Ikea ist auf der Suche nach seiner Zukunft – zwischen Ignoranz und Erkenntnis

Ikea-Chef Brodin lässt in einem Interview einen Blick auf Ikeas Zukunft zu. (Bild: Shutterstock / Tooykrub)
Die Welt verändert sich und auch Ikea muss sich verändern. Und Ikea-Chef Brodin will, das wird mit jedem Interview deutlicher, den Konzern verändern. Wesentliches ist dem Ikea-Chef klar geworden. Ob die Veränderungen schnell genug umgesetzt werden, könnte entscheidend für die weitere Entwicklung, wenn nicht gar den weiteren Fortbestand des Unternehmens werden. Und es könnte eng werden für Ikea, denn der Chef ist zwischen Erkenntnis und Ignoranz gefangen.
Wie Ikea die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung sieht
Brodin betont in dem NZZ-Interview vor allem die weltweit voranschreitende Urbanisierung. Und das zu Recht. Die Urbanisierung schreitet weltweit voran, in Deutschland stagniert sie zwar seit gut acht Jahren bei 77,2 beziehungsweise im letzten Jahr bei 77,3 Prozent, in Ländern wie Belgien liegt sie laut Statista-Zahlen aber jetzt schon bei 97,93 Prozent. Daraus leitet Brodin Bedarf für Möbel-Know-how ab, über das Ikea verfüge. Günstige Möbel und Möbel speziell für begrenzte Wohnflächen seien eine Ikea-Spezialität.
Die Entscheidung, den Onlinehandel zu intensivieren, unterstreicht Brodin mit der wichtigen Erkenntnis, dass der Kunde heute entscheidet, wie er mit dem Unternehmen in Kontakt treten will. Der Ikea-Chef war weltweit in 34 Ikea-Standorten unterwegs und berichtet, dass alle Kunden ihm erzählen, dass sie keine Zeit mehr für lange Shopping-Trips haben. Bestellt wird am Abend, online, auf der Couch.
Der Anteil der Familien, die noch am Wochenende zum Zeitvertreib als Familienausflug in ein Ikea-Möbelhaus fahren, wird immer geringer: Diese Erkenntnis ist also bei Ikea angekommen.
Innenstadt-Lagen
Die an anderer Stelle angekündigte Abkehr vom großen Möbelhaus zeigt schon, dass die Einsicht zu mutigen Maßnahmen führt. Ikea will jetzt vor allem auf kleine Innenstadt-Filialen setzen. Brodin berichtet beispielsweise von digitalen Technologien, die mithilfe von kleinen Modellen auf Beratungstischen die Ansicht des gewünschten Möbels auf eine Leinwand projizieren.
In den kleinen Filialen soll der Fokus auf digitalen Angeboten und der Auslieferung von Produkten liegen. Womit Brodin vermutlich eher meint, dass diese Filialen als Kontaktpunkt für Onlinekunden dienen sollen. Denn kurz darauf verweist er stolz auf die Ikea-Immobilien, um die sie die Konkurrenz beneiden würde.
Logistikzentrum statt Einkaufszentrum

Vom Möbelhaus zum Logistikzentrum: Ikea im Wandel. (Foto: IKEA Deutschland/André Grohe)
Bei den Immobilien handelt es sich um die Ikea-Möbelhäuser, die meist auf der grünen Wiese mit oftmals guter Verkehrsanbindung liegen, und die jetzt langsam vom Möbelhaus zu Logistikzentren umfunktioniert werden könnten.
In Budapest, so Brodin, liefert Ikea bereits in maximal zwei Tagen Bestellungen an Kunden aus. Ein Konzept, das Brodin kopieren will, am liebsten mit Elektro-Fahrzeugen, die Ikea notfalls selbst zur Auslieferung anschaffen will. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein Möbelhaus nicht auf einen Schlag in ein Logistkzentrum umgewandelt.
Erlebnis-Center statt Möbel-Markt

Neue Produkte und neue Konzepte sollen Erlebnisse verschaffen. Prototyp des Ikea Symfonisk-WLAN-Speaker. (Foto: Ikea)
Brodin scheint keine schnelle Umfunktionierung zu planen, sondern eher eine schrittweise Transformation. Denn obwohl keine weiteren großen Möbelhäuser auf der grünen Wiese mehr entstehen sollen, sucht der Ikea-Chef nach neuen Anreizen für die Häuser. Er spricht davon, dass die Menschen bei Ikea auch etwas erleben wollen. Was im Prinzip nichts anderes als ein altes Ikea-Dogma ist, das zum Kinderspielparadies Småland und zur Gastronomie geführt hat. Diesmal sollen digitale Spielzeuge, pardon, neue Erlebniskonzepte helfen. In einer Schweizer Filiale habe Ikea eine Ausstellung über smarte und nachhaltige Wohnungen eröffnet, die sehr gut angenommen worden sei, so der Ikea-Chef.

