marco Börries, einst als Wunderkind und „deutscher Bill Gates“ gefeiert, dem Einzelhandel im Überlebenskampf gegen Amazon helfen. Im Interview spricht er über die Macht von Amazon, sein Geschäftsmodell und die Frage, was Europa noch retten kann.

Von Stephan Dörner
16 Min. Lesezeit
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Marco Börries auf der Konferenz OMK in Lüneburg. (Foto: web-netz)

t3n: Enfore ist jetzt zehn Jahre alt, seit etwas über zwei Jahren mit einem Produkt auf dem Markt – mit 45 Millionen Euro Investment. Ihr wolltet einen Gesamtmarkt von 200 Millionen Kunden weltweit in zehn Jahren erreichen – wie viele davon haben bisher zugegriffen?

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Marco Börries: Wir geben keine offiziellen Zahlen raus – aber wir sind inzwischen in einem höheren einstelligen Tausender-Bereich bei den Point-of-Sales-Locations (POS) – nicht zu verwechseln mit Firmen. Einige Firmen haben nur eine POS – andere mehrere. Und wir haben nicht mehr nur kleine Unternehmen als Kunden, sondern auch mittlere und ganz große. Wir sind auch im zweiten Jahr voll im Plan.

t3n: Das Manager Magazin hat im Dezember 2018 getitelt: „Das Mini-SAP Enfore wächst viel langsamer als erhofft.“ Ist es schwerer als du es dir vorgestellt hast?

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Nein, ich glaube der Kollege war nur sauer, dass ich ihm Informationen nur off the record gegeben habe – der Artikel ist nicht fundiert. Das Manager Magazin hatte zum Start von Enfore ja eine große Titelstory mit uns gebracht – und da hatten wir eigentlich auch von vornherein unsere Strategie klargemacht: Wir planen mit einer Sicht auf fünf bis sieben Jahre, in denen wir Märkte aufbauen. Wir haben ja keinen eigenen Vertrieb.

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t3n: Den übernimmt die Telekom?

Alle unsere Partner, nicht nur die Telekom. Ein weiterer Partner ist der Service-Bund, ein Lebensmittelgroßhändler, der sich auf die Gastronomie spezialisiert hat. Die beliefern 65.000 Gastronomen in Deutschland, für den sind wir eine Komplettlösung – das ist ein Riesendeal. Wir werden in Kürze auch noch eine Partnerschaft mit weiteren sehr großen Unternehmen mit zahlreichen Filialen schließen. Und es dauert, bis so eine Partnerschaft ausgerollt ist. Bei Großkunden dauert das anderthalb bis zwei Jahre. Alleine hätte ich wahrscheinlicher im ersten Jahr mehr verkaufen können aber im zweiten, dritten und vierten weniger. Wir haben ein indirektes Vertriebsmodell. Das heißt, wir haben erstmal die Zeit, die es braucht, einen Partner zu finden – und dann diesen Partner hochzuskalieren. Die für mich entscheidende Frage: Wie hoch ist die Konvertierungsrate? Die liegt bei uns zwischen 60 und 75 Prozent.

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Marco Börries, geboren 1968, wurde als Gründer von Star Division schon Ende der 1980er Jahre international bekannt – mit nicht einmal 20 Jahren. Die Firma Star Division gründete er mit 16 als Garagenfirma in Lüneburg. Aus seiner Office-Suit Staroffice gingen später die Open-Source-Projekte Openoffice und Libreoffice hervor. Später arbeitete er unter anderem bei Sun Microsystems, die die Firma 1999 kauften. Inzwischen lebt er in Hamburg und Berlin. In beiden Städten hat auch Enfore Büros.

t3n: Wie sieht eurer Geschäftsmodell genau aus? Ihr verkauft Hardware, verkauft ihr auch Serviceverträge?

