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Interview

Gewohnheiten hacken: Sie erklärt, wie Raucher zu Läufern werden

Es geht nicht um Willenskraft, sondern um Wissenschaft. Psychologin Wendy Wood erforscht, wie Routinen unser Leben bestimmen, wie wir neue konstruieren und alte loswerden.

Von Jan Vollmer
7 Min.
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Professorin Wendy Wood ist mit Tricks aus der eigenen Forschung zur Sportlerin geworden. (Foto: J. Emilio Flores)

Es gab Monate, in denen hat sich Wendy Wood abends ihre Laufschuhe an die Haustür gestellt, hat sich ihre Sportsachen angezogen – und ist dann damit ins Bett gegangen. Und erst am nächsten Morgen joggen.

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Wendy Wood ist Professorin für Psychologie an der Universität von Südkalifornien. Weltweit ist sie die führende Expertin bei der Erforschung von Gewohnheiten. Mit Sportsachen zu schlafen, ist gewissermaßen das Ergebnis jahrelanger Forschung.

Die These von Woods Arbeit lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Einen großen Teil unseres Tages verbringen wir mit Tätigkeiten, die wir  automatisiert haben – Zähneputzen, Kaffeekochen, zur Arbeit fahren, nach Hause fahren, Duschen, die Geschirrspülmaschine einräumen. Gewohnheiten, so Wood, bestimmen unser Leben. Und wenn wir nachhaltig etwas in unserem Leben ändern wollen, wird das nicht gehen, ohne uns unsere Gewohnheiten genauer anzuschauen.

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Das interessante dabei ist, dass Woods These von den Gewohnheiten, von der Macht der unbewussten Handlungen, in starkem Kontrast zu dem herrschenden Dogma steht: Die meisten Menschen glauben, so Wood, dass wir vor allem Willensstärke brauchen, um etwas zu schaffen. Die Marke Nike bringt das auf den Punkt mit dem Slogan „Just do it.“

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Just do it? Funktioniert nur manchmal

Dabei funktioniere Willenskraft nur bei bestimmten Dingen, erklärt Wood in ihrem Buch „Good Habits, Bad Habits“ (Amazon | Thalia): Wer sich impfen lassen will, muss sich nur ein Mal dazu aufraffen. Viele andere Dinge haben – auch wenn es nicht so aussieht – mit Willensstärke wenig zu tun: Niemand wird fit, wenn er oder sie sich ein Mal zwingt, laufen zu gehen. Niemand wird schlauer, weil er oder sie ein Mal ein Buch liest. Bei den langfristigen Veränderungen im Leben, so Wood, gehe es nicht um Willenskraft, sondern darum, Dinge möglichst einfach zu machen, damit wir sie oft wiederholen – und sie zu einer Gewohnheit werden.

Im t3n-Interview erklärt die Psychologie-Professorin, was genau Gewohnheiten sind, wie wir neue Gewohnheiten bauen und alte loswerden können.

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t3n: Frau Wood, Sie erforschen, wie Gewohnheiten und Routinen sich auf unser Leben auswirken. Hat die Coronakrise ihre Gewohnheiten durcheinandergebracht?

Wendy Wood: Ehrlich gesagt, mache ich ungefähr so weiter wie bisher: Ich schreibe morgens, spreche mit meinen Studenten und habe Meetings am Nachmittag. Nur eben online. Viele andere Menschen in den USA haben aber ihre Jobs verloren, arbeiten von zu Hause aus oder unterrichten ihre Kinder selbst. Das hat tatsächlich viele Gewohnheiten durcheinandergebracht.

t3n: Gibt es Tricks aus der Erforschung von Gewohnheiten, um mit der Coronakrise besser umzugehen?
Ich empfehle, verschiedene Ecken der Wohnung für verschiedene Aktivitäten zu nutzen. Das macht es einfacher, den Tag zu strukturieren. Dann hast du einen Ort, an dem die Kinder ihre Schulaufgaben machen können, einen Ort, an dem du arbeiten kannst, einen Ort, an dem du Sport machst, einen anderen Ort, an dem du isst. Ich arbeite am Küchentisch. Also wechsle ich den Stuhl, wenn ich mit meinem Mann esse, und wechsle zurück, wenn ich wieder schreibe.

