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Wie der EuGH den Überwachungsstaat riskiert

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten auf Vorrat gegen EU-Recht verstößt. Allerdings mit so vielen Ausnahmen, dass einer Einführung nichts im Wege steht.

Von Enno Park
3 Min. Lesezeit
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Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. (Foto: Peter Fuchs/Shutterstock.com)

Eigentlich ist es jetzt in der Europäischen Union verboten, dass die Telekommunikationsunternehmen von allen ihren Nutzern speichern, wann sie wo mit wem telefoniert oder Nachrichten ausgetauscht haben. Aber auch nur eigentlich, denn uneigentlich definiert der Europäische Gerichtshof in seinem jüngsten Urteil Ausnahmen. Und auch wenn sich das Urteil auf Verfahren in Großbritannien, Belgien und Frankreich bezieht, ist das Urteil ein Signal: Die in Deutschland seit Jahren ausgesetzte Vorratsdatenspeicherung könnte kommen.

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Vorratsdatenspeicherung bedeutet: Die Telekommunikationsunternehmen speichern, wann wer mit wem wie lange telefoniert hat. Dasselbe gilt für E-Mails sowie IP-Adressen. Im Fall von Mobiltelefonen wird auch noch die Funkzelle mitgespeichert, woraus sich ein Bewegungsprofil ergibt. Der eigentliche Inhalt der Kommunikation wird zwar nicht gespeichert, aber die Meta-Daten sind für Ermittler meistens sowieso wertvoller. Was sonst noch alles alles gespeichert werden muss, wie lange die Daten aufgehoben werden und unter welchen Umständen Ermittlungsbehörden auf die Daten zugreifen dürfen, variiert von Gesetz zu Gesetz und Mitgliedsland zu Mitgliedsland.

Da Ermittlungsbehörden jederzeit Einblick nehmen können, handelt es sich de facto um die anlasslose Überwachung von Kommunikation und Aufenthalt sämtlicher Menschen, die entsprechende Telekommunikationsdienste nutzen – also fast alle. Eine solche pauschale Überwachung verstößt aber gegen Grundrechte, die besagen, dass nur von Ermittlungsbehörden überwacht werden darf, wer einer Tat verdächtigt wird. Vorratsdatenspeicherung bedeutet also, dass der Staat die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht stellt.

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Ein untotes Gesetz, das nach jeder Beerdigung wieder aufersteht

In Deutschland sind Einführung, Verbot, Wiedereinführung und Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung eine unendliche Geschichte. Sie beginnt im Jahr 2006 mit dem Erlass einer EU-Richtlinie, die die Mitgliedsstaaten zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung verpflichtet. Maßgeblich vorangetrieben wurde diese Richtlinie von Deutschland, was die damals regierende große Koalition aus CDU/CSU und SPD nicht daran hinderte, zu behaupten, sie sei wegen der EU-Richtlinie unter Zugzwang. Sie führte 2007 die Vorratsdatenspeicherung erstmals in Deutschland ein. Damals sollten die Kommunikationsdaten für bis zu sieben Monate gespeichert werden, wobei die Polizei, der Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst und der militärische Abschirmdienst Zugriff auf die Daten bekommen hätten.

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Die darauffolgenden Klagen etlicher Parlamentarier, Parteien und NGO, darunter eine Sammelklage mit mehr als 30.000 Beteiligten, hatte Erfolg: 2010 wurde die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vom Verfassungsgericht verboten. Die zugehörige EU-Richtlinie wurde 2014 vom Europäischen Gerichtshof außer Kraft gesetzt. Das heißt aber nicht, dass die Vorratsdatenspeicherung in der EU nun verboten ist, sondern nur, dass die Mitgliedsländer nicht mehr gezwungen sind, sie einzuführen.

