Anzeige
Anzeige
Analyse

Der Kampf um die Aufmerksamkeit: So gewinnen Händler

Im Netz leben Händler von der Aufmerksamkeit der Kunden. Erfolgreiche Strategien setzen auf Relevanz. In der Online-Welt kämpfen plötzlich allerlei Unternehmen um die Aufmerksamkeit der Nutzer.

Von Thomas Euler
7 Min.
Artikel merken
Anzeige
Anzeige
(Foto: Shutterstock)

Bis zu einem gewissen Grad traf dies auch im prädigitalen Zeitalter zu. Doch das Internet änderte nicht etwa nur die Regeln, sondern gleich das ganze Spiel. Das Ergebnis: Aufmerksamkeit ist in vielen Märkten zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor geworden.
Händler und Hersteller von Gebrauchsgütern sind von diesem Wandel unmittelbar betroffen. Im Netz gehorcht ihr Geschäft anderen Gesetzen. Um zu verstehen warum, müssen wir einen Blick auf die konzeptionellen Unterschiede zwischen physischer und digitaler Welt werfen.

Wettbewerb um Aufmerksamkeit statt Verfügbarkeit

Anzeige
Anzeige

Wer in der Vergangenheit ein Produkt unter die Menschen bringen wollte, sah sich zwei hauptsächlichen Herausforderungen gegenüber: Zunächst musste man etwas anbieten, das auf Nachfrage stieß. Zweitens galt es, das Produkt für so viele Menschen wie möglich verfügbar zu machen. Da Geographie im stationären Handel maßgeblich war, stellte flächendeckende Verfügbarkeit die größte Hürde dar. Nur wenn sie sichergestellt war, skalierte das Geschäft.

Wie ich in der letzten Ausgabe schon beschrieb, ist dies nicht länger der Fall: Im Netz leben Händler und Hersteller von der Aufmerksamkeit der Kunden. Erfolgreiche Strategien setzen daher auf Relevanz.

Anzeige
Anzeige

Unsere heutige Aufmerksamkeitslandschaft, und weitergedacht unsere Wirtschaft, ist ein zusammenhängendes System. Medien, Werbetreibende, Agenturen und alle anderen Akteure stehen wechselseitig miteinander in Beziehung. Sie existieren, ohne fixe Reihenfolge, aufgrund des Anderen. Ihre gemeinsame Existenzgrundlage sind Massenmärkte.

Anzeige
Anzeige

Doch das Web verändert die Dynamik. Dort greifen wir auf Informationen und Inhalte on demand zu, das Angebot ist im Grunde endlos. Physische Güter sind zwar nach wie vor knapp, nicht jedoch der Zugriff darauf. Während früher begrenzte Regalflächen die Gewinner bestimmten, haben wir online Zugriff auf alle „Regale“ weltweit. Zumal, de facto, nur Amazons (unlimitierte!) Regalfläche wirklich zählt.

Hinzu kommen a) die fragmentierte und hochspezifische Weise, in der wir heutzutage unsere Aufmerksamkeit investieren sowie b) die mächtigen Plattformen, die sie aggregieren und distribuieren. In dieser Welt ist es nicht länger sonderlich sinnvoll, ein Geschäft auf der Grundlage von Reichweite zu entwickeln, wie es Massenmärkte erforderten.
Egal ob ein Unternehmen Windeln oder den Easy-Butter-Former verkauft: Heute ist es vergleichsweise einfach, sein Produkt global zu distribuieren. Zwar gibt es nach wie vor Herausforderungen, doch das Internet hat den Schwierigkeitsgrad deutlich gesenkt.

Anzeige
Anzeige

Amazon ist im Begriff, ihn für die Verkäufer auf seiner Plattform weiter zu reduzieren. Gewissermaßen hat das Internet für ausgeglichene(re) Verhältnisse gesorgt. Doch nicht, ohne neue Herausforderungen zu schaffen. Nun, da zumindest theoretisch jeder die globale Online-Bevölkerung erreichen kann, ist der limitierende Faktor nicht länger Verfügbarkeit, sondern die Aufmerksamkeit der Konsumenten. Da Menschen heute de facto aus einem endlosen Angebot wählen können, müssen Unternehmen Wege finden, wie sie herausstechen können.

Der Schlüssel zum Erfolg ist nicht etwa immer mehr und immer lautere Werbung, sondern Relevanz. Natürlich ist es möglich, Abschlüsse mit Hilfe von gutem Performancemarketing einzukaufen, doch handelt es sich dabei in aller Regel um einmalige Angelegenheiten. Dauerhafte Kundenbeziehungen etabliert man so nicht. In der physischen Welt war letzteres simpel: Menschen frequentierten ein Geschäft, schlicht und ergreifend weil es in der Nähe war. Um wiederholte Käufe sicherzustellen, musste ein Artikel stets vorrätig sein. Im Idealfall hatte der Hersteller ihn noch hinreichend beworben, damit er die bevorzugte Wahl unter den diversen Optionen darstellte. Marketiers sprachen dann von Markenloyalität. Gleichzeitig handelte es sich bei solchen Käufen um habitualsiertes Verhalten, sprich um Gewohnheit — auf der Grundlage von Verfügbarkeit.