Wir unterscheiden da zwischen Small Business und Enterprise-Kunden. Bei den Kleinen kaufen die Kunden die Hardware und wir haben da eine sehr gute Marge – das funktioniert für Apple ja auch toll. Wir haben Apple-Margen. Die Software ist dann auf maximal neun Verkaufslokationen eingeschränkt. Die kleinen Unternehmen haben in der Regel zwei bis drei. Außerdem wickeln wir den Payment-Prozess zum Beispiel mit Kreditkarten ab und bekommen dafür Geld. Die kleinen Unternehmen bekommen durch uns dann Konditionen, wie sie sonst nur Große bekommen. Die Preise geben wir eins zu eins weiter. Als Restaurant zahlst du bei uns zum Beispiel 0,99 Prozent, also unter einem Prozent für Kreditkartenrechnungen, und 0,79 Prozent für Debit-Cards. Ohne monatliche Gebühren. Wir werden künftig auch andere Dienste anbieten, wie zum Beispiel Lohnbuchhaltung, und zwar deutlich günstiger als sonst am Markt üblich. Und die großen Unternehmen mieten die Software, ganz klassisch.

t3n: Wie verteilt sich euer Umsatz zwischen Hardware und Software?

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Bisher entfällt das meiste auf den Hardware-Verkauf, weil wir mit den Enterprise-Kunden erst anfangen.

t3n: Wollt ihr das Apple der Business-Welt werden mit dem Hardware-Verkauf?

Die Hardware, die wir heute alle benutzen, sind persönliche Geräte. Wir würden nie persönliche Geräte bauen. Wenn du dir heute Geräte für mobile Workflows anschaust, egal in welchem Bereich, werden in der Regel Tablets – die eigentlich zu groß sind – oder ein kleines, billiges Smartphone eingesetzt. Denn ein iPhone oder anderes High-End-Telefon kostet ja richtig Geld. Im Apple-Store nutzen sie das iPhone als Kasse – aber hast du dir die Dinger schon angesehen? Da ist noch so ein dicker Aufsatz für Kartenzahlungen drauf. Wir haben Donner gebaut. Da hast du Hardware und Software aus einer Hand – und das als Business-Gerät. Es sieht aus wie ein großes Telefon – aber in dieser Flachheit haben wir das komplette Kreditkartenterminal untergebracht, inklusive NFC und Barcodescanner. Außerdem ist es so robust, dass man es hinfallen lassen kann und es ist nicht nur über WLAN, sondern auch LTE verbunden – mit einer E-SIM. Das alles bieten wir für 600 Euro zum Einführungspreis an, später 700 Euro. Das ist günstiger als ein Smartphone. Und wir können ganz andere Konditionen verhandeln – und das ist eben das Apple-Prinzip. Aber wir zwingen niemanden, unsere Hardware zu kaufen, du kannst Enfore auch ohne unsere Hardware einsetzen.

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t3n: Wenn man von Apple absieht, scheint mir das Hardware-Geschäft out. Und auch dort steigt der Umsatzanteil mit Inhalten und Software.

Ich glaube nicht, dass es out ist – im Gegenteil. Durch Apple ist es ja wieder zurückgekommen. Gerade die kleinen Unternehmen haben nicht die Möglichkeit, eine Software zu nehmen und alles zusammenzupacken und es funktioniert. Die Leute, gerade die Geschäftskunden, wollen fertige Lösungen haben. Das iPhone hat auch deshalb eine so gute Marge, weil es weniger Performance braucht als die Android-Geräte, weil Software und Hardware aufeinander abgestimmt sind. Das ist bei uns ähnlich.

t3n: Ja, aber schaut man sich an, wo Venture Capital vor allem hinfließt, dann sind das Modelle rund um B2B-Software aus der Cloud, Software as Service – alles Mietmodelle, bei denen der Cash-Flow gesichert ist, bei denen eine gewisse Planbarkeit vorhanden ist. Hardware verkaufst du ein Mal und das war’s dann erstmal – dann liegt sie erstmal fünf Jahre beim Kunden rum und macht keine Umsätze.

