Erbsenkleine Schätze: Warum Gallensteine von Rindern doppelt so viel wert sind wie Gold

Rinder in Europa werden in der Regel nicht so alt, dass bei ihnen die begehrten Gallensteine entstehen. (Foto: Shutterstock / Laboko)
Schlachthöfe klingen nicht nach den lukrativsten Einbruchszielen. Dennoch haben es Diebe in Brasilien derzeit darauf abgesehen. Dabei haben sie nicht etwa teure Spezialgeräte im Blick. Wonach sie suchen, sieht eigentlich eher unspektakulär aus: bräunlich-orange Steine – genauer gesagt, Rindergallensteine, die festen, kristallisierten Abfallprodukte der Gallenflüssigkeit. Der Preis, den man auf dem Markt dafür erhält, ist dafür umso spektakulärer, denn die Steine sind mehr als doppelt so viel wert wie Gold – besonders die makellos aussehenden, kastanienbraunen Exemplare.
Rindergallensteine gelten in Asien – zu Pulver gemahlen und zuweilen mit weiteren Zutaten wie gemahlenem Büffelhorn und arsenhaltigen Edelsteinen versetzt – als potente alternative Heilmittel für die Folgen von Schlaganfällen, Blutgerinnseln und auch gegen Infektionen. Ein Großteil der Nachfrage kommt aus China, Abnehmer gibt es aber auch in Japan, Taiwan und Südkorea. Eine Wirksamkeit wurde bisher nicht nachgewiesen.
Astronomische Preise für Gallensteine
Der Handel mit Rindergallensteinen ist dabei durchaus legal. Offizielle Händler wie das brasilianische Unternehmen Oxgall zahlen Schlachthöfen und Landwirten je nach Größe und Qualität der Steine im Schnitt 1.700 bis 4.000 US-Dollar pro Unze (60.715 bis 142.860 US-Dollar pro Kilo. Auf dem Schwarzmarkt legen Händler allerdings bis zu 5.800 Dollar pro Unze hin (203.000 US-Dollar pro Kilo), im Vergleich zu 2,657 US-Dollar pro Unze Gold Ende Januar (207.120 US-Dollar pro Kilo).
Die Schwarzmarktpreise haben so große Begehrlichkeiten geweckt, dass sich in südamerikanischen Ländern die Einbrüche in Schlachthöfen und Bauernhöfen häufen. In Brasilien sind Raubüberfälle auf Autotransporte so häufig geworden, dass die Steine bevorzugt per Flieger zu den größeren Flughäfen versandt werden, bevor die Steine die Reise nach Asien antreten. Dabei sind kräftigere Steine etwa von der Größe eines Hühnereis selten, viele sind nur erbsengroß. Funde sind zwar einerseits selten. Für schlecht bezahlte Schlachthofmitarbeiter:innen können trotzdem mehrere zusätzliche Monatslöhne zusammenkommen.
Mit „Rinderpillen“ gegen Corona
Die chinesische Regierung selbst wirbt verstärkt für traditionelle chinesische Medizin und macht auch im Ausland Werbung dafür. Als sich im Februar 2020 das damals neue Sars-CoV-2-Virus ausbreitete, pries sie gemeinsam mit der Nationalen Gesundheitskommission sogenannte „Friedfertiger Palast Rinderpillen“ gegen die Corona-Infektion an, die zerstoßene Rindergallensteinen, Büffelhorn, Perlen und auch Jasmin enthielten.
Als weiterer Grund für die gestiegene Nachfrage gilt, dass die Gallensteine in China offenbar zu einer Art Währung geworden sind, sagte ein australischer Broker dem Magazin „Beef Central“. Wer es sich leisten könne, bewahre es ähnlich wie Gold auf oder setzt es als Zahlungsmittel ein, um das fürs Ausland geltende Bargeldlimit in Höhe von umgerechnet 30.000 Euro zu umgehen.
