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Wachstum um jeden Preis: So verdienen Flaschenpost, Gorilllas und Co. ihr Geld

Gorillas im Nebel: Ob Lebensmittellieferdienste in Deutschland langfristig den Lebensmitteleinzelhandel verändern können, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Das Geschäftsmodell ist schwierig und es bleiben zahlreiche Unsicherheitsfaktoren.

5 Min. Lesezeit
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Gorillas ist ein Supermarktlieferdienst. (Foto: giggsy25/Shutterstock)

Der zum Oetker-Konzern gehörende Lieferdienst Flaschenpost hat jetzt angekündigt, neben Getränken auch Lebensmittel, zunächst Frischwaren und Tiefkühlware, ausliefern zu wollen. Ein erstes Pilotprojekt sei vielversprechend gelaufen, sodass man nach Münster nun auch Düsseldorf und Langenfeld als weitere Pilotzonen definiert habe. Während Flaschenpost je nach Auslastung mit Lieferzeiten von ein bis zwei Stunden wirbt, gehen Dienste wie Flink und Gorillas mit einem Lieferversprechen innerhalb von zehn Minuten noch deutlich weiter. Und dann sind da auch noch der Amazon-Lieferdienst, der kürzlich einen Relaunch in Deutschland vollzogen hat, sowie der Rewe-Lieferdienst, der allerdings etwas gemächlicher unterwegs ist und es vielerorts nicht schafft, der Nachfrage nach Lieferslots Herr zu werden. Doch wie vernünftig und wirtschaftlich ist ein solches Erlösmodell, das Lebensmittel ins Haus bringt, überhaupt und wie riskant ist das Geschäft für die Unternehmen, wenn es innerhalb von Minuten oder Stunden erfolgt?

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Bislang haben die Initiatoren solcher Unternehmen zwar Venture Capital in Millionenhöhe eingesammelt, produzieren aber keinen nennenswerten Gewinn. Das ist nicht ungewöhnlich, kommt gerade im E-Commerce und Lieferdienstbereich häufiger vor. Im Vergleich zum Supermarkt kassieren die Zehn-Minuten-Lieferdienste zwar eine Liefergebühr von 1,80 Euro, aber das kann die anfallenden Kosten natürlich nur bei starker Auslastung decken. Das Ganze ist bei Supermarkt-ähnlichen Preisen eine Mischkalkulation – der Betreiber kassiert so die Handelsmarge, da nicht im Lebensmitteleinzelhandel gekauft wird, sondern direkt beim Produzenten ohne Zwischenhändler. Doch die ist im preissensitiven Lebensmittelhandel bekanntermaßen gering.

Hinzu kommen aus Frischegründen nicht mehr verkäufliche Lebensmittel, eine unterschiedlich starke Auslastung in den Liefergebieten sowie die unterschiedlich großen Warenkörbe, die aber eine natürliche Beschränkung für die Lieferfähigkeit pro Fahrer und Zeitraum bedeuten. Ein wichtiges Asset sind dabei die dezentralen Lager der Lebensmittellieferdienste, die aktuell schon in Berlin, aber sicher bald auch in anderen Städten die Anwohner auf die Barrikaden treiben. Denn ob die Lebensmittellieferdienste so einfach ein solches Lager mitten in der Stadt in verkehrsgünstiger Lage betreiben dürfen und können, ist regional sehr unterschiedlich.

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Bleiben noch die Lieferfahrer, deren Stundenlohn in der Regel beim Mindestlohn von 10,50 Euro liegt und sich für die Lieferdienste vor allem dann rechnet, wenn die Fahrer in schnellem Rhythmus Bestellungen ausliefern. Wenn man berücksichtigt, dass die Fahrer auch bei widrigen Wetterbedingungen und zu wenig attraktiven Zeiten auf der Straße sind, erscheint das eher wenig – aber natürlich nur so wirtschaftlich abbildbar.