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Doch, unsere Hardware macht Umsätze, das ist ja das Schöne dabei – über das Payment zum Beispiel. Die Leute brauchen ja nun mal ein POS-Terminal. Das kostet heute drei- bis fünftausend Euro. Bei uns zahlst du ein Drittel davon. Was passiert also? Die Leute kaufen mehr davon. Heute sind wir bei 1,5 Stationen im Schnitt pro Kunde. Mit dem Donner rechnen wir damit, dass wir drei pro Kunde im Schnitt verkaufen. Apple ist eine der drei reichsten Firmen der Welt mit einem vernünftigen Hardware-Umsatz…

t3n: Ja, aber mit einer Consumer-Hardware. Das ist ja ein Massengeschäft.

Ja, aber Apple macht mit einem Consumer-Modell mehr Ertrag als der Rest der Branche zusammengenommen. Das hat nichts mit Consumer zu tun, sondern mit der Marge bei der Hardware.

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t3n: Sie profitieren eben von dem Skaleneffekt. Es werden unfassbar viele iPhones verkauft.

Richtig – und wir glauben, dass wir sehr viele von diesen Geräten verkaufen können.

t3n: Wenn du von Apple-Margen sprichst, wovon sprechen wir dann? 40 bis 50 Prozent?

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Mehr! Als Daumenregel: Kosten mal drei ist der Verkaufspreis, das heißt rund 70 Prozent Marge.

t3n: Und die erreicht ihr auch?

Ja!

t3n: Aber ihr habt doch noch gar keinen Skaleneffekt, ihr verkauft doch noch wenige Geräte im Vergleich zu Apple?

Wenn du dir die Hardware anschaust, ist sie extrem hochwertig: Ein qualitativ hochwertiger Screen, modernster Quallcomm-Chip. Wir produzieren diese Geräte zusammen mit einem großen Hardware-Partner, ermöglicht durch unsere besonderen Beziehungen zu ihm. Und die verkaufen normalerweise ihre Geräte in Millionen-Stückzahlen. Durch unsere strategische Partnerschaft kommen wir aber auch an diese Konditionen. POS-Terminals inklusive mobiler Terminals werden fast 200 Millionen im Jahr verkauft, ein riesiger Markt.

t3n: Also das heißt, dass euer Gerät, das ihr für 600 bis 700 Euro verkauft, in der Produktion nur 200 Euro kostet?

Den genauen Preis darf ich nicht nennen, aber jeder kann diesen Dreisatz selber auflösen.

t3n: Wie geht das? Ihr produziert ja nicht Millionen.

Nein, Zehntausende. Und ja, das bekommt man normalerweise nicht hin. Aber asiatische Firmen haben eine sehr langfristige Perspektive.

t3n: Mit anderen Worten: Du hast deinem Hardware-Partner sehr viele Geräte in Aussicht gestellt?

Es ist eine Partnerschaft. Die sehen auch, dass das Consumer-Geschäft immer schwieriger wird, und das könnte ein weiteres Standbein werden – aber halt nicht von heute auf morgen.

„Das Problem, das alle heute haben – die Kleinen wie die Großen: Sie verstehen den Kunden nicht digital.“

t3n: Warum habt ihr nicht einfach ein POS gebaut und euch die Plattform wie zum Beispiel das Customer-Relation-Management (CRM) gespart? Die meisten kleineren und mittleren Unternehmen haben doch schon ein CRM?

Nee, die haben gar nichts.

t3n: Ein Kioskbesitzer hat vielleicht nichts. Aber…

Das Problem, das alle heute haben – die Kleinen wie die Großen: Sie verstehen den Kunden nicht digital. Da gibt es irgendwelche Payback-Nachprogramme, mit denen das versucht wird, den Kunden digital zu verstehen, was wir Connected Commerce nennen. Da geht es darum, die Trennung von Online- und Offline-Commerce aufzuheben. Als Konsument möchte ich entscheiden, wann und wo ich kaufe: Gehe ich in den Laden, lasse ich es mir schicken, gehe ich in den Laden und lasse es mir dort schicken? Bestelle ich es vorher und hole es im Laden ab? Wir helfen den Händlern den Kunden über Loyality-Programme, Coupons und Promotion-Aktionen besser zu betreuen, ohne dass der Kunde seine Daten hergeben oder Angst haben muss, angeschrieben zu werden. Bei Amazon ist Login Pflicht, im Laden nicht.

t3n: Das geht im Laden ja auch nicht. Ich gehe in den Laden, der Händler an der Kasse kennt mich nicht. Was ist eure Lösung?