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t3n: Warum sollte uns das helfen, in der Wohnung eine bestimmte Ecke für Sport und eine Ecke zum Arbeiten zu haben?
Wenn wir verschiedene Orte für verschiedene Aktivitäten nutzen, ist es einfacher, all die verschiedenen Rollen zu leben, die wir haben – und darin produktiv zu sein. Der Ort, an dem du bist, gibt dir viele Hinweise darauf, was du in diesem Kontext machst. In einer neuen Situation müssen wir also neue Hinweise an neuen Orten etablieren – um sicherzugehen, dass sie mit dem Verhalten verbunden sind, das wir uns wünschen.

Gewohnheiten hacken: 11 Apps, die helfen!
Nichtraucher werden? Mit „Smoke Free – Jetzt Nichtraucher“ (kostenlos für iOS und Android) und „QuitNow!“ (kostenlos für iOS und Android) werden Raucher dabei unterstützt, endlich mit dem ungesunden Laster aufzuhören. (Foto: Shutterstock-Boris Bulychev)

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t3n: Wie wichtig sind neue Gewohnheiten, wo unsere alten Routinen gerade nicht funktionieren?
Der Bruch mit den alten Routinen ist ein Grund, warum der Wechsel ins Homeoffice für viele so schwierig war. Wir konnten das Leben nicht mehr im Autopilot leben. Plötzlich mussten wir Entscheidungen fällen, wo oder wie lange wir arbeiten.

„Viele Entscheidungen sind Aufwand, und das bedeutet, dass du weniger produktiv bist.“

t3n: Was ist so schlimm daran, sich neu zu überlegen, wie man arbeitet?
Die vielen Entscheidungen sind Aufwand. Das bedeutet, dass du weniger produktiv bist. Alles fühlt sich ermüdender an. Und du bist danach erschöpfter.

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t3n: Warum machen uns Gewohnheiten produktiver? Was sind Gewohnheiten aus wissenschaftlicher Sicht?
Gewohnheiten sind automatische Assoziationen zwischen Kontexten, in denen wir uns befinden, und dem Verhalten, das wir in solchen Kontexten typischerweise an den Tag legen. Wenn du ein Verhalten oft wiederholst und dafür belohnt wirst, setzt dein Gehirn Dopamin frei. Dein Gehirn verbindet das alles. Wenn du wieder in dem Kontext bist, kommt diese Reaktion automatisch in dein Bewusstsein. Es ist eine mentale Abkürzung.

„Mit der Effizienz von Gewohnheiten kommen wir durch den Tag.“

t3n: Und ohne die mentalen Abkürzungen, die Gewohnheiten sind, wäre alles viel anstrengender?
Du wachst morgens auf und stehst vor deiner Kaffeemaschine. Du fragst dich nicht: Will ich heute überhaupt Kaffee? Wie mache ich den? Stattdessen legst du einfach los, ohne darüber nachzudenken. Das geht, weil du eine Gewohnheit hast, jeden Morgen Kaffee zu machen. Mit der Effizienz von Gewohnheiten kommen wir durch den Tag.

t3n: Wenn wir uns also jedes Mal neu überlegen, wie etwas geht, ist es jedes Mal ein Kraftaufwand?
Der Entscheidungsmodus ist anstrengend. Gewohnheiten hingegen kosten keine Kraft: Wir können unseren Tag planen, während wir Kaffee machen. Wir können darüber nachdenken, was gestern passiert ist, während wir duschen. Es ist ein Weg für uns, Verhaltensweisen zu wiederholen, die früher funktioniert haben, ohne mentalen Arbeitsspeicher oder begrenzte kognitive Fähigkeit dafür zu nutzen. Wir sparen Mühe oder Energie.

