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Immersion in Games: Was Entwickler wirklich damit meinen

In der Welt der Videospiele ist es ein begehrter Effekt: Immersion. Das Gefühl, mitten im Spiel zu sein, in eine andere Welt abzutauchen. Aber wie kommen Spieler:innen in diesen Flow – und wie können Entwickler:innen ihn erzeugen?

Von Dom Schott
8 Min. Lesezeit
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Immersion zieht die Spieler:innen direkt in die Welt hinein. Es geht um Optik, Klang, Atmosphäre und manchmal auch um sowas wie Authentizität. Death Trash schafft es auch mit einfacheren ­Mitteln, diesen Effekt herzustellen. (Abbildung: Crafting Legends)

Plötzlich stehe ich im Treppenhaus meiner Kindheit: Travertin­stein mit seiner typisch feinen Marmorierung blitzt mir ent­gegen, eingehüllt in trostlos weißen Wandverputz und gekrönt von einem kleinen Kippfenster, das mühsam Licht von draußen einfängt.

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Kopfschütteln. Natürlich stehe ich nicht wirklich im Treppenhaus meiner Kindheit. Aber dem Spiel auf meinem Bildschirm ist es gelungen, mir für einen kurzen Augenblick das Gefühl zu geben, nicht auf einer Hamburger Couch zu sitzen, sondern wieder im süddeutschen Elternhaus zu stehen.

Dieser Effekt hat einen Namen: Immersion, wortwörtlich ein „Eintauchen“ in eine ­digitale Welt, ein begehrtes Mittel in Videospielen. Wie aber lässt sich dieses Gefühl herstellen? Wie entsteht Immersion, was zerstört sie?

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Die Treppenhausszene stammt aus Industria, dem Debüt-Titel des deutschen Entwicklers David Jungnickel. Der im letzten Jahr erschienene Shooter erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die kurz vor dem Fall der Berliner Mauer durch einen Unfall in einem Parallel­universum in ferner Zukunft landet.

Der Spieleinstieg, ­irgendwo im Berliner Osten des Jahres 1989, ist fest in unserer Realität verankert – insbesondere das Treppenhaus, das absichtlich einen Wiedererkennungswert für deutsche Spieler:innen bieten soll: „Für mich war ganz am Anfang der Entwicklung klar: Wir brauchen so ein typisches ostdeutsches Treppenhaus.“ Das sagt Jungnickel, der eigentlich in Westberlin aufgewachsen ist und sich deshalb für sein Treppenhaus erst einmal tief in die Recherche stürzen musste.

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„Da gibt es zum Beispiel das DDR Museum in Berlin. Ich war selbst zwar nicht da, aber über Google konnte ich viele Fotos ­finden, gerade auch zur Wohnblockarchitektur. Und dort fand ich auch viele Detail­aufnahmen von Treppenhäusern aus Hohenschönhausen oder Lichtenberg.“ Die Arbeit hat sich gelohnt: Auf Twitter berichten Spieler:innen, wie sie das digitale Treppenhaus im Spiel als vertraut und bekannt wahrgenommen haben – und dank dieser visuellen Ähnlichkeit noch tiefer in das Spiel ein­tauchen konnten.

„Immersion ist erst einmal ein unspezifischer Oberbegriff. Er beschreibt eine Distanzaufhebung zwischen Nutzer:innen und ­einem Medium.“ Diese Einordnung stammt von Felix Zimmermann, ­Referent der Bundeszentrale für politische Bildung und studierter Public ­Historian. Zimmermann forschte jahrelang zum Thema Immersion – und wie digitale Spiele es schaffen, dass Spieler:innen sich wortwörtlich in ihnen verlieren können.

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„Verschiedene Medien nutzen verschiedene Techniken, um Distanz zwischen den Personen, die die Medien nutzen und dem Medium selbst aufzuheben. Bei Games ist der Begriff besonders verbreitet.“

Tatsächlich ist die Idee der Immersion fest in der Tradition der Spieleentwicklung verankert: Der Wunsch, sich ganz in einer digitalen Welt zu verlieren und eintauchen zu können, bestimmt seit den kommerziellen Anfangstagen des Mediums in den 1980er-Jahren die Art und Weise, wie Menschen über Spiele sprechen.