Wenn du ein regelmäßiger Kunde bist, könnte der Händler dir eine Kundenkarte anbieten, mit der du Punkte sammeln kannst. Oder du hast darauf Guthaben und kannst mit der Kundenkarte noch schneller bezahlen. Oder es gibt ein Loyality-Programm: Kaufe vier Kaffee, bekomme einen umsonst. Dadurch, dass diese Dinge digital angebunden und keine Stempelkarten mehr sind, seid ihr im Kontakt. Du bekommst zum Beispiel eine Belohnung, wenn du dich als Kunde registrierst – du willigst mit dem DSGVO-Button ein. Wir managen die Daten für den Händler, sodass sie auch wirklich geschützt sind. Er sieht zum Beispiel nur die letzten vier Stellen deiner Telefonnummer und kann dir Nachrichten schicken. Aber sobald du sagst: Lösch die Nummer, wird sie gelöscht und der Händler hat keine Möglichkeit sie vorher abzuspeichern. Du hast deine vollständige Nummer nie dem Händler gegeben.

t3n: Und ihr habt Zugriff auf die Daten?

Wir haben technisch bedingten Zugriff auf die Daten. Auf die sensitiven Daten nicht, denn die sind so verschlüsselt, dass man nur auf den Geräten darauf zugreifen kann – sonst bekommt man auch keine BSI-Zertifizierung. Wir versichern den Kunden in den Lizenzbestimmungen, dass wir niemals Daten an Dritte verkaufen.

t3n: Verstehen kleinere und mittlere Händler das Produkt überhaupt?

Viele Leute sagen natürlich: Ich muss erstmal kassieren. Aber wir sehen den Fortschritt: Was dann immer sofort als nächstes kommt, sind Geschenkgutscheine. Da gibt es ja auch neue Regularien. Das nehmen wir dir ab. Dann fangen sie an und geben Kundenkarten raus. Viele Modehändler zum Beispiel haben schon existierende Kundenkarten, also ist es wichtig, dass die Kundenkarten importiert werden können. Dann kommt irgendwann Inventory-Managament, Einkauf und so weiter. Du siehst: Je länger die Kunden damit arbeiten, desto mehr Funktionen nutzen sie.

t3n: Also ist das Kassensystem eine Art Trojanisches Pferd, um den Rest der Plattform langsam an die Kunden auszuliefern…

Trojanisches Pferd ist mir jetzt zu negativ. Sie zahlen ja nicht mehr dafür. Ich würde eher sagen der Einstieg, die Brücke in die digitale Zukunft.

t3n: Ich hätte auch Einstiegsdroge sagen können, aber das ist ja auch nicht positiv. Aber eure Vision ist schon die große Retail-Plattform zu werden, oder?

Wir wollen den Unternehmen helfen, ihr Business in einer Welt mit Amazon und Co. sauber zu führen und Connected Commerce anzubieten.

„Wenn wir performen, gibst du uns Geld freiwillig, weil wir Wert kreieren. Das ist unser gesamtes Mantra. Das klingt jetzt Robin-Hood-mäßig, aber ich glaube wirklich fest daran.“

t3n: Aber falls dieser Plan aufgeht, dann wärt ihr am Ende in einer sehr mächtigen Position als zentrale Plattform. Die Gebühren für EC- und Kreditkartenzahlungen zum Beispiel könntet ihr ja anpassen.

Das könnten wir, aber du musst nicht uns als Payment-Service nehmen. Egal, was wir anbieten: Wenn wir performen, gibst du uns Geld freiwillig, weil wir Wert kreieren. Das ist unser gesamtes Mantra. Das klingt jetzt Robin-Hood-mäßig, aber ich glaube wirklich fest daran. Wir sehen uns als Enabler, der auf allen digitalen Ebenen ein Pooling durchführt, so wie das früher Genossenschaften gemacht haben. Und die Software läuft nicht nur auf unserer Hardware. Wir öffnen gerade die Schnittstellen, wir erlauben auch anderen konkurrierende Dienste anzubieten. Das ist umgekehrt zu dem Prinzip, wie sonst agiert wird. Sonst heißt es: Ich verkaufe dir ein Stück Software und verspreche dir irgendwann einen Gewinn dadurch – aber vorher gibst du mir erstmal etwas von deinem Gewinn ab. Wenn ich dir zusätzlichen Gewinn verschaffe, ist es viel leichter, mir was davon abzugeben. Das ist das Prinzip dahinter.

t3n: Also eine Art Anti-Plattform, wenn man es mit Amazon vergleicht?

