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Indien plant eines der größten Gesichtserkennungsprogramme der Welt

Deutlich mehr Sicherheit oder ein gefährlicher Schritt in Richtung eines technologisch hochaufgerüsteten Überwachungsstaats: Während Deutschland vorsichtig ist, hat Indien große Pläne in Sachen Gesichtserkennung. Datenschützer schlagen Alarm.

4 Min. Lesezeit
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(Foto: Shutterstock)

Gesichtserkennung in einem Café: Käme man in Deutschland auf diese Idee, würden wohl viele Kunden wegbleiben. Aber in Indien finden das etliche Besucher cool und trendy. Zumindest sagt das die junge Verkäuferin Surya Gupta. Sie arbeitet in der Hauptstadt Neu Delhi für die Cafékette Chaayos, die seit kurzem mit der Technologie experimentiert. Willigt der Kunde ein, schießt eine Kamera beim Kauf ein Foto von ihm, erkennt ihn bei kommenden Besuchen wieder und schreibt automatisch Treuepunkte gut. Der Gesichtserkennungstechnologie trauen in Indien deutlich mehr Menschen als im mehr auf Datenschutz bedachten Deutschland. Das zeigen auch Umfragen.

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Und nun plant die indische Regierung den Aufbau eines der größten Gesichtserkennungssysteme der Welt. Es soll zentral Bilddatenbanken von Behörden zusammenführen und da gibt es viele Daten. Denn Indien ist mit 1,3 Milliarden Einwohnern das zweitbevölkerungsreichste Land. Auch Fotos aus Zeitungen und Fahndungsbilder sollen ins System integriert werden. Und es soll Aufnahmen von Überwachungskameras mit den Datenbanken abgleichen und Alarm schlagen, wenn es gesuchte Menschen findet. Die Software soll helfen, Verbrecher, verschwundene Personen und Leichen zu identifizieren und Verbrechen verhindern. So zumindest steht es in einem Ausschreibungsdokument. Firmen, die das Projekt umsetzen wollen, können bis Ende Januar ihre Offerten einreichen. Doch die Umsetzung wurde schon mehrfach verzögert. Der für das Projekt Verantwortliche Prasun Gupta von der zuständigen Behörde im Innenministerium erklärt, man sei sich mehrerer sensibler Fragen bewusst.

So warnen indische Datenschutzaktivisten und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch, dass das geplante System die größte Demokratie der Welt zu einem Überwachungsstaat machen könnte. „Es ist ein System, das an öffentlichen Plätzen massenweise Daten sammelt ohne einen spezifischen Verdacht“, sagt der Chef der indischen Organisation Internet Freedom Foundation, Apar Gupta. Es sei unklar, wie die Daten anschließend gespeichert und genutzt würden. Außerdem gibt es in Indien kein robustes Datenschutzgesetz und keinen rechtlichen Rahmen für das System, was das Recht auf Privatsphäre beeinträchtige, sagt Amnesty-International-Sprecherin Nazia Erum. Kürzlich erst nutzten indische Polizisten Gesichtserkennungstechnologie bei Protesten und Kritiker fürchteten, dass sie damit Profile von Demonstranten erstellten.

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Datenschutzaktivist Gupta glaubt zudem, dass Indiens bereits sehr große biometrische Datenbank ins geplante System integriert werden könnte. Dort sind bei etlichen Bürgern neben Fingerabdrücken auch viele weitere Daten wie Steuerinformationen und Onlinekäufe verknüpft. Eine Integration bestreitet die zuständige Behörde zwar, überzeugt damit aber nicht alle Kritiker – auch weil die Regierung regelmäßig das Internet abstellt, um Proteste zu verhindern.

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Technologie noch zu anfällig für Fehler?

Andere argumentieren, dass Gesichtserkennungstechnologie teils noch recht fehleranfällig ist. Zwar arbeiten die Algorithmen bei perfekten Konditionen mit gutem Licht und Menschen, die frontal vor der Kamera stehen, sehr genau, wie Informatikprofessor Markus Dürmuth von der Universität Bochum sagt. Das ist beispielsweise bei den Gesichtsscannern, durch die wir am Flughafen laufen, um schneller durch die Grenzkontrollen zu kommen, der Fall.

Aber bei einem System wie in Indien, das an öffentlichen Orten Bildmaterial sammelt, wo Menschen nicht bewusst gefilmt werden wollen und sie gar markante Brillen oder viel Make-up tragen, wird es für die Software schwieriger, sagt Dürmuth. Dann markierten Algorithmen viele Menschen als verdächtig, die gar nicht gesucht würden und fänden gleichzeitig etliche echte Gesuchte nicht. Das sah man etwa bei Tests der Polizei am Berliner Bahnhof Südkreuz mit freiwilligen Testpersonen und in London mit gesuchten Verdächtigen. Außerdem haben Algorithmen mehr Mühe Frauen und dunkelhäutige Menschen richtig zu erkennen als weiße Männer, wie Untersuchungen zeigen.

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Doch der technologische Fortschritt geht weiter – auch wenn man in Deutschland und im Westen gerade mehr über die Risiken und Gefahren von Gesichtserkennung spricht als in Indien. So verbot etwa San Francisco seiner Polizei, entsprechende Software zu nutzen und zuletzt wurde der automatisierte Bild-Abgleich vorerst auch aus dem Entwurf für ein neues Bundespolizeigesetz gestrichen. Er habe noch „einige Fragen“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). „Die möchte ich abklären und dann werden wir im parlamentarischen Raum entscheiden, wie wir damit weiter umgehen.“ Eine grundsätzliche Abkehr von der automatisierten Gesichtserkennung in Deutschland soll das aber nicht sein. Und im Alltag nutzen Menschen in Deutschland die Technologie schon freiwillig – etwa, um bequem ein Smartphone zu entsperren, und soziale Netzwerke erkennen damit Freunde in Fotos.

Je mehr Kameras, desto besser

Gesichtserkennungssysteme funktionieren grundsätzlich besser, je mehr Überwachungskameras installiert sind. Noch hat Neu Delhi auf die Einwohner gerechnet rund zwölf Mal weniger Kameras als etwa die chinesische Millionenmetropole Shanghai und gleich viele wie Berlin, heißt es auf der Internetsicherheits-Seite Comparitech. Doch die indische Hauptstadt will aufrüsten und führend in Sachen Videoüberwachung werden, wie ein Sprecher der Lokalregierung sagt. Das schaffe mehr Sicherheit – auch für Frauen. Immerhin wird im Land nach offiziellen Zahlen alle 15 Minuten eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt. Und fragt man auf den Straßen in Neu Delhi, finden viele die zusätzlichen Kameras gut. „Die Regierung kann so viele Kameras installieren, wie sie will“, sagt etwa Ladenbesitzer Bharat Bhushan. „Uns Inder interessiert Privatsphäre nicht, die Sicherheit unseres Lebens und unseres Besitzes sind wichtiger.“ dpa

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