2.000 Kilo Rindergallensteine aus Brasilien
Hauptlieferant der Rindergallensteine sei Brasilien mit etwa 2.000 Kilogramm an Rindergallensteinen pro Jahr, den zweiten Platz belegt Australien mit einer „Jahresproduktion“ von nur noch 200 Kilogramm. Weitere Exporteure sind Kolumbien und Paraguay. In diesen Ländern gibt es noch viel Weidehaltung und die Tiere werden später geschlachtet, beides begünstigt die Entwicklung von Gallensteinen. In Europa dagegen herrscht für die Fleischproduktion die Mastrindhaltung mit Kraftfutter vor, sodass die Tiere früher geschlachtet werden: bei intensiver Haltung erreichen Jungbullen das Schlachtalter bereits mit anderthalb Jahren.
Als Hauptdrehscheibe für den lukrativen Handel gilt Hongkong. Hier nimmt die Handelsmenge seit Jahren zu, der Importwert hat sich dem U.S. Agricultural Trade Office zufolge zwischen 2019 und 2023 auf 218,4 Millionen US-Dollar verdreifacht.
In Australien durften Schlachthofmitarbeiter:innen, die die getöteten Tiere ausweiden, gefundene Gallensteine bis in die frühen Nuller-Jahre als Zusatzlohn für die harte körperliche Arbeit behalten und selbst verkaufen. Angesichts der rasant gestiegenen Preise beanspruchen die Betriebe die Steine inzwischen für sich.
Mit Gallenfallen der Gallenstein-Mitnahme vorherkommen
Trotzdem sorgen sie mit ausgeklügelten Sicherheitsmaßnahmen dafür, dass niemand die Steine unerlaubt mitnimmt. Sie haben nicht nur mit Überwachungskameras ein Auge auf das Schlachtgeschehen, sondern halten die Mitarbeiter:innen auch dazu an, die entfernten Gallen über einem Spezialbehälter aus rostfreiem Stahl aufzuschneiden. Dieser fängt die herausfallenden Steine auf in einem Netz auf, schließt sie unerreichbar ein und ist fortan nur noch per Schlüssel zu öffnen.
Gerard Murtaugh hat die auch Gallenfallen (gall trap) genannten Boxen für sein Familienunternehmen Sunshine Trading entwickelt. Er musste das Design bereits mehrfach verstärken, weil wütende Schlachthofmitarbeiter sie doch gewaltsam geöffnet hatten. „Im Laufe der Jahre wurde ich mit allen möglichen Dingen beworfen, weil ich derjenige bin, der die Box installiert“, erzählte Murtaugh vor einigen Jahren dem Magazine Vice. Geflogen seien nicht nur Organe wie Lebern, sondern es gab auch „einen Ort, an dem die Jungs alle mit Fett nach mir warfen“.
Wie Schlachthofmitarbeiter:innen Vice berichtet haben, müssen sie zu extremeren Tricks greifen, um an die Steine zu kommen. Dazu gehört zum Beispiel, „versehentlich“ der Dickdarm anzuschneiden, damit der Kot benachbarte Organe für die Weiterverarbeitung unbrauchbar macht und sie unter dem Deckmantel der Entsorgung eine Gelegenheit zum Prüfen der Gallenblase zu bekommen. Wer allerdings beim Klauen erwischt wird, muss mit der Kündigung rechnen und kann wegen Diebstahls angeklagt werden.
Die Rindergallensteine richtig behandeln
Murtaugh brachte den Schlachthöfen auch eine sorgfältige Handhabung der empfindlichen Steine bei, die nur als Ganzes wertvoll sind. Sie bestehen zu 75 Prozent aus Wasser und dürfen etwa nicht durch zu schnelles Trocknen zerbrechen oder zu Staub zerfallen und auch nicht zu schimmeln beginnen. Einfrieren ist auch tabu, weil sich das gefrierende Wasser ausdehnt und den Stein in Stücke sprengt.
Nicht weniger kurios als all diese Anekdoten ist auch der Hinweis von Vice in seinem aktuellsten Rindergallenstein-Artikel: Ihr erster großer Artikel zu dem Thema sei 2015 erschienen und das Kommentarforum darunter hätte sich zu einem Online-Marktplatz für die begehrten Abfallprodukte entwickelt. Das Magazin warnt deshalb, dass man bei eventuellen Käufen Vorsicht walten lassen sollte. Es sei anzunehmen, dass ein Teil der Angebote fragwürdig sei.