Ich würde sagen eine nachhaltige Plattform, die Vielfalt erlaubt. Aber dafür müssen wir den Kleinen erstmal helfen, gegen Amazon anzukommen. Denn wenn sie den Kunden – also auch uns, wir sind ja auch Kunden – nicht den Komfort von Amazon bieten können, dann werden wir irgendwann nicht mehr zu ihnen kommen, egal, wie sehr wir sie mögen.

t3n: Ihr speichert eure Daten wahrscheinlich in der Cloud, oder?

Ja, BSI-zertifiziert in Europa.

t3n: Gibt es noch die Angst der KMU vor der Cloud?

Ja! Aber es wird immer weniger. Es gibt auch Leute, die sagen: Ihr seid bei Amazon, ich will nicht mit Amazon zusammenarbeiten. Dann informieren wir sie, dass Amazon vor einigen Monaten vom BSI zertifiziert wurde und die Daten Europa wirklich nicht verlassen. Es wird dann immer noch Leute geben, die das nicht wollen – aber das ist dann auch okay.

t3n: Ihr macht aber kein On-Premise?

Nein. Wir wollen für viele Unternehmen die Lösung sein, wir werden aber nicht für alle Unternehmen die Lösung sein.

t3n: Du hast im Alles-gesagt-Podcast von Zeit Online auch viel über die Macht der großen US-Plattformen gesprochen und sie harsch kritisiert. Was würdest du dir von der deutschen und europäischen Politik wünschen, um die Voraussetzungen zu schaffen, diese Macht einzudämmen?

„Wir müssen sehr aufpassen, dass die Idee Europa in den kommenden drei bis fünf Jahren nicht komplett zugrunde geht. Das Risiko schätze ich auf etwa 50 Prozent.“

Ich halte zum Beispiel die europäische Datenschutzgrundverordnung für eine prinzipiell gute Initiative. Leider ist sie so umgesetzt worden, dass gerade viele kleine und mittlere Unternehmen bis zu 60 oder 70 Prozent ihrer Kunden verloren haben, weil sie sie nicht mehr digital erreichen können. Wenn ich heute zu Amazon gehe, dann kann Amazon mir sagen „Das musst du jetzt akzeptieren“ und ich mache „Klick“. Da gehst du schließlich häufig hin. Bei einem kleinen Unternehmen, bei dem du einmal im Jahr kaufst, da überlegst du dir das schon. Wenn die dir eine E-Mail schreiben, dann machst du den Opt-Out. Ich hoffe, dass der Vorstoß von [Frankreichs Präsident Emanuel] Macron erfolgreich ist.

t3n: Die Digitalsteuer.

Genau. Also, dass diese Leute tatsächlich mal hier ihre Steuern zahlen. Ich bin überzeugter Europäer…