Ein Spiel, dem es gelingt, seine Nutzer:innen vergessen zu lassen, dass sie vor einem Bildschirm sitzen, gilt seit jeher als gelungen. Und auch Zimmermann kennt diesen Effekt aus persönlicher Erfahrung, von der er schmunzelnd erzählt: „Wenn ich mich bei Red Dead Redemption 2 tief im Wald als Arthur Morgan in mein Zelt setze, es draußen regnet, mein Pferd daneben an einem Baum angeleint ist und ich mir einen virtuellen Kaffee auf dem Lagerfeuer koche, dann bin ich ‚drin‘.“

Zimmermann kennt aber auch noch eine andere Art der ­Immersion, die eng mit dem Begriff „Flow“ verknüpft ist, also dem idealen Verhältnis aus Herausforderung und Belohnung in einem Spiel. Das tritt häufiger bei Spielen auf, die schnelle ­Reflexe oder Geschick am Controller verlangen – wie beispielsweise ­Rocket League, bei dem Spieler:innen mit Autos Fußball spielen.

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Auch hier vergessen Fans alles um sich herum – nicht, weil sie sich wie an einen anderen Ort transportiert fühlen, sondern weil sie von dem Geschehen auf dem Bildschirm komplett gefordert und eingenommen werden.

Trotz aller Ambitionen weiß das kleine Team von 5AM Games: Immersion ist immer nur ein Angebot, das Spieler:innen annehmen können – aber nicht müssen. (Abbildung: 5AM Games)

Nicht nur eine Frage der Perspektive

Die Frage, was Immersion eigentlich genau bedeutet, ist also keine leichte. Die Frage aber, wie Immersion überhaupt in den Köpfen der Spieler:innen entstehen kann, ist noch schwerer zu beantworten. Zimmermann beginnt bei den Grundlagen: Der Pers­pektive, durch die Nutzer:innen eine Spielwelt sehen. Hier gilt die Ego-Perspektive als einfachster Weg, Immersion zu ­fördern.

Zimmermann betont jedoch, dass nicht nur die Perspektive allein über das Potenzial eines Spiels bestimmt, immersiv zu sein: „In der Forschung ist die Position relativ verbreitet, dass die Ego-Perspektive mit einer stärkeren Immersion assoziiert wird. Allerdings gilt das nur für eine spezifische Art der Immersion, nämlich die räumliche. Aber es gibt ja auch noch andere. Narrative Immersion in einem Point-and- Click-Adventure zum Beispiel.“

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Laut Zimmermann ist es eben nicht so, dass die Ego-­Perspektive für das immersive Erleben besonders notwendig ist, sondern dass das im Grunde auch jede andere Perspektive leisten kann: „Nur müssen dann womöglich andere Techniken eingesetzt werden, um die fehlende räumliche Immersion durch die Perspektive auszugleichen.“

Diese Games versetzen euch in ungewöhnliche Rollen Quelle: Gamious

Wie also gleichen die Entwicklerteams, die für ihre Spiele absichtlich nicht die Ego-Perspektive gewählt haben, diesen Nachteil aus? Die Perspektive, mit der Stephan Hövelbrinks arbeitet, ist in gewisser Weise das genaue Gegenteil der Ego-Sicht. Sein Spiel Death Trash ist ein isometrisches Rollenspiel, das heißt: Spieler:innen blicken schräg von oben auf die postapokalyptische Spielwelt, die wegen des Pixel-­Looks stilisiert und entfremdet wirkt.

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Kein Vergleich zum quasi realistischen Treppenhaus in Ostberlin. Dem Entwickler, der seit mehr als fünf Jahren überwiegend allein an seinem Spiel arbeitet, steht ein anderes Werkzeug zur Verfügung: Atmosphäre. Das Gefühl, das alles sinnvoll zusammenpasst.

