Top oder Flop? Was für die Hellofresh-Aktie spricht – und was dagegen

(Foto: Hellofresh)
Die Frankfurter Börse bereitete Hellofresh am Donnerstag einen warmen Empfang: Die Aktie des Kochboxenanbieters schloss am ersten Börsentag mit 10,59 Euro, fast auf Höhe der Erstnotiz und deutlich über dem Ausgabepreis. Bei einer Bewertung von 1,7 Milliarden Euro sammelte das Startup rund 318 Millionen Euro für weiteres Wachstum ein. Der Start im zweiten Anlauf ist gelungen.
Für die Berliner ist das erst einmal eine gute Nachricht. Denn dass es auch anders laufen kann, lässt sich bei US-Konkurrent Blue Apron beobachten. Der wollte bei seinem IPO im Juni eine Bewertung von 3,2 Milliarden US-Dollar aufrufen, landete aber mit 1,9 Milliarden Dollar deutlich darunter. Seit der Erstnotiz kennt die Aktie nur eine Richtung: steil nach unten. Das Papier hat mittlerweile mehr als 60 Prozent an Wert verloren.
Der Börsengang von Hellofresh löste bei Experten auch deshalb Skepsis aus. Einige vermuten, dass dem deutschen Food-Startup ein ähnliches Schicksal drohen könnte. Was für diese Sicht spricht: die große Konkurrenz und ein kostenintensives Geschäftsmodell. Aber es gibt auch Aspekte, die für Hellofresh sprechen.
Das Geschäftsmodell
Der Mehrwert, den Hellofresh verspricht, ist: Zeit. Das Startup liefert Essensboxen mit Rezepten an seine Kunden. Für jedes Gericht gibt es die passenden Zutaten in der Menge, in der sie laut Anleitung benötigt werden. Das soll Zeit sparen, weil lästiges Abwiegen entfällt. Und es soll Lebensmittelverschwendung verhindern, weil im Idealfall keine übrig gebliebenen Zutaten verschimmeln und weggeworfen werden müssen. Für eine Box mit drei Gerichten verlangt Hellofresh 43 Euro, die Portionen reichen dann für zwei Personen. Die Boxen können bis zu fünf Gerichte enthalten und auch für vier Personen reichen.
Mit diesem Modell hat Hellofresh in den ersten sechs Monaten 2017 einen Umsatz von 435 Millionen Euro generiert. Das ist ein Plus von fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings verdient das Unternehmen noch nichts mit seiner Idee: Seit Gründung schreibt es Verluste. Vor Zinsen und Steuern lag das Minus in den ersten sechs Monaten bei 53 Millionen Euro, zwei Millionen Euro höher als noch im Vorjahreszeitraum.
Woher stammen die Kosten? Erst einmal frisst das Geschäft von Hellofresh ordentlich Geld: Die Zutaten müssen gekauft, gelagert, verpackt und verschickt werden, bevor das Unternehmen überhaupt einen Cent verdient. Allein in den ersten sechs Monaten gingen 163 Millionen Euro für das Fulfillment, zu deutsch die Abwicklung der Bestellungen, drauf. Zwischen fünf und 15 Millionen Euro investierte das Unternehmen im vergangenen Jahr zudem in Fulfillment-Center, also eigene Lager.

Dominik Richter ist Gründer und Geschäftsführer von Hellofresh. (Foto: Hellofresh)
„Wir brauchten einfach Platz, weil wir an unsere Kapazitätsgrenzen gekommen sind“, erklärte Hellofresh-Chef Dominik Richter vor einem Jahr im Gespräch mit t3n.de. In den bestehenden Strukturen habe das Unternehmen nicht weiter skalieren können. Das macht das Geschäftsmodell teurer als einen Marktplatz wie Delivery Hero oder Lieferando: Hellofresh stellt nicht nur die Plattform bereit, sondern muss sich um die gesamte Lieferkette kümmern. Immerhin: Mit der eigenen Infrastruktur entfällt zumindest teilweise die Abstimmung mit Partnern – Hellofresh hat wichtige Schritte der Lieferkette selbst in der Hand.
Damit das Modell skaliert, muss das Unternehmen eine kritische Masse an Kunden überzeugen. Nur dann verringern sich die Kosten pro ausgelieferter Mahlzeit. Dieser Herausforderung begegnet fast jedes Unternehmen im Handel. Allerdings muss Hellofresh die Kunden von einem neuen Geschäftsmodell erst überzeugen. Bisher versucht es das Unternehmen mit Werbung und Gutscheinen. Wie teuer das ist, lässt sich im Börsenprospekt nachlesen: In den ersten sechs Monaten steckten die Berliner 123 Millionen Euro in das Marketing – ein Plus von etwa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Nur bringt das auch Kunden? Auf den ersten Blick ja: 2014 wies Hellofresh noch 76.000 aktive Nutzer auf, 2017 sind es schon 1,3 Millionen. Allerdings ist die Definition der aktiven Kunden recht breit gefasst. Darunter fallen alle, die in den vergangenen drei Monaten eine Box bestellt haben – egal, ob umsonst, mit Gutschein oder zum vollen Preis. Wie viele dieser Kunden wirklich Geld hinblättern, bleibt also offen. Das E-Commerce-Portal Kassenzone drückt es so aus: „Das ist gelinde gesagt eine sehr traurige Darstellung, weil man so leider nicht herausfinden kann, wie viele echte, aktive, zahlende Kunden Hellofresh nun hat.“
Was sich sagen lässt: Im internationalen Raum legen die Marketingkosten schneller zu als der Kundenstamm. Obwohl Hellofresh die Werbeausgaben 2016 um zehn Prozent auf 83 Millionen Euro anhob, konnte das Startup seine Nutzerzahlen in diesen Ländern nur um fünf Prozent steigern. Natürlich bedeutet ein bestimmter Prozentsatz mehr Marketing nicht einen bestimmten Prozentsatz mehr Kunden. Aber dafür, dass Hellofresh für das internationale Geschäft mehr Geld ausgibt als in den USA, kann das Unternehmen trotzdem nur noch wenige zusätzliche Nutzer überzeugen.
„Neukunden ersetzen maximal die Kunden, die gekündigt haben.“
Denn nur in den USA wächst der Kundenstamm noch deutlich. Ende 2015 verzeichnete das Unternehmen in den Vereinigten Staaten 218.000 Nutzer, 2016 waren es schon 432.000 – nahezu eine Verdopplung. Das geht auch mit den Marketingkosten einher, die sich im selben Zeitraum ebenfalls um rund 100 Prozent auf rund 73 Millionen Euro erhöhten. Aber Experten zweifeln, dass die Kurve immer so weiter steil nach oben zeigt. Die Kunden in den USA würden sich auf Dauer genauso verhalten wie in den anderen Ländern, sagt Startup-Kenner Sven Schmidt im Podcast der Online Marketing Rockstars: „Neukunden ersetzen maximal die Kunden, die gekündigt haben.“
Zumal das Geschäftsmodell von Hellofresh darauf setzt, dass die Leute gerne selbst gesund essen wollen. In Deutschland sprechen die Zahlen nur teilweise dafür. In einer Umfrage der Techniker Krankenkasse gaben 45 Prozent der Befragten an, dass Essen für sie vor allem gesund sein muss. Häufig fehle es aber an der Zeit für den Einkauf und die Zubereitung, so die Gesundheitspsychologin Annegret Flothow von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Genau in diesem Punkt kann Hellofresh Abhilfe leisten – mit gesunden Mahlzeiten und einfachen Rezepten.
Allerdings nimmt die Kochlust hierzulande laut des Ernährungsreports des Landwirtschaftsministeriums leicht ab: 2016 standen 39 Prozent der Befragten täglich am Herd, 2015 waren es noch 41 Prozent. „Es sind zwar nur kleine Veränderungen, aber sie unterstreichen einen Trend“, konstatieren die Macher. Es stellt sich also nicht nur die Frage, ob Hellofresh Kunden gewinnen kann – sondern auch, ob zumindest der deutsche Markt überhaupt wächst.