t3n: … wobei du schon mal länger in den USA gelebt hast…

„Die Händler sind ein Reagenzglas für Amazon.“

… ja, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich mich als Europäer sehe. Wir müssen sehr aufpassen, dass die Idee Europa in den kommenden drei bis fünf Jahren nicht komplett zugrunde geht. Das Risiko schätze ich auf etwa 50 Prozent. Es hängt unter anderem davon ab, was jetzt in Italien passiert und wie es mit dem Brexit weitergeht. Wenn wir als Europa im Wettbewerb mit den USA und China eine Chance haben wollen, müssen wir beginnen europäisch zu denken. Dann geht es nicht darum, was die Bundesregierung macht. Was macht Europa? Wie können wir sicherstellen, dass wir faire Bedingungen herstellen? China ist ein Extrembeispiel damit wie sie ihren Markt abschotten – das wollen wir nicht. Aber wir brauchen Regeln. Indien zum Beispiel hat gesagt, dass Amazon, JD.com und so weiter – die E-Commerce-Händler aus dem Ausland – in Indien keine Eigenmarken verkaufen dürfen. Warum haben sie das gemacht? Ganz einfach: Weil es Amazons Modell ist, die erfolgreichsten Waren auf der eigenen Plattform einfach zu kopieren und selbst anzubieten. Die Händler sind ein Reagenzglas für Amazon. Die erfolgreichen Waren kaufen sie selbst ein und streichen die ganze Marge ein und die richtig erfolgreichen Waren stellen sie sogar selbst her. Da funktioniert kein fairer Wettbewerb mehr, aber die Politik versteht diese Systeme nicht so gut. Und die Tech-Unternehmen bewegen sich schnell – bis die Politik es verstanden hat, sind sie schon weiter. Aber wir müssen das auf europäischer Ebene lösen. Kartellrecht muss europäisch werden. Die USA sind etwa genauso groß wie Europa und sie haben zum Beispiel vier Player auf dem Mobilfunkmarkt – bei uns muss jedes einzelne EU-Land drei bis vier Player haben, das ganze Mal 27. Das macht unsere Player so klein, dass sie bei der Marktkapitalisierung nicht mithalten können. Wir müssen politisch und kulturell für europäisches Denken sorgen. Wollen wir Europa? Oder, wenn wir das nicht wollen – wollen wir uns an den USA oder an China dranhängen? Eine andere Alternative gibt es nicht. Man muss sich nur mal die Wertentwicklung unserer Dax-30-Unternehmen im Vergleich zu den großen Tech-Plattformen aus den USA und China ansehen. Wenn wir das als Maßstab nehmen, ist unsere Relevanz in wenigen Jahren um den Faktor fünf zurückgegangen. Ich wünsche mir – vereinfacht gesagt – mehr Mut! Wir werden das als rein deutsche Initiative nicht hinbekommen. Nur als Europa.

t3n: Plädierst du dafür, dem indischen Modell zu folgen und Amazon in Europa zu verbieten Eigenmarken anzubieten?

Das ist eine sehr gute aber auch sehr tiefgreifende Frage, bei der ich sicher nicht der beste Experte bin. Es ist eine ähnliche Diskussion wie bei der Meinungsfreiheit aktuell in sozialen Netzwerken: Ist es in einer Welt, in der klar ist, dass Fake News mehr geklickt werden als reale Nachrichten, noch sinnvoll Meinungsfreiheit als oberstes Prinzip beizubehalten? Wir in Deutschland sagen: Du kannst nicht alles posten. Wir hatten vorher keine Plattform wie Amazon. Und daher bleibt die schwierige Frage: Wo machen wir welche Einschränkung, um das große Ganze zu schützen? Das ist auch das chinesische Prinzip, wobei sie sehr autokratisch vorgehen.

t3n: Und sehr protektionistisch.

Ja, und die USA sind auch auf diesem Weg. Ich bin persönlich der Meinung, dass wir gerade in einer Phase sind, in der bestimmte Dinge geschützt werden müssen. Sonst haben wir irreversible Veränderungen.

t3n: Ist es dafür nicht schon zu spät?

Nein!

t3n: Aber eine solche Machtkonzentration wie sie heute Google, Amazon, Microsoft, Apple und Facebook haben – das wird doch kein europäisches Unternehmen auf absehbare Zeit erreichen.

Nicht in diesem Bereich. Aber was wollen wir erreichen? Wollen wir ein genauso wertvolles Unternehmen oder wollen wir eine Plattform für kleine und mittlere Unternehmen schaffen und damit faire Bedingungen für alle? Und wir stehen erst am Anfang der Veränderung. Pharmazie wird sich verändern, das gesamte Gesundheitssystem. Wir werden individuelle Medizin bekommen. Energietechnik, Transportation as a Service. Nein, wir sollten in Europa kein eigenes Facebook bauen – der Zug ist abgefahren. Wir sollten nach vorne schauen. Für mich ist das Glas halbvoll.