Gewohnheiten zu prägen funktioniert online jedoch gänzlich anders. Einen Nutzer in seinen Shop zu bewegen  —  oder schlimmer noch, ihn auf eine nur durch den Preis differenzierte Amazon-Produktseite zu locken —ist noch lange keine Garantie dafür, dass er wiederkehrt. Ein vergleichender Blick auf die erfolgreichsten Internetunternehmen zeigt, dass es ihnen allen gelungen ist, wichtiger Bestandteil im Leben ihrer Nutzer zu werden. Facebook-User scrollen auf ihrem Smartphone mehrmals täglich durch den Newsfeed. Wer nach Informationen sucht, googelt (dass Google zum Verb geworden ist, illustriert den Punkt perfekt). Wer einen Urlaub plant, bucht ein Airbnb.

Anzeige
Anzeige

Menschen haben also neue Gewohnheiten rund um diese Dienste entwickelt. Die Voraussetzung dafür ist stete Interaktion. Aus diesem Grund sind DAUs (Daily-Active-Users, also täglich aktive Nutzer) eine entscheidende Kennzahl für fast jedes Online-Startup. Es ist eine Sache, jemanden dazu zu bewegen, eine App runterzuladen oder eine Website zu besuchen. Diese Person dann in einen regelmäßigen Nutzer zu verwandeln, ist eine ganz andere Angelegenheit. Es ist enorm schwer, die meisten Versuche scheitern.

Doch Händler und Gebrauchsartikelhersteller müssen heute mit genau jener Logik auf ihr Geschäft gucken. Früher resultierte ihr Wettbewerbsvorteil aus der Kombination eines dichten Filialnetzes (Handel) beziehungsweise flächendeckender Distribution (Hersteller) mit einem hinreichend nachgefragten Produktangebot und Skaleneffekten (Economies of scale). Online hingegen entstehen Wettbewerbsvorteile aus etablierten, dauerhaften Kundenbeziehungen in relevanter Größenordnung — und im Bestfall Netzwerkeffekten.

Optimieren auf Relevanz

Doch wie etabliert man eine dauerhafte Kundenbeziehung, wenn das eigene Geschäft im Verkauf von Produkten besteht? Zwar gibt es keine universelle Antwort auf diese Frage, doch lässt sich eine Menge lernen, indem man genau begutachtet, was erfolgreiche Internetunternehmen machen. Ich benutze dabei einen gedanklichen Rahmen, den ich als „ein Geschäft auf Relevanz optimieren” beschreibe. Meine (Arbeits-)Definition:

Anzeige
Anzeige

Ein Geschäft auf Relevanz zu optimieren ist der fortlaufende Prozess, alle Bereiche eines Geschäfts — insbesondere das Produkt, das Geschäftsmodell und das digitale Erlebnis — auf kontinuierliche Nutzerinteraktionen zu fokussieren, damit die Nutzer neue Gewohnheiten entwickeln, die das Unternehmen monetarisieren kann.

Gehen wir die einzelnen Punkte durch.

Zunächst ist entscheidend, dass Relevanz eine dauerhafte Aufgabe ist. Sie muss stetig kultiviert und verstärkt werden. In der Unterhaltungsindustrie ist allgemein bekannt, dass relevant zu bleiben der schwierigste Part des Geschäfts ist. Das gilt heute auch im Onlinehandel. Ein wenig unorthodoxes Denken kann dazu nicht schaden. Auf meinem Blog schrieb ich im Detail über Amazons Strategie. Dort hieß es:

Weil das Inventar alleine nicht genügt, nutzt Amazon das Prime-Programm und produziert oscarprämierte Filme, um Relevanz sicherzustellen. Amazon will Allen Alles anbieten. Doch die meisten Menschen beschäftigen sich nicht intensiv mit den meisten Gebrauchsartikeln. Zwar werden sie benötigt, doch sie sind nicht relevant.

(Grafik: attentionecono.me)

Die Prime-Inhalte sind nur eine — wenngleich kritische — Komponente im System. Für viele Nutzer sind sie das entscheidende Argument dafür, initial Mitglied zu werden. Oscarprämierte Filme sind eben relevant. Doch ist ein Nutzer erstmal Mitglied geworden, setzt die Feedback-Schleife zwischen der Mitgliedschaft und dem Einkaufsverhalten ein. Und die trägt maßgeblich zu Amazons anhaltender Relevanz im Leben des Kunden bei. All dies hat erstaunlich wenig mit den Produkten zu tun, die Amazon verkauft. Stattdessen resultiert die Relevanz aus dem gesamten Universum, das Amazon rund um den bloßen Einkaufsakt geschaffen hat.
Die nahtlose Integration all dieser Elemente ist entscheidend, um ein Relevanz-basiertes Geschäftsmodell zu entwickeln.

Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig besagte Integration ist. Ein Geschäft auf Relevanz zu optimieren ist keine Aufgabe für eine einzelne Abteilung. Vielmehr muss das gesamte Geschäft so „designed” werden, dass alle Bereiche aufs gleiche Ziel ausgerichtet sind, sogar bis zur Logistik. Amazon ist dafür ein exzellentes Beispiel. Doch es gibt weitere.

Anzeige
Anzeige

Produkt-Abo-Services wie der Dollar Shave Club, Blue Apron oder hierzulande Hellofresh haben eine Gemeinsamkeit: Sie verkaufen wenig differenzierte Verbrauchsgüter. Zwar benötigen Menschen diese regelmäßig, doch für kaum jemanden ist es ein besonderes Erlebnis, sie einzukaufen. Anstatt zu versuchen, künstlich das Interesse der Kunden an den Produkten zu steigern (und anstatt Filme zu drehen), gehen genannte Unternehmen einen anderen Weg, um Relevanz zu schaffen.

Sie haben akzeptiert, ein gewöhnliches Verbrauchsgut zu verkaufen und ihr Geschäftsmodell und ihre Distribution an diesen Fakt angepasst. Auf diese Weise haben sie die bestmögliche User-Experience für langweilige Verbrauchsgüter geschaffen: Der Kunde bekommt sie einfach, ohne darüber nachdenken zu müssen. Die „kontinuierliche Nutzerinteraktion” besteht in diesem Beispiel schlicht aus der Zustellung des Pakets (und dem Auspacken!). Das Modell schafft Relevanz, indem es Bequemlichkeit maximiert. Und da die Unternehmen Abonnements verkaufen, ist das Relevantbleiben gleich ins Geschäftsmodell gegossen.

Es gibt noch weitere Ansätze, die Relevanz fördern sollen. Manche bestehen darin, Produkte um Services zu erweitern, etwa Nike+. Andere basieren auf Community-Aufbau und wieder andere auf der Integration von Hard- und Software. Apple ist sicher das populärste Beispiel für letzteres, doch müssen wir gar nicht so weit gucken. Native Instruments, ein Hersteller digitaler Instrumente aus Berlin, setzt auf die gleiche Taktik. Man muss kein globaler Tech-Riese sein, um sein Geschäft auf Relevanz zu optimieren.

Anzeige
Anzeige

Der letzte Part meiner Definition ist ebenfalls beachtenswert. Denn die Gewohnheiten seiner Nutzer zu monetarisieren, unterscheidet sich deutlich vom bloßen Verkauf eines Produkts. Natürlich gehört dies nach wie vor zum Mix der Erlösströme, jedoch sind Händler und Hersteller nicht länger darauf beschränkt. Weitere Optionen sind unter anderem: Wiederkehrende Service-Gebühren, volumenabhängige Transaktionsgebühren von Geschäften Dritter, der Verkauf von Datendienstleistungen und — die entsprechende Größe vorausgesetzt — sogar Werbung.

Nischen als Startpunkt

Vor dem Internet bestimmte das Filial- beziehungsweise Distributionsnetz über die Größe des Geschäfts. Online sprechen wir über ganz andere Größenordnungen. Der adressierbare Markt sind 3,4 Milliarden Internetnutzer global, laut Marry Meekers Internet-Trends-2017-Report. Das ermöglicht es Produzenten und Händlern, andere Produkte beziehungsweise Portfolios zu gestalten.

Im Offline-Massenmarkt mussten Produkte möglichst viele Menschen ansprechen. Andernfalls machte es für Händler keinen Sinn, ein Produkt zu listen. Knappe, teure Ladenflächen mussten ebenfalls massenkompatibel gestaltet sein. Der Nachteil: Dies ging zwingend mit Design-Kompromissen einher. Ist etwas „gerade gut genug” für möglichst viele Menschen, ist es im Umkehrschluss kaum auf spezifische Bedürfnisse ausgelegt. Das Internet hingegen erlaubt es Unternehmen, sich genau auf diese zu spezialisieren. Zwar zählen Economies of scale noch immer zur Produktionsrealität, doch in Internetdimensionen sind selbst spezielle Segmente oft noch ziemlich groß.

Anzeige
Anzeige

Nischen bieten zwei klare Vorteile. Erstens ist ein Produkt per se relevant, wenn es genau dem Kundenwunsch entspricht. Und zweitens lassen sich für eine präzise definierte Kundengruppe deutlich leichter Maßnahmen entwickeln, die Relevanz schaffen.

Eine kluge Strategie scheint mir demnach, sich auf eine Nische zu konzentrieren, darin auf Relevanz zu optimieren bis sie durchdrungen ist, und parallel die Augen nach stimmigen Möglichkeiten der Erweiterung offen zu halten. Zugegeben: Ein Vorgehen, das wenig mit herkömmlichen Strategien aus Zeiten des physischen Handels gemein hat. Doch Zeiten ändern sich.

Eine englische Fassung dieses Artikels erschien zunächst auf attentionecono.me.

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Schreib den ersten Kommentar!
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige