Haarwachstum ohne Nebenwirkungen: Körpereigener Zucker könnte Lösung sein
Als Forscher:innen der britischen Universität Sheffield und der COMSATS-Universität Paktistan vor ein paar Jahren ein neues Mittel zur Wundheilung testeten, stellten sie Erstaunliches fest: Um die behandelten Wundstellen der Versuchstiere herum wuchsen auffallend schnell neue Haare. Der Wirkstoff war der Zucker 2-Desoxy-D-Ribose (Desoxyribose), der in Tier und Mensch auch ganz natürlich vorkommt. In einer aktuellen Studie kann das Team die Beobachtung nun bestätigen: Der Zucker taugt offensichtlich als Haarwuchsmittel – zumindest an Mäusen und beim erblich bedingten Haarverlust.
Die anlagebedingte, „androgenetische Alopezie“ ist die häufigste Ursache für den Haarverlust von Menschen. Bis zu 70 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen sind davon betroffen. Ihre Haarfollikel – jene winzigen Organe, die unter der Haut das Haarwachstum steuern – reagieren besonders empfindlich auf das Geschlechtshormon Dihydrotestosteron (DHT), das in den Follikeln durch ein Enzym aus Testosteron gebildet wird. Als Folge verkümmern die Follikel. Es wachsen immer dünnere und irgendwann gar keine neuen Haare mehr nach. Die DHT-Empfindlichkeit der Follikel steigt auch mit zunehmenden Alter, setzt aber bei entsprechender genetischen Veranlagung eben besonders früh ein.
Zwar gibt es bereits Gegenmittel gegen den anlagebedingten Haarverlust, etwa Minoxidil, das eigentlich ein Blutdrucksenker ist und auf die Haut aufgetragen wird. Oder der Wirkstoff Finasterid, der die Umwandlung von Testosteron in das haarschädigende Dihydrotestosteron hemmt, und der oral eingenommen wird. Doch beide Substanzen haben Nebenwirkungen. Minoxidil führt mitunter zu Hautirritationen und Herzproblemen. Und Finasterid, das ohnehin nur Männer einnehmen dürfen, kann unter anderem die Libido senken, Erektionsprobleme auslösen und Depressionen verstärken.
Vermutlich ohne Nebenwirkungen
Unerwünschte Nebenwirkungen der Desoxyribose seien hingegen nicht zu erwarten, sagt Sheila MacNeil, Professorin für Tissue Engineering an der Universität Sheffield. Schließlich sei der Zucker eine Substanz, die der Körper auch selber produziere. Er kurbele die Produktion von Blutgefäßen an, steigere die Blutzufuhr zu den Haarfollikeln und damit auch die Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr. Das wiederum komme dem Haarwachstum zugute.
Für ihre Experimente arbeiteten die Forschenden mit Mäusen als Modellorganismus für den erblichen Haarverlust. Die Tiere waren mit entsprechenden Genen ausgestattet und entwickelten nach einer Testosterinjektion kahle ovale Stellen auf ihren Rücken. Die Forscher:innen teilten die Tiere in verschiedene Testgruppen auf. Eine Gruppe behandelten sie mit der Desoxyribose, die sie zuvor in ein Alginatgel gemischt hatten. Eine andere Gruppe wurde mit Minoxidil therapiert. Eine weitere Gruppe erhielt beide Substanzen – und es gab eine Kontrollgruppe, der das Hydrogel ohne Wirkstoff verabreicht wurde.
Mäuserücken ohne Fell, Mäuserücken mit Fell
Nach 20 Tagen war auf den mit Desoxyribose behandelten Mäuserücken ähnlich viel Fell nachgewachsen wie auf den mit Minoxidil behandelten. Nackte Haut war kaum noch zu sehen. Die Zahl der Blutgefäße an den Follikeln war gestiegen und auch die Zahl der Follikel pro Fläche. Nicht zuletzt fanden die Forscher:innen mehr Haare in einer frühen Wachstumsphase, die die neue Fellpracht auch längerfristig sichern könnten, heißt es in der Studie.
Auch andere Forschungsgruppen arbeiten an neuen Mitteln gegen erblichen Haarverlust. Vor zwei Jahren etwa präsentierten Forscher:innen aus China eine Art Enzympflaster mit Mikronadeln, das sich in Tierversuchen im Vergleich mit Minoxidil ebenfalls als ebenbürtig erwies.
Doch bis zum wirksamen Medikament ist es noch ein weiter Weg. Das räumt auch Sheila Macneil ein. „Unsere Forschung ist noch in einem frühen Stadium“, sagt sie. „Aber die Ergebnisse sind vielversprechend und verdienen weitere Untersuchungen.“ Unter anderem wollen die Forscher:innen noch besser verstehen, wie genau der Zucker auf das Haarwachstum wirkt. Ob die Behandlung auch bei Menschen funktioniert, werden erst klinische Tests zeigen können. Und nicht zuletzt wollen die Wissenschaftler:innen prüfen, ob das Desoxyribose-Gel auch wirkt, wenn der Haarwuchs aus anderen Gründen nicht funktioniert, zum Beispiel wegen Schilddrüsenproblemen, Autoimmunerkrankungen, einer Chemotherapie oder durch die Einnahme bestimmter Medikamente.