„Der Glaube daran, dass sich Märkte selbst regulieren, der ist in einer komplett globalen Welt ein Irrglaube.“

t3n: Glaubst du, es wird ein Android der Industrie geben oder ein Amazon für den B2B-Handel? Ist am Ende vielleicht sogar Amazon das Amazon für den B2B-Handel?

Amazon will das natürlich werden mit Amazon Business. Und da ist dann wieder die Frage: Welche Regeln herrschen da? Eins ist für mich bewiesen: Der Glaube daran, dass sich Märkte selbst regulieren, ist in einer komplett globalen Welt ein Irrglaube. Unternehmen werden darauf optimiert, so lange Profit zu machen, wie es geht. Es fehlt an Leadership – und deshalb muss es einen Ausgleich geben. Die Politik kann natürlich nicht die Probleme der nicht wettbewerbsfähigen Unternehmen lösen, kämpfen muss jeder selbst. Manche Leute wollen, dass sich nichts verändert: „Die Politik muss dafür sorgen, dass der Autostandort der Autostandort bleibt“ – nein, das ist der falsche Ansatz. Das kann die Politik gar nicht – und wenn sie es versucht, wird sie scheitern. Aber die Politik kann dafür sorgen, dass wir auf europäischer Ebene fairen Wettbewerb haben.

t3n: Ist dein geheimer oder vielleicht auch nicht so geheimer Wunsch mit Enfore einmal auf Augenhöhe mit Amazon zu sein?

Der Markt, den wir adressieren, hat sicher das Potential, eine ganz große Plattform zu werden. Ich werde alles dafür tun, dass es so kommt – aber das ist von so vielen Dingen abhängig. Aber dieser Markt ist bisher komplett unerschlossen.

t3n: In Europa. Aber nicht in den USA oder China, oder?

China würde ich außen vor lassen, da gelten andere Regeln. In den USA gibt es Firmen wie Square, die haben jetzt einen Marktwert von rund 30 Milliarden Dollar. Aber sie haben heute nicht mal 20 Prozent des Marktes.

t3n: Und in China gibt es Wechat.

Ja, mit denen integrieren wir uns auch gerade. Ich glaube aber nicht, dass es China jemals erlauben wird, dass eine westliche Firma in ihrem Land eine dominante Markstellung mit einer Plattform erreicht. Daher versuchen wir das auch nicht, sondern suchen uns Firmen für die Zusammenarbeit.

„Du musst nicht im Silicon Valley sein, um erfolgreiche Firmen zu bauen.“

t3n: Du hast länger im Silicon Valley gelebt, aber dich entschieden, Enfore in Deutschland zu gründen. Warum?

Im Silicon Valley hätte das nicht mehr funktioniert. Ich liebe die Gegend. Im Moment weniger, weil es extrem voll geworden ist, weil es die sozialen Probleme in San Francisco gibt – das ist alles sehr schlimm geworden. Das Silicon Valley war mal ein Land der Missionare, heute ist es ein Land der Mercenaries, von Söldnern. Und es war von Anfang an klar: Das, was ich da baue, das wird lange dauern. Die Leute da lange zu halten, wäre ungleich schwieriger geworden. Und du musst nicht im Silicon Valley sein, um erfolgreiche Firmen zu bauen.

t3n: Wer amerikanische Kunden will, braucht mindestens eine amerikanische Filiale, höre ich immer.

Ja, logisch. Das werden wir immer haben. Wir werden auch in fünf Jahren mehr amerikanische Kunden haben als deutsche. Aber unser Headquarter ist in Deutschland.

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3 Kommentare
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Dein t3n-Team

Johannes

Danke, interessanter Artikel, für mich umso mehr, desto weiter er sich von den Produkten Enfores wegbewegt.

Antworten
Dieter

Schon witzig was für Märchen, Träume und Wunschdenken des großen Börries sich in diesem Artikel befinden und mit welch Arroganz er diese vorträgt.

Antworten
Jonas

Da kennt wohl jemand den Unterschied zwischen Verlust und Marge nicht.

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