So entwickelt ihr disruptive Geschäftsmodelle [Kolumne]
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Am Anfang war das Problem
Ich habe in unzähligen Workshops die Sichtweise des „menschlichen Problems“ entwickelt und behaupte, sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten beruhen ursprünglich auf solchen menschlichen Problemen. Was ist also ein solches Problem? Ganz einfach, es ist etwas, das den Menschen stört. Diese Probleme, und deren Kombination davon, schaffen im Endeffekt Bedürfnisse.
Diese „Störung“ kann gravierend sein oder trivial. Es kann mich zum Beispiel stören, dass ich immer abends das Licht löschen muss, oder es kann mich stören, dass ich eine existenzbedrohende Krankheit habe (sic!).

Am Anfang steht wie so oft das Problem. (Foto: Shutterstock)
Stören kann also als etwas verstanden werden, das mich daran hindert, ein möglichst gutes und angenehmes Leben zu führen. Darin liegt auch die Abstraktion zum Bedürfnis, das einen in der Wahrnehmung optionalen Charakter haben kann. Ein möglichst angenehmes und glückliches Leben zu führen erachte ich als naturgegeben. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der das nicht will.
Die Definition von Glück und „angenehm“ ist wohlgemerkt vielseitig. Fast allen Menschen ist jedoch gemein, dass sie kein Leid erfahren möchten und dass sie im Grundsatz auf eine positive Weise faul sind.
Produkte und Dienstleistungen sind Möglichkeiten, Störungen zu lindern oder zu entfernen
Eine Dienstleistung oder ein Produkt setzt also dort an. Es macht mir das Leben bequemer, indem es die Störung entweder lindert oder im besten Fall entfernt.
„Produkte setzen immer auf Technologie, manuelle Arbeit und Methodologie. Nicht alle drei Komponenten müssen zwingend vom Anbieter des Produkts stammen.“
Diese Lösungen von Problemen können zum einen durch den Einsatz von Technologie oder durch menschliche Arbeit zu Stande kommen. Oder, wie am weitesten verbreitet, durch die Kombination der beiden Faktoren. Üblicherweise wird noch nicht verfügbare Technologie durch menschliche Arbeit ausgeglichen. Was die Problemlösung als dritte Komponente vereinfacht ist die methodologische Erledigung.
Beispiele
Tönt ein bisschen Abstrakt, ich weiß. Ein Beispiel:
Ein Problem ist zum Beispiel „saubere Wäsche“. Ich möchte jeden Tag frische, saubere Wäsche haben und möglichst nichts dafür tun. Um das zu erreichen, kann ich entweder jeden Tag manuell waschen, trocknen lassen, glätten. Eine Riesenarbeit. Oder ich kann mittels Waschmaschine und Wäschetrockner den selben Prozess stark vereinfachen und mein Problem lindern.

Die Waschmaschine ist ein Evolutionsschritt, der beim Lösen des Problems „saubere Wäsche“ enorm hilft. (Foto: Shutterstock)
Indem ich mich jetzt organisiere und nur noch jede Woche wasche, kann ich das Problem weiter lindern. Ich habe dann manuelle Arbeit in Kombination mit Technologie mittels Methodologie so kombiniert, dass mich das Problem „saubere Wäsche“ am wenigsten belastet.
Evolution der Problemlösung
Wie in meinem Artikel zur Disruption von Branchen ausgeführt, durchlaufen die Lösungen der Probleme eine gewisse Evolution. Normalerweise wird neue Technologie verfügbar, die eine radikale Linderung des Problems ermöglicht.„Heutige Produkte und Dienstleistungen (und damit auch die Branchen) sind nur eine Evolutionsstufe in der Lösung der Probleme.“
Um wieder das Problems der „sauberen Wäsche“ zu bemühen: Ursprünglich wurde die Wäsche an einem Fluss „gemacht“, später kamen erste Schwingkübel, später die Waschmaschine, später der Wäschetrockner. Damit reduzierte sich auch der Anteil manueller Arbeit und die Methodologie dahinter.
Um was geht es nun bei der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen?
Geschäftsmodelle, die das Potential haben, Branchen umzubrechen, setzen bei diesen Problemen an und berücksichtigen bisherige Lösungen grundsätzlich erst einmal nicht.