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t3n: Warum ist es dann so wichtig, für eine Gewohnheiten wie Sport einen bestimmten Ort in der Wohnung  zu haben?
In einer Studie wurde beobachtet, wie oft Menschen ins Fitnessstudio gehen: Wer 3,5 Meilen fahren musste, ging etwa fünf Mal im Monat. Wer fünf Meilen fahren musste, ging nur ein Mal. 1,5 Meilen sind ein sehr kleiner Unterschied. Aber es ist der Unterschied, ob du regelmäßig hingehst oder nur gelegentlich. Der Punkt ist: Seinen Kontext zu kontrollieren, ist wichtig. Menschen sind sehr empfindlich dafür, was in ihrem Umfeld einfach oder kompliziert ist.

„Zwei Klicks mehr – und Amazon würde Kunden verlieren.“

t3n: Sehr sportliche Menschen sind also nicht unbedingt willensstark. Sie haben es einfach nur nicht so weit zum nächsten Fitnesscenter?
Technologie versteht das schon lange: Amazon hat eine Ein-Klick-Bestell-Funktion. Das macht es sehr leicht für Kunden, dort Produkte zu kaufen. Zwei Klicks mehr und Amazon würde Kunden verlieren. Menschen reagieren schon auf das kleinste Bisschen Reibung.

t3n: Haben Sie sich auch schon mal eine Gewohnheit antrainiert, um etwas Bestimmtes zu schaffen?
Ich wollte regelmäßig laufen gehen. Also habe ich mir eine Zeit ausgesucht, zu der das am leichtesten gehen würde: morgens um sechs, als die Kinder noch geschlafen haben. Um mir das so einfach wie möglich zu machen – um möglichst wenig Reibung zu haben –, habe ich schon in den Laufsachen geschlafen und meine Laufschuhe neben die Tür gestellt.

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t3n: Das klingt, als wäre Ihre Lauf-Gewohnheit ein Kampf gewesen.
Die ersten paar Male werden sich nicht großartig anfühlen. Aber dein Körper passt sich an, du passt dich mental an. Es ist auch gut, sich eine Belohnung einzubauen, wie Musik oder einen Podcast, den du dabei hörst. Wenn du das oft genug machst, wird es zu einer Gewohnheit. Dann brauchst du auch irgendwann die Belohnung nicht mehr. Dann bist du eine Läuferin.

t3n: Im Umkehrschluss bedeutet das: Auch um mir etwas abzugewöhnen, brauche ich keinen besonders starken Willen. Ich muss es nur etwas komplizierter machen?
Ja. Rauchen zum Beispiel. Das war eine der wenigen erfolgreichen Gesundheitskampagnen der USA. Wir haben Zigaretten besteuert, wir haben das Rauchen in öffentlichen Orten verboten. Menschen können nicht mehr als Teil der normalen sozialen Interaktion rauchen. Sie müssen rausgehen und spezielle Orte finden, wo das erlaubt ist. Du kannst Zigaretten nicht mehr am Automaten kaufen, du musst im Laden fragen. Jetzt rauchen hier nur noch 15 Prozent.

t3n: Funktioniert eine konstruierte Gewohnheit auch, um große Ziele im Leben zu erreichen: einen Partner finden, einen neuen Job, auf ein Haus sparen?
Manche Entscheidungen können dir Gewohnheiten nicht abnehmen, und das ist gut so. Aber wer auf der Suche nach einem Partner ist, könnte sich – gewohnheitsmäßig – in Situationen begeben, in denen er viele Menschen trifft.

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t3n: Wenn Gewohnheiten so mächtig sind – kann es dann nicht auch gefährlich sein, damit herumzuhantieren?
Gewohnheiten können, wie jedes Verhalten, gut oder schlecht sein. Aber das Gewohnheitsgedächtnis des Gehirns verändert sich nur sehr langsam, mit vielen wiederholten Erfahrungen. Der Grund dafür ist: Das Gewohnheitsgedächtnis fängt ein, was in unserem Leben am wichtigsten ist. Was wir essen, wie wir schlafen, wie wir mit anderen Menschen interagieren, wie wir Arbeit erledigen. Das sind sehr wichtige Fähigkeiten, um mit dem Kontext zurechtzukommen, in dem wir leben.

t3n: Vielen Dank für das Gespräch.

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