Der klassische Einkauf im Möbelhaus auf der grünen Wiese wird sich verändern. (Foto: Ikea Deutschland / André Grohe)
Lehren aus der unbegrenzten Rücknahme: Möbel zurückkaufen und wiederverwerten

Kundin beim Umtausch in einem Ikea-Markt. (Foto: Ikea Deutschland / André Grohe)
Die nette Nachhaltigkeitsfloskel darf natürlich bei einen Blick in Ikeas Zukunft nicht fehlen. Tatsächlich hat Ikeas Möbel-Bauweise früher dazu geführt, dass ein geringerer Holzbedarf bei der Fertigung entsteht, was auch Engpässe löste und Kosten einsparte. Davon abgesehen rodet Ikea immer noch zuletzt 14,5 Millionen Kubikmeter Holz im Jahr.
Diesmal will, natürlich aus Gründen der Nachhaltigkeit, Ikea Möbel wieder ankaufen und Möbel vermieten. Brodin begründet das mit einer gesellschaftlichen Abkehr vom Massenkonsum und einer Zirkulationswirtschaft. Ersteres ist Blödsinn, zweiteres zutreffend. In mancherlei Hinsicht definiert sich, zum Beispiel bei digitalen Medien, das Verständnis von Besitztum neu. Eine Abkehr vom Konsum ist das jedoch nicht, sondern nur eine Umdefinierung des Konsums.
Und die Erkenntnis des Ikea-Chefs stammt auch nicht aus einer meditativen, asketischen Wüstensitzung über Nachhaltigkeit. Ikea musste feststellen, dass es eine große Menge an Menschen gab, die das großzügig eingeführte Rücknahmeversprechen mit ganzen Wohnungseinrichtungen ausnutzten. Deshalb wurde dieses Versprechen auch wieder abgeschafft. Daher dürfte die Idee stammen, Möbel zurückzukaufen oder zu vermieten, was in gewissem Sinne auch einer Zirkulationswirtschaft entspricht. Wer Ikea-Möbel kauft, plant nicht, diese Möbel weiterzuvererben. Das weiß der Konzern und das entspricht auch dem Ikea-Konzept, der Möbelrückkauf macht nur aus der Not eine Tugend. Diese Rückgabe-Kunden kaufen schneller neue Möbel. Jetzt müsste Ikea nur noch so schnell werden wie seine Kunden.
Langsamkeit ist keine Tugend
Doch von Geschwindigkeit scheint Ikea weit entfernt. Der gefährlichste Satz fällt am Schluss des Interviews: „Die digitale Transformation ist schwierig, und sie kann sehr teuer werden, wenn man nicht aufpasst.“ Es geht exemplarisch um Ikeas absurde Preispolitik bei den Liefergebühren für Onlinebestellungen, die immer teurer werden, je mehr der Kunde ausgibt. Wer für 1.200 Euro Möbel bei Ikea bestellt, zahlt stattliche 175 Euro Liefergebühren. In Worten: einhundertfünfundsiebzig Euro. Von Einsicht, Reue oder Erkenntnis ist an diesem existenziellen Punkt bei Brodin keinerlei Einsicht zu erwarten. So sagt der Ikea-Chef gegenüber der NZZ: „Wenn wir aber von Anfang an tiefe Gebühren verlangen, kostet uns das sehr viel, weil die Mengen ja noch klein sind.“ Brodin will nicht investieren und die Lieferung am Anfang nicht quersubventionieren, bis Mengen erreicht sind, die eine Rentabilität ermöglichen. Er tritt also bei der digitalen Transformation lieber auf die Bremse, um Kosten zu sparen, statt Gas zu geben.
Brodin hat den Charakter der digitalen Transformation nicht verstanden, die vor allem durch Geschwindigkeit ausgezeichnet ist. Die durch Investitionsmüdigkeit ausbleibenden Skalierungseffekte können Ikea schwer beschädigen und den Transformationsprozess behindern oder aufhalten. Brodin zitiert tugendhaft das völlig überholte Dogma des Ikea-Gründers Ingvar Kamprad: „Wir müssen das Geld verdienen, bevor wir es ausgeben.“ Diese „Tugend“ findet sich in der blödsinnigen Lieferkostenstruktur wieder, die Umsätze und Skalierung ausbremst, und ist anscheinend schwer aus der DNA und dem Denken des Unternehmens zu entfernen. Dabei wäre Investition in die Transformationen bei Ikea nicht nur dringend notwendig, sondern auch möglich.