Die Konkurrenz
Man könnte sagen, dass die vielen Unternehmen, die in Deutschland Kochboxen anbieten, darauf hindeuten. Wo Wettbewerb ist, da ist schließlich auch ein Markt. Allerdings läuft es bei keinem der Konkurrenten wirklich gut. Kochzauber musste Insolvenz anmelden, einzig die Übernahme durch Lidl sicherte die Existenz. Das Startup hat laut Manager Magazin immer noch Probleme bei der Neukundengewinnung. Der genau wie Hellofresh von Rocket Internet finanzierte Konkurrent Marley Spoon strauchelt ebenfalls: Der Umsatz von 20 Millionen Euro lag 2016 niedriger als die Verluste von 24 Millionen Euro.
Auch das US-Vorbild Blue Apron kämpft mit Problemen. Die Ziele für das dritte Quartal hat das Unternehmen teilweise verfehlt, etwa 300 Mitarbeiter wurden entlassen. Hellofresh will sich das zwar zunutze machen und das Unternehmen im dritten oder vierten Quartal als Marktführer in den Vereinigten Staaten ablösen, wie Bloomberg berichtet. Allerdings sind nicht alle Probleme der US-Firma hausgemacht. Ihre Aktien haben vor allem an Wert verloren, seit Amazon den Lebensmittelkonzern Whole Foods übernommen hat.
Der größte Onlinehändler der Welt hat im Juli außerdem eine Handelsmarke angefordert, die den Slogan „We do the prep. You are the chef“ beinhaltete. In Seattle hat er die Kochboxen bereits getestet. Beim Patentamt hierzulande ließ sich der Konzern „Dinner for 2 in about 30 Minuten“ eintragen. Das spricht dafür, dass sich die Seattler für Kochboxen interessieren – auch in Deutschland. Durch die gute Infrastruktur dürfte es sehr schwer für Hellofresh werden, sich auf Dauer gegen das Unternehmen durchzusetzen. Dominik Richter reagiert auf die mögliche Konkurrenz gelassen: „Es braucht ganz andere Fähigkeiten, um einen Kochdienst zu betreiben, als sie Amazon bislang aufgebaut hat“, sagte er gegenüber über dem Manager Magazin.
Die Konkurrenz sollte man auch aus einem anderen Grund nicht überbewerten. Klar, Amazon ist ein starker Wettbewerber. Aber wenn es danach geht, dürfte sich kein neues E-Commerce-Unternehmen mehr gründen – schließlich konkurriert heute fast jeder Händler mit Amazon. Manche Kunden bestellen gerade deshalb gerne bei Unternehmen, die nicht Amazon heißen.
Die Aussichten
Dass Food-Startups an der Börse erfolgreich sein können, beweist Delivery Hero. Der Kurs hat sich seit Juni stetig nach oben entwickelt: Die Erstnotiz lag bei 26,90 Euro, derzeit kommt die Aktie auf einen Wert von 38,20 Euro (Stand: 3. November 2017). Die 40-Euro-Marke ist in Sicht. Trotz einiger Faktoren, die gegen das Papier sprechen, haben sich die Anleger von der Vision des Unternehmens überzeugen lassen.
Aber ein Lebensmittel-Startup ist nicht wie das andere. Für Hellofresh lässt sich aus dieser Entwicklung nur ableiten, dass die Anleger dem Thema nicht abgeneigt sind. Das Unternehmen wird sich vor allem an seinen eigenen Zahlen messen lassen müssen. Wie der Kurs von Investor Rocket Internet zeigt, wird es dabei sehr stark darauf ankommen, ob sich das Geschäftsmodell rechnet und ob Hellofresh seine Versprechen einlöst.
Ein wichtiges Ziel ist der Gewinn: Dominik Richter will in den kommenden 15 Monaten in die schwarzen Zahlen kommen. Wenn er das schafft, könnte das die Kritiker zumindest kurzfristig verstummen lassen. Denn Anleger stehen unter dem Strich bekanntlich auf ein dickes Plus.
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