„Die Spielwelt muss sich wie eine eigenständige Welt an­fühlen. Sie muss konsistent und auf ihre eigene Art glaubwürdig sein. Alles muss organisch zusammenhängen und die Spieler:innen dazu motivieren, diese Welt weiter erkunden zu wollen.“

Um diesen Effekt zu erzielen, muss Hövelbrinks gleich mehrere Dinge in seinem Spiel aufeinander abstimmen: Angefangen bei der visuellen Präsentation seiner Welt bis hin zum Verhalten der zahlreichen nichtspielbaren Charaktere in Death Trash: ­„Diese ­Figuren sollen eigenständig und glaubwürdig agieren und auf das Verhalten der Spieler:innen zu einem gewissen Maß eingehen können. Sie dürfen nicht steif, nicht zu künstlich wirken, sondern das Gefühl vermitteln, dass sie tatsächlich in dieser Welt leben.“

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In Death Trash knallen Baselballschläger wuchtig auf ihr Ziel, ­Pistolen entleeren ihr Magazin ratternd – und Türen öffnen sich knarrend. Jede Aktion, die Spieler:innen in dieser postapoka­lyptischen Welt ausführen, wird von einer realistischen Klangkulisse begleitet. Diese Geräusche geben dem zweidimensionalen Geschehen auf dem Bildschirm Tiefe, „Stofflichkeit“, wie es in der Kunstgeschichte heißen würde.

„Ich kann eine tolle Sounddesign-Umgebung entwerfen, aber wenn der Spieler ohne Ton spielt, gibt es keine Immersion.“

Und diese Stofflichkeit helfe den Death-Trash-Fans, ganz und gar in das Geschehen auf dem Monitor einzutauchen, das habe ­Hövelbrinks schon sehr früh in der Entwicklung seines Spiels feststellen können: „Nach ein paar Monaten Entwicklungszeit hatte ich einen ersten Prototyp mit groben, ersten Artworks – und einem Soundtrack. Das reichte für viele Leute schon, hatte eine ‚atmosphärische Präsenz‘. In den Jahren danach ging es eigentlich nur darum, da auch wirklich ein Spiel reinzupacken.“

Wie wichtig eine überzeugende Soundkulisse für die ­Immersion ist, zeigt der Blick auf ein anderes Spiel: Letters – A written Adventure erzählt die Geschichte eines Mädchens, das Ende der 1990er-Jahre zu einem Teenager und schließlich einer jungen Frau heranwächst. ­

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Diese Geschichte begleiten Spieler:innen nicht in ausufernden Zwischen­sequenzen oder spektakulären Abenteuern – sondern in Briefen, Texten und Nachrichten, die die „Heldin“ des Spiels im Laufe der Jahre an verschiedene Menschen in ihrem Leben schreibt.

Der Kniff: Um die Geschichten voranzutreiben, müssen Spieler:innen eine Miniaturversion der Hauptfigur durch die Brief­zeilen navigieren, mit ihr über Großbuchstaben und Absätze springen oder Wort­rätsel mit der Neukombination von Buch­staben lösen.

„Oh ja, der Sound ist ein wichtiges Werkzeug in unserer Box.“ Das betont Martina Hotz, eine der Gründerinnen von 5AM ­Games, dem Schweizer Studio hinter Letters. Ihr Team und sie haben sich während der Entwicklung viele Gedanken gemacht, wie sie Spieler:innen mit Hilfe von Sound und Klangkulisse ein Gefühl der Immersion schenken können: „Wir benutzen zum Beispiel die Technik des Pannings: Wenn ein Charakter rechts von deiner Spielfigur steht, dann kommen alle Geräusche dieses Charakters auch von rechts.“