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Die Zeichen stehen auf Wachstum um jeden Preis

Um das Geschäft erfolgreich betreiben zu können, muss es skalieren – und das bedeutet insbesondere in der Anfangsphase einen möglichst aggressiven Kampf um Liefergebiete und Kunden – im wahrsten Sinne des Wortes ohne Rücksicht auf Verluste. Denn nur wenn die Fahrer im jeweiligen Liefergebiet ausgelastet sind und nur wenn die Kunden auch zuverlässig beliefert werden können, geht die Rechnung für alle Beteiligten auf und die Kunden werden über zum Beispiel die Gorillas positiv urteilen und erneut bei ihnen bestellen.

Ein wichtiger Faktor wird dabei das Purpose-Thema sein, also das Image und die Wahrnehmung, die Dienste wie Flink und vor allem die Gorillas haben. Schon deswegen kann das Thema Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte den Startups nicht egal sein. Schlechte Schlagzeilen sind auf Dauer keine tragbare Lösung und könnten das Wachstum hemmen.

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Interne Papiere und Präsentationen aus dem Unternehmen vermitteln einen Einblick in die Kalkulation – und die ist denkbar knapp: Bei einem fiktiven Warenkorb von 30 Euro bleiben nach Abzug aller Kosten für Waren und Zustellung nur 25 Cent übrig – vorausgesetzt 1.100 Bestellungen pro Tag treffen ein. Sind es dagegen 700 weitere Bestellungen pro Standort, liegt der Deckungsbetrag bei immerhin 3,59 Euro. Die laufenden Kosten für die Verwaltung, die IT, die Werbung sorgen ebenfalls dafür, dass sich das Unternehmen der Gorillas immer besser rechnet, je mehr es skaliert.

Noch liegen der durchschnittliche Warenkorbwert bei rund 20 Euro und der monatliche Umsatz pro Kunde bei 115 Euro. Letztlich erhofft sich das Unternehmen laut der internen Unterlagen einen durchschnittlichen Umsatz pro Kunde von 250 Euro und immerhin die Hälfte dessen gesamten Lebensmittelbudgets.

Marktmacht schafft Verhandlungsposition

Erfolgreich können die Gorillas – und vergleichbare Unternehmen, die mit Lieferungen innerhalb von Minuten werben – nur dann sein, wenn sie die Personalkosten möglichst überschaubar halten, das Lieferpersonal gut auslasten und wachsen. Derzeit liegt die Zahl an lieferbaren Produkten im niedrigen vierstelligen Bereich, ein durchschnittlicher Lebensmitteldiscounter hat ein Vielfaches davon. Und je mehr Umsatz und Marktmacht Gorillas erreicht, desto leichter wird es, zu verhandeln: mit den Lieferanten über Preise, mit Werbepartnern über Werbung innerhalb der App (quasi das Gegenteil zu den vermieteten Regalmetern des Einzelhandels) und mit Kooperationspartnern über Loyalty-Programme und Affiliate Marketing. Und auch das eigene datengetriebene Marketing und die Lagerhaltung wird treffsicherer, je mehr Kunden dort bestellen oder sich zumindest in der App umsehen – von Amazon und anderen Big Playern lernen heißt siegen lernen.

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Bisher sind die Gorillas gezielt in Großstädten anzutreffen – und dort vor allem in den einschlägigen Vierteln, die ein passendes Portfolio an Kunden erwarten lassen. Doch das wird sich ändern. Schon jetzt sind Städte wie Augsburg oder Heidelberg für die nächsten Öffnungen vorgesehen. Und je mehr Märkte die Lebensmittelbringer bedienen, umso besser werden die Voraussagen, was wo funktioniert und welche Umsatzzahlen unter welchen Umständen zu erwarten sind.

