Exportbeschränkungen: Chinas Chipbranche – gebremst, aber nicht gestoppt

Was 2018 mit einem Handelsstreit zwischen China und den USA begann, hat sich inzwischen zu einer weltweiten geostrategischen Auseinandersetzung entwickelt. Dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump waren vor allem das enorme Handelsdefizit der USA und der durch die Regeln für ausländische Unternehmen in China erzwungene Technologietransfer ein Dorn im Auge. Aber es geht längst nicht mehr nur um Geld. China will bis 2030 globaler Technologieführer sowie die Nummer eins in Sachen Künstlicher Intelligenz werden. Und die USA wollen das verhindern.
„Die USA haben die umfassendsten Beschränkungen für Technologielieferungen nach China seit dem Kalten Krieg eingeführt“, schrieb die Denkfabrik Mercator Institute for China Studies im Herbst 2022 in einem Analysepapier. „Der Schritt markiert einen grundlegenden Wandel im technologischen Wettbewerb zwischen den USA und China. Bislang beschränkte Washington bestimmte Technologien mit eindeutigem militärischem Verwendungszweck … Ziel ist es nun, China zu bremsen, indem man die wichtigsten Engpässe bei KI-Chips, elektronischer Design-Automatisierungssoftware, Fertigungsanlagen und deren Komponenten waffenfähig macht.“
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 1/2024 von MIT Technology Review erschienen. Zu diesem Zeitpunkt war von Deepseek noch gar nicht die Rede. Hier könnt ihr das Heft als pdf- oder Print-Ausgabe bestellen.
Vor allem die Chipfertigung ist so ein Engpass der technologischen Entwicklung. Denn die modernsten Maschinen, die man benötigt, um topaktuelle Chips herzustellen, werden weltweit nur von einer einzigen Firma hergestellt: ASML (Advanced Semiconductor Materials Lithography) aus den Niederlanden. 2019 wollte ASML zwar zwei seiner brandneuen Chip-Fertigungsmaschinen, die eine neue Dimension in der Chipfertigung ermöglichen, nach China verkaufen. Da die Technologie jedoch potenziell militärisch nutzbar ist, fällt sie unter das internationale Wassenaar-Abkommen. Die niederländische Regierung verweigerte die Export-Genehmigung, die in solchen Fällen notwendig ist. Im Herbst 2022 verschärften die USA ihre Exportbeschränkungen und Taiwan, Japan sowie die Niederlande schlossen sich dem Embargo an. Mittlerweile darf ASML auch keine Chip-Fertigungsmaschinen der vorherigen Generation nach China verkaufen.
Darüber hinaus verhindern die Exportbeschränkungen auch den Verkauf von Software für das Chipdesign – ein Markt, der weitgehend von US-Herstellern dominiert wird. Faktisch wird die chinesische Chipindustrie damit auf einem technischen Stand eingefroren, der nach Einschätzung von Experten rund fünf Generationen hinter den fortschrittlichsten Produktionsverfahren zurückliegt.
Um zu verstehen, was das bedeutet, wie lange die USA China damit voraussichtlich ausbremsen können und wie sich damit die globale Chipindustrie verändert, ist ein Blick in die technischen Grundlagen der Chipherstellung nötig.
ABC der Chipherstellung
Moderne Halbleiterchips werden „lithografisch“ hergestellt. Grob vereinfacht wird mit speziellem Lack beschichtetes Silizium durch eine Fotomaske hindurch belichtet. Anschließend werden die Halbleiterstrukturen der Transistoren in das Silizium geätzt.
Um ihre Chips immer leistungsfähiger zu machen, haben Chipentwickler bisher in jeder neuen Chipgeneration die Transistoren verkleinert, denn kleinere Transistoren lassen sich schneller schalten und sind energieeffizienter. Diese technische Entwicklung verläuft in Stufen. Die Chipbranche spricht in diesem Zusammenhang von „Technologieknoten“.
Die derzeit fortschrittlichsten Chips werden in Fabs – der Kurzform für semiconductor fabrication plant – mit 4- bis 5-Nanometer-Fertigungsprozessen hergestellt. Die genaue Benennung des Prozesses ist herstellerspezifisch, fast immer taucht jedoch ein – sehr kleines – Längenmaß in der Benennung des Produktionsprozesses auf, weil die kleinstmögliche Bauteilgröße auf einem Chip etwa der Hälfte der Wellenlänge der Beleuchtungsquelle für die Lithografie entspricht. Fun Fact: Diese Gesetzmäßigkeit hatte der Physiker Ernst Carl Abbe bereits um 1870 entdeckt – lange bevor es Chips gab (siehe Kasten).