Abgesehen davon, dass diese Denkweise nicht mehr in die digitale Ökonomie passt, ist sie faktisch auch unnötig. Die „gemeinnützige“ Ingka-Stiftung, die ihr Vermögen mit 38 Milliarden ausweist, ist seit den frühen 80er-Jahren der Kapitalsammeltopf von Ikea. Stiftungszweck ist die Investition in Ikea und die Unterstützung von gemeinnützigen Projekten. Letzteres geschieht, in Relation zum Stiftungskapital betrachtet, in verschwindend geringer Höhe mit beispielsweise zweistelligen Millionenbeträgen. Das Geld für die Transformation hat Ikea längst verdient – Zeit, es auszugeben.
Wenn ein Journalist zum Wort „Blödsinn“ greift, sollte er sich vorher ausreichend Gedanken gemacht haben/ausgiebig recherchiert haben. Den Eindruck habe ich hier nicht, denn den Trend weg vom Massenkonsum gibt es (das kenne ich nicht nur von „Trendkarten“ sondern auch von meinen erwachsenen Kindern).
Das hat nichts mit dem besserwisserischen Aufklärungsversuch einer „Neudefinition für das Verständnis von Besitztum“ zu tun. Der Trend geht nicht gegen den Konsum, sondern gegen den Wortteil „Massen“!
@Jochen G. Fuchs:
Die Formulierungen „Ikea rodet …“ und „blödsinnige Lieferkostenstruktur“ sind so wenig neutral gehalten, dass ich schnell eine persönliche Abneigung für Ikea, Herrn Brodin und die ‚gemeinnützige‘ Stiftung empfinde. Am Ende gibt hier ein ‚handelserfahrener Wirtschaftsjournalist‘ ungefragt Ratschläge an einen weltweit agierenden Konzernchef … ohne Kenntnis der konzerninternen Strömungen.
Hallo Harald,
nach meinem Verständnis geht es Brodin sehr wohl darum, dass es eine Abkehr vom Konsum gibt. Schließlich nutzt er diese Thematik um über die Vermietung von Möbeln zu sprechen. Wie sich das jetzt auf „Massen“ statt auf „Konsum“ beziehen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Wir sprechen hier ja über Ikea, einen Massenproduzenten von Massenprodukten. Nicht über handgefertigte Schreinermöbel? Und Möbel, die alle paar Jahre ausgetauscht werden, das ist Massenkonsum. Egal ob gemietet oder gekauft.
Hier ist nichts neutral, das vorliegende Stück ist eine Analyse, die drückt meine eigene Meinung aus. Liegt in der Natur des Stückes. Die Lieferkostenstruktur ist schlichtweg blödsinnig, das hat nichts mit Abneigungen oder Zuneigungen zu tun. Die Menge des geschlagenen Holzes ist ein Fakt und die Stiftung hat in Relation zum Stiftungskapital bisher nicht viel an gemeinnütziger Arbeit zur Gesellschaft beigetragen, auch das ist ein Fakt. Vergleichen Sie das doch mal mit Bill Gates Stiftung. Einem Ikea-Hotdog bin ich nicht abgeneigt, auch Billy erscheint mir nicht hassenswert, es ändert nichts an der Existenz von kritikwürdigen Punkten.
Ich gebe ständig ungefragt Ratschläge, das ist meine Aufgabe als Journalist. Die Beurteilung, Kommentierung und Analyse des Wirtschaftsgeschehens gehört zum Tagesgeschäft. Dabei unterscheide ich nicht zwischen weltweit agierenden Konzernchefs und regionalen Ladeninhabern.
Die konzerninternen Strömungen, Kamprads Erben, machen Brodin die Arbeit sicher nicht leichter. Das gehört aber zum Alltag eines Konzernchefs und ich als Außenstehender erlaube mir den Luxus, das zu ignorieren. Es ist für die Betrachtung des Sachverhalts nicht relevant. Fehler bleibt Fehler, egal welche Rechtfertigung dahintersteht.
Viele Grüße
Jochen