Lieferdienste: Der Kunde profitiert von der Entwicklung

Dennoch basiert der Erfolg oder Misserfolg von Gorillas, Flaschenpost und vergleichbaren Unternehmen vor allem auf der optimalen Auslastung der Fahrer, der logistischen Verfügbarkeit in den Lagern sowie der möglichst kurzen Wege und damit verbundenem niedrigen Zeitbudget. Schon heute steht etwa bei den Gorillas eine dreistellige Zahl an Lagern in den belieferten Städten, bis Ende des Jahres sollen es 500 international sein. Profiteur des Kampfes um Städte und Marktanteile ist der Kunde – denn der erhält in immer mehr Städten auch außerhalb der Metropolenregionen seine Waren per Express.

Dass die Investoren hier in großem Stil in die Zukunft investieren und auf einen Rückfluss ihrer Investments hoffen, hat auch mit dem weiterhin guten Marktausblick und dem erwarteten Potenzial zu tun: 200 Milliarden Euro Gesamtumsatz im Lebensmittelmarkt stehen je nach Lesart, was alles darunter fällt, zwischen vier und sechs Milliarden Euro Umsatz im E-Commerce entgegen. Wachstum also durchaus wahrscheinlich – selbst bei den im internationalen Vergleich hohen europäischen Lohnkosten und der im internationalen Vergleich niedrigen Handelsmargen bei Lebensmitteln.

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Oliver

Bin gespannt wie sich dieses Business in den nächsten Jahren entwickelt. Für mich ist ein derartiger Dienst relativ uninteressant. Ich gehe gerne einkaufen, stöbere Mal hier und da, sehe Menschen … Das gehört für mich zum gesellschaftlichen Leben dazu. Zudem ist es auch Mal schön die eigenen 40 Wände zu verlassen.

Antworten
Scooter

Gorilla, Flaschenpost, Amazon und die ganzen anderen Lieferdienste arbeiten mit einem ganz einfachen Prinzip:

AUSBEUTUNG

Das ist Kapitalismus praktiziert in seiner reinsten Form.
Gewinne werden auf Kosten der Mitarbeitenden erzielt. Egal welchen tollen Namen sich die Firmen geben, es sind alles Mogelpackungen. Spätestens wenn nach vielen Jahren Gewinne erzielt werden diese Firmen an den nächsten Ausbeuter verkauft (Ausnahme Amazon). Der dreht dann die (Personal)Kosten noch weiter runter.

Für jene, die meinen, sie hätten keine Zeit zum Einkaufen: Etwas weniger Zeit vor dem neuen Flatbildschirm oder im Internet verbringen. Dann bleibt auch Muße für einen Einkauf in echten Geschäften oder Wochenmärkten mit echten Mitarbeitenden. Humane Interaktion macht Spaß.

Falls Fragen kommen: Ich bin ein zufriedener Onlineredakteur. Und liebe die reale Welt.

Antworten
Peter

Aus meiner Sicht können diese Geschäftsmodelle nicht funktionieren oder nur dann wenn die Kosten massiv gedrückt werden und hier ist der einzige Hebel das Personal. Ich halte es für naiv von der Redaktion, an die erwähnten Einkaufsvorteile und Skaleneffekte zu glauben. Eine einfache Rechnung:

Ein Flaschenpost Fahrzeug schafft vielleicht 5-8 Stops in einer Schicht. Bestellt also der 9 Kunde, so wird erneut ein Fahrer und ein Fahrzeug benötigt. Bedeutet, dass die Kostenkurve nahezu linear ist oder aber nur mäßig flacher wird. Bei den aktuellen CAC und der jetzigen Cash Burn Rate, ist nicht davon auszugehen, dass das Geschäftsmodell tragen wird.

Also sucht man nun den Segen im Lebensmittelsortiment. Hier hat man es aber mit deutlich höherer Komplexität zu tun, allein schon was das Thema Kühlkette und Verderblichkeit angeht, was folgt sind Abschriften ohne Ende.

Aber solange den Investoren die Story passt und die Phantasie nicht abhanden kommt scheint alles gut zu sein.

Es ist zur Zeit lächerlich wie viel VC für nicht tragende Geschäftsmodelle verteilt wird.

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