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Gefängniscuisine: Knast-Insassen als Twitter-Foodblogger

Der Twitter-Account „Gefängniscuisine“ veröffentlicht fast täglich Fotos der vorgesetzten Mahlzeiten, um Missstände in der Berliner JVA Heidering aufzudecken. Bon Appétit!

Von Patrick Büttgen
3 Min.
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Eine der spärlichen Mahlzeiten, die der Twitter-Acount „Gefängniscuisine“ fotografiert hat. (Foto: Twitter/Screenshot)

Smartphones sind in Gefängnissen streng verboten. Dennoch finden die digitalen Begleiter über Wärter, Besucher, Lieferanten, Pakete und in seltenen Fällen sogar mithilfe von Drohnen immer wieder den Weg hinter die scheinbar unüberwindbaren Mauern und die schwedischen Gardinen. Es sei ein bundesweites Problem und mancher Insasse habe sogar mehr als ein Gerät, wie der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, René Müller, in einem Bericht der Augsburger Allgemeine erklärt. Die geschmuggelten Smartphones könnten die Insassen zum Planen von Straftaten, zum Beeinflussen von Zeugen in Gerichtsverfahren oder zum Bedrohen von Opfern nutzen, so Müller.

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Die Verantwortlichen für den Twitter-Account Gefängniscuisine haben andere Pläne. Sie nutzen ihr oder ihre Smartphones seit August, um über die Missstände in der Berliner JVA Heidering aufmerksam zu machen. Fast täglich posten sie aus dem Innern der JVA Fotos von den ihnen vorgesetzten Mahlzeiten – „Rezeptideen aus der JVA Heidering“, wie es in der Beschreibung des Kanals heißt. Wer sich also schon einmal gefragt hat, ob das Essen in Gefängnissen wirklich so mies ist, wie es in Hollywoodstreifen wie „Die Verurteilten“ scheint, kann sich nun dank des Twitter-Accounts ein umfassendes Urteil bilden.

Gefängniscuisine offenbart Sicherheitslücken

Die Fotos der Speisen vor blauem Hintergrund beschreiben die für den Account Verantwortlichen häufig ironisch und sarkastisch als „Reise durch die kulinarische Welt“, „Sterneküche“ oder als Mahlzeiten, die „gehaltvoll über den Tag“ bringen. In Wahrheit sehen die Speisen recht spartanisch und absolut nicht appetitlich aus, wie ein Foto von Nudeln mit Tomatensoße zeigt.

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Wer sich die Fotos anschaut, der fragt sich wahrscheinlich, ob ein erwachsener Mensch von den Menüs der JVA Heidering überhaupt satt werden kann. Den Betreibern des Accounts und den ironischen Beschreibungen zufolge sei dies eher nicht der Fall. So zeigt der nachfolgende Tweet die angebliche Verpflegung am Wochenende, für die die „kreativen Köche wieder lange Zeit zusammen gesessen haben“.

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In einem weiteren Tweet fragen die Betreiber des Accounts: „Heute schon Hunger verspürt?“

Strategie von Gefängniscuisine geht auf

Die Strategie scheint aufzugehen, denn seit dem ersten Tweet im August hat der Account sich eine Community aus derzeit um die 850 Followern aufbauen können – Tendenz steigend. Der Leitung der JVA Heidering dürfte der rasante Aufstieg der Knast-Influencer absolut nicht schmecken, da er öffentlichen Druck auf die Haftanstalt ausübt. Nicht nur was das Essen angeht – schließlich sind Smartphones streng verboten, sodass Gefängniscuisine durch die „Reisen durch die kulinarische Welt“ auch Sicherheitslücken der JVA öffentlich werden lassen hat. Es ist also wahrscheinlich, dass die JVA ein gewisses Interesse daran hat, die Insassen hinter dem Account ausfindig zu machen, das Smartphone oder die Smartphones zu konfiszieren und den Account somit aussterben zu lassen.

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Laut den Stuttgarter Nachrichten habe die Cateringfirma keine Angaben dazu machen wollen, ob es sich bei den Mahlzeiten um die kompletten Portionen pro Essensausgabe handele. Sie habe auf das Land Berlin als Auftraggeber verwiesen. Dem Bericht zufolge soll es laut der Berliner Justizverwaltung keine Zweifel an der Echtheit der Aufnahmen geben.

Nutzung von Technik hinter Gittern mit hoher Medienaufmerksamkeit

Dass Gefängnisinsassen Smartphones und Technik im Allgemeinen nutzen, um über ihr Leben hinter Gittern zu berichten, um Zeit totzuschlagen, ihre kreative Ader auszuleben oder eben wie Gefängniscuisine Missstände aufzudecken, passiert immer wieder. So hat der öffentlich-rechtliche Youtube-Kanal „Y-Kollektiv“ in einer Reportage über den Schlagersänger und Ex-Pornodarsteller Patrick Naumann berichtet. Dieser soll laut eigener Aussage zum Schmuggeln von Drogen von Thailand nach Indonesien gezwungen worden sein und wurde in der Folge zu einer Haftstrafe in Indonesiens „Kerobokan“-Gefängnis verurteilt. Via Youtube berichtete der Schlagersänger regelmäßig aus dem Innern von „Hotel K.“, wie die Insassen die Anstalt nennen sollen.

Ein weiterer bekannter Fall, bei dem ein Insasse Technik hinter die Mauern schmuggeln lassen hat und sie nutzte, um seine kreative Ader auszuleben, ist der Bonner Rapper „Xatar“, bürgerlich Giwar Hajabi. Xatar hat wegen eines Goldraubs eine fünfjährige Haftstrafe abgesessen. Während dieser hat er sein Album „415“ veröffentlicht, dessen Name zugleich seine Häftlingsnummer gewesen sein soll. Das Album soll mit einem Diktiergerät unter der Bettdecke hinter Gittern entstanden sein.

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Der verstorbene US-amerikanische Rapper „Prodigy“ des legendären Rap-Duos „Mobb Deep“ hat hingegen ein Kochbuch für Gefängnisinsassen geschrieben.

Auf der Facebook-Seite „Wir fotografieren unser Essen – Residenz Seniorenheim/Krankenhaus“ finden sich ähnliche Fotos wie die von Gefängniscuisine. Die auf diesem Kanal veröffentlichten fotografierten Mahlzeiten sollen jedoch aus Pflegeeinrichtungen stammen.

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