„Die Spielwelt muss sich wie eine eigenständige Welt anfühlen.“

Neben dieser Technik, die einen realistischen Raumklang erzeugen soll, arbeitet das kleine Team intensiv mit Soundkulissen, die bekannte, reale Geräusche möglichst detailgetreu einfangen und wiedergeben sollen: „Gleich zu Anfang hören wir im Kinderzimmer der Protagonistin, wie sie im Hintergrund spielt, während vor dem Fenster Autos vorbeifahren. Spieler:innen können sie beim Schreiben hören oder auch wenn sie kurz nachdenken muss und dabei ein leises Geräusch macht.“

Auch über die Musik versucht das kleine Entwicklerteam, die Menschen vor den Bildschirmen in die Geschichte hineinzu­ziehen, wie Hotz weiter erklärt: „Wir benutzen die Musik im Spiel, um die emotionale Welt der Protagonistin widerzuspiegeln. ­Musik kann sehr gut Emotionen übertragen.“

Doch so sehr sich ein Entwicklerteam auch abrackern mag, um einen Effekt des Eintauchens herzustellen – schlussendlich ist ­Immersion nur ein Angebot, das Spieler:innen aber nicht immer annehmen. Das weiß auch Hotz: „Ich kann den Leuten fünf tolle Entscheidungsmöglichkeiten anbieten, aber wenn sie nur zufällig immer auf die erste klicken, ist das keine Immersion. Ich kann eine tolle Sounddesign-­Umgebung entwerfen, aber wenn der Spieler ohne Ton spielt, gibt es keine Immersion. Ich kann eine aufwühlende, emotio­nale Geschichte bieten, aber wenn der Spieler nebenbei noch am Handy was macht, ist das keine­ Immersion.“

Der Haken an der Immersion

Immersion gilt als positiver Effekt beim Spielen: Der magische ­Moment des Eintauchens, wenn die Realität vergessen und eine ganz neue Welt betreten wird. Auch für andere Branchen ist das ein begehrter Effekt; Konsument:innen Zeit und Raum vergessen lassen, ihnen suggerieren, an einem anderen, vielleicht besseren Ort zu sein. Die Anwendungsmöglichkeiten sind schier endlos. Und doch birgt das Versprechen der Immersion auch ein ganz besonderes Risiko.

Felix Zimmermann erklärt das Problem, zu dem er selbst geforscht hat: „Es herrscht gerade auch in Hinblick auf die virtuelle Realität vielfach eine technooptimistische Einstellung, dass mit fortschreitender Technologie die Immersion immer stärker wird – und dass das etwas Gutes ist. Gerade aber bei der Wissens­vermittlung muss man sich grundlegend fragen, ob starke immersive Prozesse nicht einer kritischen Reflexion im Weg stehen. Diese kritische Distanz ist so wichtig, wenn man sich beispielsweise mit Geschichte auseinandersetzen will.“

So könne es laut Zimmermann passieren, dass Spiele mit historischen Schauplätzen derart immersiv sind, dass sie von Spieler:innen als „real und wahr“ akzeptiert werden. Was dann im Spiel erlebt wird, könne unbewusst als echtes Wissen über die Geschichte abgespeichert werden.

Noch gebe es laut Zimmermann keine verlässlichen Studien, die dieses Phänomen belegen, aber auf das mögliche Problem will er dennoch bereits hinweisen: „Wird das Gespielte von den Menschen für bare Münze genommen, weil es so überzeugend ist? Bedeutet das, dass die Spieler:innen in die Welt gehen und sagen: So muss es wohl gewesen sein, denn es hat sich für mich echt angefühlt?“

Es wird immer wichtiger, dass Spieler:innen eine kritische Grundhaltung einnehmen, damit sie auch in Zukunft noch unterscheiden können, was Realität ist – und was eben nur ein Spiel. Denn ein hoher Grad der Immersion kann selbst die fantasie­vollste digitale Welt als eine reizvolle Alter­native zur Wirklichkeit darstellen.

Doch auch mit dem nötigen Abstand entstehen trotzdem kurze Möglichkeiten, sich in anderen Welten wiederzufinden. Und sei es auch nur in einem Treppen­haus aus der Kindheit.

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