Von der Uni-Idee zur Börsen-Sensation: Figmas Weg zum 60-Milliarden-Unternehmen
Als Figma im Juli 2025 Details zu seinem anstehenden Börsengang ankündigt, ist das bei weitem nicht der erste viel beäugte Tech-Exit des laufenden Jahres. Im März wagte der KI-Rechenzentrumsbetreiber Coreweave den Sprung, legte aber trotz des Boom des KI-Sektors einen holprigen Start hin. Firmen in ähnlich aufstrebenden Segmenten wie das Fintech Chime und das Krypto-Startup Circle schneiden an ihrem ersten Handelstag im Juni deutlich besser ab. Aber niemand fährt ein derart gutes Erstergebnis ein wie Figma.
Ursprünglich schätzt die Firma, die ihr Geld mit cloudbasierter Design-Software verdient, den Preis für ihre Aktie auf 25 bis 28 US-Dollar. Am 28. Juli wird dieser auf 30 bis 32 Dollar angehoben. Das Endresultat nach dem ersten Börsentag am 31. Juli: Ein Preis von rund 117 Dollar und eine Wertsteigerung von 250 Prozent. Davon profitieren vor allem frühe Investor:innen, aber auch die Führungsriege von Figma. Als alleiniger Geschäftsführer behält Dylan Field laut bei der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC hinterlegten offiziellen Dokumenten mehr als 70 Prozent der Stimmanteile. Außerdem wird er auf dem Papier über Nacht zum Multimilliardär.
Ein derartiger Erfolg zieht Fragen nach sich. Was ist das Geschäftsmodell von Figma? Wer steckt hinter der Firma? Und wie steht es um die Konkurrenz? Wir haben einen genaueren Blick auf den Design-Durchstarter geworfen.
Die Idee hinter Figma: Design im Multiplayer-Format
Seinen Anfang nimmt Figma 2012. Die beiden Gründer Evan Wallace und Dylan Field lernen sich an der renommierten Brown-Universität im Studiengang Informatik kennen. Schon vor der Gründung von Figma ist vor allem Field ein umtriebiger Netzwerker. Er arbeitet als Praktikant für den Tech-Fachverlag O’Reilly Media, Linkedin und die Social-Media-Nachrichten-App Flipboard. Letzteres hat er seiner Teilnahme am 2012 aufgesetzten Kleiner Perkins Fellowship Program zu verdanken. In dessen Rahmen platziert die Investmentfirma vielversprechende Talente in aufstrebenden Startups, wie Business Insider berichtet.
Nach diesen Erfahrungen beschließt Field, die Uni zu verlassen und sich vollends auf Figma zu konzentrieren. Einem Kurzinterview mit CNBC aus 2012 zufolge soll das Produkt der Firma Adobe Konkurrenz machen und sich auf 3D-Modelle und Bildbearbeitung fokussieren. Die Besonderheit: Anders als Adobe-Produkte oder das ebenfalls auf gemeinsames Arbeiten an Prototypen ausgelegte und Ende 2024 eingestellte Programm Invision soll Figma ausschließlich im Browser laufen und keine weitere Software benötigen.
Dieses Geschäftsmodell zieht das Interesse von Facebook-Investor und Paypal-Mitgründer Peter Thiel auf sich, der den Gründern im Rahmen eines Fellow-Programms 100.000 Dollar zur Verfügung stellt. Rund ein Jahr später, im Juni 2013, sammelt Figma Crunchbase zufolge vier Millionen Dollar in einer ersten Finanzierungsrunde ein. Zu den frühen Investoren gehört unter anderem der damalige Linkedin-Geschäftsführer Jeff Weiner.
Erstes Wachstum, Corona-Boom und Übernahmeversuche
Ende 2015 startet Figma mit seinem Design-Tool in eine Testphase und ruft bei einer weiteren Finanzierungsrunde 14 Millionen Dollar auf. Ein knappes Jahr später, im September 2016, geht die erste öffentlich zugängliche Version von Figma live. Die enthält das wohl wichtigste und für die damalige Zeit revolutionäre Feature: die Möglichkeit, Designprojekte in Echtzeit mit mehreren Nutzer:innen gleichzeitig zu bearbeiten. Inspiriert ist diese Funktion laut eines Blogposts von Mitgründer Wallace von Multiplayer-Games.