Allerdings wird der Zusammenhang zwischen Technologieknoten und Knotenbezeichnungen immer unschärfer, je kleiner die Transistoren werden. So beträgt der Abstand zwischen den Elektroden eines Transistors in einem 14-Nanometer-Knoten zwischen 18 und 26 Nanometer. Beim 5-Nanometer-Knoten sind es etwa sieben Nanometer. Für die aktuell fortschrittlichsten Prozesse geben die Hersteller oft gar keine Transistorgröße mehr an, sondern heben auf die Transistordichte auf dem Silizium ab.
Als Lichtquellen für den lithografischen Prozess kommen Laser zum Einsatz. Bis vor Kurzem ließen sich mit sogenannten Excimer-Lasern die kleinstmöglichen Strukturen erzeugen. Ihr tiefes ultraviolettes Licht hat zwar eine Wellenlänge von 193 Nanometern. Das lässt sich jedoch mit zahlreichen technischen Tricks – in Flüssigkeiten, mit Mehrfachbelichtungen, speziellen Materialien und Transistordesigns – für Strukturen um die 20 Nanometer nutzen.
Warum EUV so wichtig ist
Um noch kleinere Transistoren zu fertigen, greift die neue Generation von Lithografie-Maschinen von ASML auf eine Lichtquelle zurück, die weiches Röntgenlicht mit einer Wellenlänge von 13 Nanometern abstrahlt: extreme UV-Lithografie, kurz EUV-Lithografie.

Mitarbeiter von ASML trainieren im Reinraum Montage und Wartung einer EUV-Lithografiemaschine. Normalerweise befindet sich die hier sichtbare „Bühne“, mit der der Silizium-Wafer positioniert wird, im Inneren der Maschine.
Foto: ASML / Bart van Overbeeke Fotografie
Die Technologie zu entwickeln, hat rund 20 Jahre gedauert und rund neun Milliarden Dollar verschlungen – ein Aufwand, der nicht von einem Unternehmen allein zu stemmen war. Bereits 1997 baute ASML ein europäisches Forschungskonsortium auf, dem neben den Niederländern unter anderem Zeiss und das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF angehörten. Ihr Ziel: die bis dahin nur im Labor demonstrierte Technologie marktreif zu machen. 2004 schloss sich auch der süddeutsche Laserspezialist Trumpf an und 2012 schossen sogar die Chiphersteller Intel und Samsung sowie der größte Chip-Auftragsfertiger der Welt TSMC aus Taiwan erhebliche Mittel zu.
Der technische Aufwand für die EUV-Chipmaschine ist enorm: Ein Hochleistungslaser von Trumpf mit 40 Kilowatt Leistung – damit könnte man 20 Zentimeter dicke Metallplatten schneiden – schießt auf einen Zinntropfen, der mit hoher Geschwindigkeit im Vakuum aus einer Düse gepresst wird. Der Laser muss diesen Tropfen auf seiner Bahn zweimal treffen: Der erste Treffer mit verminderter Intensität verformt den Tropfen, sodass er platt wird wie ein Pfannkuchen. Der zweite Treffer verwandelt ihn in eine Plasmawolke, die weiches Röntgenlicht abstrahlt. Das geschieht 50 000-mal pro Sekunde.
Weil es für Licht mit 13,5 Nanometer Wellenlänge keine transparenten Materialien mehr gibt, also auch keine Linsen, wird das Röntgenlicht mit Spiegeln auf den Wafer gelenkt. Dabei ist höchste Präzision gefragt, denn diese Spiegel mit rund einem Meter Durchmesser dürfen nicht mehr als wenige Nanometer von ihrer Form abweichen, sonst wird die Optik unbrauchbar. In zahllosen Arbeitsgängen wird das glasartige Ausgangsmaterial bei Zeiss in Oberkochen geschliffen und poliert, bevor es mit dünnen keramischen Schichten bedampft wird.
ASML montiert schließlich die komplette Chipmaschine und richtet sie ein. Die NXE:3400C, eine der von ASML angebotenen EUV-Maschinen, besteht aus rund 100 000 Teilen, wiegt 180 Tonnen und füllt 40 Container – und das ohne den zugehörigen Treiberlaser. Seit 2017 werden diese Maschinen ausschließlich bei ASML im niederländischen Veldhoven produziert. Kein anderes Unternehmen bietet eine vergleichbare Technologie an, obwohl noch immer an Alternativen geforscht wird.

Die Abschottung des Westens macht auch den Aufbau neuer Fertigungskapazitäten in Europa notwendig. In der Fab 34 in Irland beispielsweise produziert Intel seit Herbst 2023 Prozessoren mit EUV-Lithografie.
Foto: Intel Corporation
Am dichtesten an einer alternativen Technologie ist derzeit vermutlich Canon. Das japanische Unternehmen hat eine Art Drucktechnik mit Nano-Stempeln entwickelt, mit der sich ebenfalls nanometerkleine Halbleiterstrukturen herstellen lassen. Allerdings ist das Verfahren noch in einem sehr frühen Stadium, und um es zu verwenden, müsste der gesamte Prozess in der Fab umgebaut werden.