Beim Geschäftsmodell sollte die fundamentale Evolution eine Rolle spielen. (Foto: Shutterstock)
Das heißt auf unser Beispiel umgemünzt, dass nicht versucht wird, die digitale Waschmaschine zu bauen, sondern, dass das Kernproblem analysiert und dann nach verfügbaren Technologien und Methodologien gesucht wird um dieses Kernproblem besser zu lösen.
„Das Ziel ist also keine graduelle Evolution von bestehendem mit „digitalen Mitteln“, sondern eine möglichst fundamental bessere Art, das Problem ‚saubere Wäsche‘ zu lösen.“
Branchen sind wie Trampelpfade
Branchen entwickeln sich dort, wo verschiedene Firmen solche Lösungen entwickeln. Es liegt in der Natur der Marktwirtschaft, dass verschiedene Anbieter versuchen, mit derselben Lösungsart am wirtschaftlichen Geschehen zu partizipieren.
Was wir auch beobachten, ist, dass Branchen wahre Trampelpfade sind, wenn es um die Lösung von Problemen geht. Sprich eine gewisse Lösung etabliert sich derart, dass neue und dadurch unkonventionelle Lösungswege gar nicht weiterverfolgt werden. Das ist der Grund, warum viele branchenfremde mit neuer Technologie erfolgreich sind. Sie sind nicht entsprechend durch Best-Practice „vorbelastet“.
Wie geht ihr also konkret vor, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln?
1. Analysiert Branchen
Es macht Sinn, in Bereichen etwas zu machen, in denen schon länger nicht mehr an grundlegend neuen Lösungen gearbeitet wurde. In Branchen also, wo der Adaptionsrückstand besonders hoch ist. Wenn ihr selbst in einer solchen Branche tätig seid, werdet ihr euch wahrscheinlich fragen, ob ihr damit euer Geschäft nicht kannibalisiert. Die Frage ist berechtigt, die Antwort hingegen ist simpel: Ja natürlich, macht aber nichts.„Lieber macht ihr euer eigenes Geschäft kaputt – wenn schon – als jemand anderes es tut!“
Denn wenn ihr es macht, habt ihr mindestens eine Chance, mit dem neuen Geschäftsmodell relevant zu bleiben. Im anderen Fall geht ihr einfach unter. Es wird darüber so viel philosophiert und diskutiert. Ich verstehe die Ängste, appelliere aber gleichzeitig an euren klaren Menschenverstand: Irgendwann wird ein neuer Anbieter kommen und alles anders und besser machen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Ihr habt also auch nur eine Option; erneuern und umbrechen.
Wie man solche Branchen auswählt, respektive was die Parameter dazu sind, habe ich hier näher beschrieben.
2. Identifiziert das Kernproblem
Dieser zweite Schritt ist fundamental und ich gebe zu, er braucht ein wenig Training. Löst euch gedanklich von den bestehenden Produkten und Angeboten und fragt euch, was der User will. Nehmen wir die Automobilbranche; das unterliegende Problem der Menschen ist nicht das Autofahren, sondern möglichst flexibel, sicher und schnell von einem zum anderen Punkt zu kommen. Mit neuer Technologie wird man das besser lösen können als mit Autos wie wir sie heute kennen.
Nochmals: Autos sind in der Evolution der Lösungsfindung lediglich ein Zwischenschritt, der dieses Problem zu gewissen (bitte nicht rein monetär betrachten) Kosten löst. Es steht außer Frage, dass man diese Mobilität in Zukunft auf andere Weise erreichen kann.
3. Auf dem weißen Blatt starten
Habt ihr jetzt ein solches Kernproblem identifiziert, sucht ihr nach Technologien und Methodologie, die das Problem lösen können. Arbeitet dabei gedanklich auf dem weissen Blatt, fernab von bestehenden Branchen und Produkten, gesetzlichen Regulationen.
Kombiniert manuelle Arbeit und Technologie, anstatt euch zu stark auf vollautomatisierte Lösungen zu konzentrieren. Ihr werdet mit der Zeit mehr und mehr manuelle Arbeit durch Technologie ersetzen können.
Was fundamental wichtig ist: Das Produkt, das ihr schafft, muss radikal besser sein für den Kunden. Das kann sich entweder auf die Customer-Experience beziehen, den Preis oder den effektiven Nutzen. Am besten auf alle drei Aspekte. Je schlechter ein neues Produkt sich mit bestehenden Produkten vergleichen lässt, desto besser.
Die Schlüsselfrage lautet also: Wenn wir das Kernproblem heute lösen müssen, und nichts von den bisherigen Produkten und Dienstleistungen wüssten, wie würden wir es lösen?
4. Macht die Rechnung
Berechnet die Kosten für die Lösung und setzt diese in den Kontext zu den Alternativen der Kunden. Ich bewerte ein neues Modell dann als gut, wenn es dasselbe Problem besser löst bei 30 Prozent der bisherigen Kosten. Darin muss für euch eine 300-Prozent-Marge drin liegen. Ich weiß, dass diese Zahlen extrem sind.Haltet euch aber vor Augen, dass ihr nicht ein me-too Modell entwickelt, sondern eines, dass in der Lage ist, den Markt in kurzer Zeit grundlegend zu transformieren.
5. Testet das Modell
Formuliert das Offering so qualitativ hochwertig wie möglich. Geht damit raus und lasst es auf eure wichtigsten Kunden wirken. Ihr merkt umgehend, ob es den Effekt erzielt. Wenn ihr es nicht sein lassen könnt, dürft ihr natürlich gerne eine kleine Studie daraus machen. Im Endeffekt kostet das aber nur unnötig Zeit und Geld. Meine Erfahrung zeigt, dass ihr mit 150 Pitches ziemlich genau sagen könnt, ob etwas beim Kunden durchschlägt.
Dann, ja dann müsst ihr es nur noch tun
Und das, das ist der härteste Teil. Meist sind damit erhebliche Investitionen verbunden, zum anderen meist aber auch der erstmalige Einsatz von bestehender Technologie in einem neuen Bereich. Bereitet euch darauf vor, dass ihr nicht alle Risiken kalkulieren könnt. Und riskiert etwas, wie damals als eure Vorgänger das Unternehmen gegründet haben.„Das Tun ist der härteste Teil.“