Die kommenden Jahre verbringt Figma damit, sein Kernprodukt auf die Gestaltung von Interfaces für Apps und Webseiten auszurichten. Konkurrenz gibt es für das junge Startup zum Beispiel von der niederländischen Firma Sketch, die Anfang 2019 20 Millionen Dollar Kapital einsammelt. Und auch der Kreativ-Marktführer Adobe hat mit XD ein Produkt für die Gestaltung von UX und UI im Portfolio.
Die Corona-Pandemie schließlich führt zu einem gestiegenen Interesse an allen Arten von Online-Tools wie Videokonferenz-Software oder Produktivitätssuiten. Dazu passt es beispielsweise, dass Figma 2021 mit Figjam ein Ideations-Tool einführt, mit dem Teams über Bürogrenzen hinweg an Whiteboards arbeiten können.
Risikokapitalgeber zeigen ebenfalls weiter Interesse an Figma. Im April 2020 ruft das Startup 50 Millionen Dollar in einer von Andreessen Horowitz angeführten Runde auf, was zu einer Bewertung von rund zwei Milliarden Dollar führt. Zwischen 2021 und 2024 sammelt die Firma insgesamt mehr als eine Milliarde Dollar Wagniskapital ein.
Auch die Konkurrenz wird auf die Softwarefirma aufmerksam, allen voran Adobe. Um ihr webbasiertes Portfolio und ihre Kompetenzen zu erweitern, plant die Firma eine Übernahme von Figma. Kostenpunkt: 20 Milliarden Dollar. Der 2022 angekündigte Deal hängt rund ein Jahr in der Schwebe und wird im Dezember 2023 auf Eis gelegt. Grund dafür sind die Bedenken von den Wettbewerbsaufsichten in Europa und dem Vereinigten Königreich. Obwohl die Übernahme scheitert, wird Adobes Konkurrenzprodukt Adobe XD bis heute nicht mehr aktiv weiterentwickelt oder betreut.
Womit verdient Figma sein Geld?
Das Paket, das Figma anbietet und das Adobe gerne in seinem Portfolio gehabt hätte, ist eine kleine Besonderheit. Denn spezialisierte Tools, die verschiedene Schritte im Designprozess für Webseiten oder Apps und gleichzeitiges Arbeiten an Projekten anbieten, gibt es viele. Miro eignet sich für Brainstormings und erste Schritte in der Projektplanung. Canvas Stärke liegt in der barrierearmen Erstellung von Präsentationen und Layouts. Und Sketch bildet vom Festhalten erster Designideen bis Prototypisierung weite Teile der Designreise ab, fokussiert sich aber auf Apple-Geräte.
Auch aufgrund der wachsenden Konkurrenz weitet Figma seine Geschäftstätigkeit kontinuierlich aus. So hat die Firma beispielsweise neben Figjam mit Dev Mode eine Verbindung zwischen Designer:innen und Entwickler:innen und mit Figma Make einen KI-Chatbot, der per Prompt aus einem Design den Code für einen fertigen Prototyp bauen soll, im Angebot. Damit kann Figma theoretisch nahezu alle Entwicklungsschritte für interaktive Digitalprodukte im Browser abbilden: Ideation, Design, Coding, Veröffentlichung als Webseite und Generierung passender Social-Media-Assets.
Der Gratis-Starteraccount bietet Zugriff auf Whiteboarding, das Figma-Design-Tool, die Präsentations-App, die Erstellung passender Social-Media-Inhalte aus den Grund-Designs und den KI-Chatbot. Mit einem Professional-Abo ab 16 Euro pro Monat lassen sich alle Tools wie Dev Mode oder das Vektor-Bearbeitungs-Tool Draw von einer Person nutzen. Wer sein Team vergrößern will, kann Sitze dazukaufen. Die sind je nach Typ im Funktionsumfang eingeschränkt. Für Firmen gibt es schließlich die Abo-Arten Organization, die unter anderem eine zentral verwaltete Design-Bibliothek bietet, und Enterprise, das höhere Sicherheitsstandards verspricht.