2015 nahm die abermals regierende große Koalition den nächsten Anlauf und zwang den damaligen Justizminister Heiko Maas, bis dahin strikter Gegner der Vorratsdatenspeicherung, ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten. Die Speicherfristen sind dieses mal kürzer und betragen vier Wochen für Standortdaten und zehn Wochen für Verbindungsdaten. Das Abrufen von Daten muss durch einen Richter genehmigt werden. Das stellt keine nennenswerte Hürde dar, da Richter entsprechende Anträge der Staatsanwaltschaften so gut wie immer durchwinken. Nicht abgerufen werden dürfen die Daten von Personen, die in bestimmten geschützten Berufen arbeiten, also Anwälte, Ärzte, Journalisten und Seelsorger. Dabei ist völlig unklar, wie das umgesetzt werden soll, da keine Liste solcher Personen existiert.

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Richterspruch des EuGH eher keine gute Nachricht

Auch gegen diesen zweiten Anlauf wurde vielfach an verschiedenen Gerichten geklagt. 2017 setzte die Bundesnetzagentur die Vorratsdatenspeicherung wegen der vielen laufenden Klagen aus. Telekommunikationsunternehmen sollten mit ihren Investitionen warten dürfen, bis die Angelegenheit höchstrichterlich geklärt ist. Eine solche Klärung steht immer noch aus, die deutschen Gerichte warten auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes.

In dieser Situation klingt das Verbot der Vorratsdatenspeicherung in Großbritannien, Belgien und Frankreich nur scheinbar wie eine gute Nachricht. Denn der EuGH erlaubt die Vorratsdatenspeicherung, wenn ein EU-Land seine Sicherheit bedroht sieht oder sie der Bekämpfung schwerer Kriminalität dient, wobei der Zeitraum zu Bedrohung oder Verbrechen passend beschränkt sein muss. Es gibt keinen Grund, warum das Gericht für Deutschland demnächst nicht zum selben Ergebnis kommen sollte. Die Ausnahmen sind dehnbar genug, dass sich die deutsche Variante der Vorratsdatenspeicherung mit kleinen Anpassungen einführen ließe.

Unabhängig vom Europäischen Gerichtshof steht aber noch ein Richterspruch des Bundesverfassungsgerichtes aus. Der könnte das Gesetz wie schon vor zehn Jahren kippen, aber ob er es wirklich tut, ist fraglich. Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gibt sich bei Grundrechtseingriffen oftmals damit zufrieden, dass sie nur ausnahmsweise und mit Richtervorbehalt gestattet sind. Wie genau das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, bleibt offen. Aber klar ist: Die Meldung, wonach Vorratsdatenspeicherung in der EU nun verboten sei, dürfte in der Praxis das Gegenteil bedeuten.

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TomTom

Es ist doch gut, wenn man Straftäter verfolgen kann. Ich verstehe nicht, wieso Sie dagegen argumentieren.

Antworten
Titus von Unhold

Das verstehen viele Untertanen nicht, weshalb sie niemal mündige Bürger oder vollwertige Mitlgieder einer aufgeklärten Gesellschaft sein werden. Denn Bürger wissen dass man die Rechte vieler nicht für die (möglicherweise berechtigte) Verfolgung einzelner aufgeben darf. Vor allem aber haben Büger aus dem Dritten reich und der DDR gelernt, denn in beiden Diktaturen kam das gleiche Märchen von den Guten gegen die Bösen auch schon.

Antworten
Thomas D.

Wenn es nur Straftäter sind, ist es ja gut. Nur erinnere ich mich noch an den „Redtube“-Zwischenfall, wo ein Richter (oder Staatsanwalt?) einfach mal so zig tausend Adressen freigegeben hat, obwohl die rechtliche Grundlage dafür nicht einmal ansatzweise gegeben war und die klagende Firma wohl auch nicht die Rechte am abgemahnten Material hatte.

Problem ist: Am Schluss sind sehen die Strafverfolgungsbehörden die Sicherheit wieder durch jeden 16 jährigen Filesharer bedroht und das ist halt nicht im Sinne des Gesetzes.

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