Lieferando & Co.: Hubertus Heil will Ausbeutung bei Digitalplattformen verhindern
„Ich werde nicht zulassen, dass Digitalisierung in der Plattformökonomie mit Ausbeutung verwechselt wird“, sagte Heil. Betroffen sind neben Essenslieferanten zum Beispiel Fahrdienste und Haushaltsdienstleistungen, aber auch Plattformen für Textarbeit, Programmierung und kreative Tätigkeiten. Nach einer EU-Erhebung beziehen laut Ministerium 2,7 Millionen Menschen in Deutschland mindestens die Hälfte ihres Einkommens aus Plattformarbeit oder arbeiten mindestens zehn Stunden pro Woche auf diese Weise. Andere Studien kämen zu geringeren Zahlen.
„Plattformen streben nach Marktbeherrschung“
„Plattformen streben nach Marktbeherrschung“, sagte Heil. „Das erleben wir jetzt auch in der Pandemie.“ Bei den Essensbringdiensten zum Beispiel gebe es mittlerweile vor allem einen relevanten Anbieter. Vermehrt wurden zuletzt Klagen von Gastronomen über Abhängigkeit von der Bestellplattform Lieferando bekannt. Laut einem ARD-Bericht bemängeln Mitarbeiter zudem, dass dort die Gründung von Betriebsräten erschwert werde.
Ein Lieferando-Sprecher entgegnete, sein Unternehmen zeige, dass faire Löhne und Anstellungsverhältnisse in der Branche möglich seien. Alle Fahrer – rund 5.000 in Deutschland – seien regulär angestellt und versichert. Neben Sozialabgaben, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie bezahltem Urlaub zahle Lieferando allen Kurieren einen festen Stundenbasislohn von 10,50 Euro im deutschlandweiten Schnitt.
Heil sagte, Marktbeherrschung führe dazu, „dass Preise und Bedingungen gegenüber den Lieferanten und den Restaurants einseitig diktiert werden können“. Nötig sei ein Rahmen für fairen Wettbewerb. Soziale Marktwirtschaft solle es auch in der Plattformökonomie geben.
Das Arbeitsministerium schlägt unter anderem folgende Eckpunkte vor:
Sozialer Schutz: Soloselbstständige Plattformtätige sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Die Plattformbetreiber sollen dafür mitbezahlen. Auch Beiträge der Plattformen für die Krankenversicherung sollen geprüft werden. Etwa bei Lieferanten und Kurieren soll auch geprüft werden, ob Betreiber Beiträge der Unfallversicherung tragen müssen.
Beweislast für Selbstständigkeit: Wenn ein Plattformtätiger das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses angibt, soll der Betreiber bei Meinungsverschiedenheiten das Gegenteil beweisen müssen.
Organisation der Plattformtätigen: Das Ministerium will kollektivrechtliche Organisation für soloselbstständige Plattformtätige ermöglichen.
Weitere Regeln: Mindestkündigungsfristen sollen je nach Dauer der Tätigkeit eingeführt werden. Angestrebt werden auch eine Lohnfortzahlung bei Krankheit, Mutterschutz- und Urlaubsregeln sowie faire Vertragsbedingungen für Soloselbstständige.
„Digitale Plattformen machen das Leben leichter“, sagte Heil. „Neue Arbeitsmöglichkeiten entstehen.“ Aber Plattformbeschäftigte müssten die Möglichkeit haben, ihre Interessen wirksam zu vertreten und zum Beispiel Tarifverträge zu machen. Das Thema werde auch auf dem Digitalgipfel der Regierung am Montag und Dienstag behandelt. „Plattformen dürfen nicht mit den niedrigsten Löhnen und dem schlechtesten Schutz miteinander konkurrieren.“ Eine Novelle des Wettbewerbsrechts sei derzeit bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in Planung.
Die IG Metall begrüßte die Eckpunkte. „Im Internet ist ein Parallelarbeitsmarkt entstanden, in dem Plattformen viele Tarif- und Sozialstandards unterlaufen können“, sagt Vizechefin Christiane Benner. Die Gewerkschaft wies auf eine Verhandlung über den fristlos gekündigten Account eines Crowdworkers vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt an diesem Dienstag hin: „Für viele Plattformarbeitende hat die Kündigung ihres Benutzerkontos die gleiche Tragweite wie die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, aber sie haben bislang keinerlei Schutz gegen dieses Risiko.“
Die Linke-Expertin für moderne Arbeitswelt, Jessica Tatti, forderte: „Anstatt Pressemitteilungen zu schreiben, soll der Minister einen Gesetzentwurf vorlegen.“ Plattformbeschäftigte bräuchten Sicherheit. dpa
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