Ohne EUV-Lithografie hängt die Chipproduktion in China also tatsächlich mehrere Technologiegenerationen hinter der internationalen Entwicklung zurück. Allerdings bedeutet das keineswegs, dass die chinesische Chipindustrie damit vollkommen aus dem Rennen wäre. Chips aus dem 28-Nanometer-Knoten und darüber können die chinesischen Hersteller nach wie vor in großer Stückzahl produzieren, schreiben Jan-Peter Kleinhans und Jon Lee in einer Analyse für die Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung im Herbst 2022. Genau solche Chips werden vor allem in Controllern für das Internet der Dinge (IoT), Leistungselektronik (wichtig für E-Autos) und in analogen Komponenten (zum Beispiel für die Kommunikation) eingesetzt. Im Bereich 50 Nanometer und darüber produzieren chinesische Unternehmen sogar mehr Wafer als alle anderen weltweit. Mit anderen Worten: Dieser Teil der chinesischen Chipindustrie floriert noch immer, denn er steht nicht im Fokus des Handelskrieges. Und das wird sich wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit nicht ändern, denn westliche Firmen sind für die Herstellung ihrer Consumer-Produkte in hohem Maße von diesen Chips abhängig.
Aufholjagd gegen den Westen
Ob China aber in den nächsten Jahren in der Lage sein wird, den Sprung zur EUV-Lithografie zu schaffen, wird – nicht nur von westlichen – Experten bezweifelt. Meldungen über die Entwicklung einer EUV-Quelle an der Tsinghua University in Peking erwiesen sich jedenfalls als übertrieben: In einem vom ChinaAI Project übersetzten Artikel des Wissenschaftsjournalisten Wang Jie wird die scheinbare Erfolgsmeldung gründlich dekonstruiert. Denn zum einen haben die Forschenden an der Tsinghua University bisher nur prinzipiell gezeigt, dass sie EUV-Licht herstellen können. Der Bau einer praktisch nutzbaren Anlage steht aber noch aus. Zum anderen weist Jie darauf hin, dass selbst im Fall eines Erfolges noch weitere wichtige Komponenten einer EUV-Lithografiemaschine fehlen würden, wie zum Beispiel die Optik.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die chinesische Chipindustrie auf ihrem Technologie-Level stehen bleibt. Für viel internationales Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang Huawei, das im September 2019 einen neuen Smartphone-Prozessor vorstellte, der nach eigenen Angaben in einem 7-Nanometer-Prozess hergestellt wurde. Den Chip hatte Huawei jedoch nicht mithilfe von EUV-Lithografie produziert, sondern mit einem bis an die Grenzen ausgereizten Excimer-Laser-Verfahren mit 193-Nanometer-Belichtung. Dabei sinkt zwar die Ausbeute an brauchbaren Chips. In Ermangelung von Alternativen scheint Huawei diesen Nachteil aber in Kauf zu nehmen.
Auch Baidu, das mit Ernie ein selbst entwickeltes großes chinesisches Sprachmodell betreibt, setzt notgedrungen auf die Huawei-Chips. Der Suchmaschinen-Betreiber hat im August erstmals größere Mengen von KI-Beschleunigerchips geordert. Die sind nicht so leistungsfähig wie die Beschleuniger von Nvidia, die Baidu bislang verwendet, um seine KI-Modelle zu trainieren. Seit Oktober 2023 hat die US-Regierung aber auch an dieser Front die Richtlinien weiter verschärft, sodass chinesische Unternehmen nur noch KI-Beschleuniger mit einer vergleichsweise geringen Rechenleistung aus den USA importieren dürfen.

In den 2010er-Jahren, als der Konzern vor Kraft kaum laufen konnte, baute Huawei in Dongguan ein Entwicklungszentrum, dessen Gebäude sich an klassischen europäischen Baudenkmälern orientieren. Die Abteilungen sind durch eine Schweizer Schmalspurbahn miteinander verbunden.
Foto: Huawei
War es bis vor Kurzem für die chinesischen Techfirmen schlicht einfacher und billiger, Technologie in den USA zu kaufen, statt sie selbst zu entwickeln, steigt durch die immer strengeren Handelsbeschränkungen der Entwicklungsdruck. Für Unternehmen wie Huawei ist das sicherlich eine Frage von Prestige – es gibt aber auch ganz handfeste wirtschaftliche Anreize, sich diesen Markt zu erschließen. Immerhin importieren chinesische Firmen bislang jährlich Chips im Wert von 400 Milliarden US-Dollar.
„Die Exportkontrollen werden China nicht für immer stoppen“, schreibt auch die New York Times. „Im besten Fall sorgen sie für eine taktische Verzögerung, die den USA und ihren Verbündeten Zeit erkauft, um ihre technologische Führungsposition auszubauen.“ Wenn diese Einschätzung richtig ist, wofür einiges spricht, müssen die westlichen Staaten diese Atempause allerdings auch wirklich nutzen.