KI spielt natürlich auch eine Rolle. Ab der Professional-Stufe gibt es für die monatlichen Abogebühren je nach Stufe zwischen 3.000 und 4.250 KI-Credits pro vollem Sitz für Figma Make, das von Anthropics Modell Claude 3.7 angetrieben wird. Damit sollen sich laut Figma zwischen 50 und 100 Prompts pro Monat ausführen lassen. Bei einem derart auf Iteration ausgelegten Arbeitsumfeld könnte dieses Kontingent allerdings schnell aufgebraucht sein.
Figmas Finanzen: Zukunftssicher dank KI?
Diese flexible Segmentierung scheint sich zu lohnen. Denn 2024 macht das Startup laut SEC mit 13 Millionen monatlich aktiven Nutzer:innen rund 750 Millionen Dollar Umsatz. Trotzdem fährt die Firma einen Verlust in Höhe von 730 Millionen Dollar ein. Das liegt aber hauptsächlich an enormen Kosten im Bereich Forschung und Entwicklung.
Dafür gibt es einen guten Grund. Denn die Firma hat bei ihrer Hausmesse Figma Config dieses Jahr allein vier neue Produkte vorgestellt. Diese dürften aufgrund des KI-Fokus einiges an Ressourcen gefressen haben. Im laufenden Jahr sieht die Lage auch direkt wieder besser aus. Im ersten Quartal 2025 liegt der Umsatz schon bei etwa 230 Millionen Dollar, der Gewinn bei etwa 45 Millionen Dollar.
Zusammen mit einer Marktbewertung von derzeit etwa 60 Milliarden Dollar muss sich Figma eigentlich keine allzu großen Sorgen um seine wirtschaftliche Zukunft machen. Auch, weil die Firma in zahlreichen wichtigen Teilbereichen der Design-Industrie außer Konkurrenz zu agieren scheint. Ein großes Aber gibt es trotzdem, wie auch Geschäftsführer Dylan Field einräumt. „Die Ausgaben für Künstliche Intelligenz werden unsere Effizienz möglicherweise noch einige Jahre lang beeinträchtigen“, schreibt Field im Figma-Blog. „Aber KI ist auch von zentraler Bedeutung dafür, wie sich die Design-Workflows in Zukunft entwickeln werden.“
Der Fokus auf KI könnte mit ein Grund dafür sein, dass der Börsengang von Figma so erfolgreich verlaufen ist. Denn exakt eine Woche vor dem Handelsstart macht die Firma ihre KI-Tools, darunter das Flaggschiff Make, für alle Nutzer:innen zugänglich. Das wird vor dem Hintergrund relevant, dass Firmen wie Meta, Google-Mutter Alphabet und Microsoft in ihren Quartalsergebnissen Anzeichen dafür zeigen, dass sich die Investitionen in KI zumindest Stand jetzt lohnen – zumindest für diejenigen, die entsprechende Angebote in großem Stil betreiben.
Figma und die Konkurrenz
Der Erfolg von Figma dürfte den Vorhaben seiner Konkurrenten einen weiteren Dämpfer verpassen. Aber auch vor dem 31. Juli gilt Figma für viele Kreative als alternativlos. Das suggeriert zumindest eine jährliche Befragung des Fachportals UX Tools. Für die diesjährige Ausgabe wertet das Portal die Antworten von über 2.000 Designer:innen, die Hälfte davon aus Europa, den USA und Kanada, zu genutzten Tools und Arbeitsweisen aus. In den Bereichen Interface Design, Prototypisierung und Whiteboarding führt Figma durch die Bank, unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis und der Karrierestufe der Befragten. Besonders bei ersterem weist Figma Marktanteile von 80 bis 90 Prozent auf.
Das Ergebnis ist nicht gewichtet und kann demnach nur ein kleines Schlaglicht auf die Branche werfen. Der Trend, der sich abzeichnet, ist allerdings klar. Derzeit gibt es gerade im Interface-Bereich kein Tool, das Figma Konkurrenz machen könnte. Zumindest keines mit einer derart breiten Funktionspalette.
Dafür ist die Konkurrenz in anderen Bereichen, in denen sich Figma jetzt verstärkt aufstellen möchte, ungemein stärker. Canva hat beispielsweise laut eigener Angaben etwa 220 Millionen Nutzer:innen pro Monat und generiert damit 2024 rund 2,5 Milliarden Dollar Umsatz. Es bleibt abzuwarten, ob Figmas Vorstoß in „fachfremde“ Segmente sich letzten Endes wirklich auszahlt.