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„Keine Sekunde verlieren oder gewinnen“: Zwei Atomuhren im Weltall sollen Messungen auf der Erde verbessern

Die ACES-Mission der Europäischen Weltraumorganisation Esa könnte letztlich den Weg für ein globales Netz von Atomuhren ebnen. So sollen Höhenmessungen wesentlich genauer sein.

Von MIT Technology Review Online
7 Min.
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Dieses Gravitationsmodell der Erde, genannt Geoid, basiert auf Daten der Esa-Mission GOCE. (Grafik: Esa / HPF / DLR)

2003 begannen Ingenieur:innne aus Deutschland und der Schweiz gleichzeitig von zwei Seiten mit dem Bau einer Brücke über den Rhein. Monate nach Baubeginn stellten sie fest, dass sich die beiden Seiten der Hochrheinbrücke zwischen der deutschen Kleinstadt Laufenburg (Baden) und dem schweizerischen Laufenburg überhaupt nicht trafen. Die deutsche Seite schwebte 54 Zentimeter über der Schweizer Seite.

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Die Feinheiten der Höhenmessung

Der Grund für den Versatz war, dass die deutschen Ingenieur:innen die Höhe mit dem historischen Pegel der Nordsee als Nullpunkt gemessen hatten, während die Schweizer das 27 Zentimeter tiefere Mittelmeer zugrunde gelegt hatten. Wir sprechen zwar umgangssprachlich von Erhebungen in Bezug auf den „Meeresspiegel“, aber die Meere der Erde sind tatsächlich nicht eben.

„Der Meeresspiegel variiert von Ort zu Ort“, sagt Laura Sanchez, eine Geodätin an der Technischen Universität München in Deutschland. Geodäten untersuchen die Form, die Ausrichtung und das Gravitationsfeld der Erde. Die beiden Teams wussten zwar um den Unterschied von 27 Zentimetern, verwechselten aber, welche Seite höher war. So kam es zum doppelt so großen Versatz. Am Ende senkte Deutschland seine Seite ab, um die Brücke fertigstellen zu können.

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Um solche kostspieligen Konstruktionsfehler zu vermeiden, stimmten die Wissenschaftler:innen der International Association of Geodesy 2015 für die Annahme des Internationalen Höhenreferenzrahmens (IHRF), eines weltweiten Standards für Höhenangaben. Er ist das dreidimensionale Gegenstück zu Breiten- und Längengraden, sagt Sanchez, der an der Koordinierung der Standardisierungsbemühungen beteiligt ist.

Zwei Atomuhren sind besser als eine

Jetzt, ein Jahrzehnt nach der Verabschiedung, versuchen Geodät:innen, den Standard zu aktualisieren, indem sie die präziseste Uhr verwenden, die jemals im Weltraum geflogen ist. Diese Uhr, das Atomic Clock Ensemble in Space (ACES), ist im April von Florida aus in die Umlaufbahn zur Internationalen Raumstation (ISS) gestartet. Die von der Europäischen Weltraumorganisation Esa gebaute ACES besteht aus zwei miteinander verbundenen Atomuhren, von denen die eine Cäsiumatome (Caesium-Fontänen-Uhr) und die andere Wasserstoffatome (Wasserstoff-Maser-Uhr) enthält, die zusammen ein einziges Ticken mit höherer Präzision erzeugen als jede der beiden Uhren allein.

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Pendeluhren sind nur auf etwa eine Sekunde pro Tag genau, da die Schwinggeschwindigkeit ihrer Pendel je nach Luftfeuchtigkeit, Temperatur und dem Gewicht von zusätzlichem Staub variieren kann. Die Atomuhren in den aktuellen GPS-Satelliten verlieren oder gewinnen dagegen im Durchschnitt alle 3.000 Jahre höchstens eine Sekunde. ACES wird nun auch „in 300 Millionen Jahren keine Sekunde verlieren oder gewinnen“, sagt der ESA-Physiker Luigi Cacciapuoti, der beim Bau und dem Start des Geräts geholfen hat. Zwar hat China bereits 2022 eine potenziell stabilere Uhr auf seiner Raumstation installiert, aber die chinesische Regierung hat die Leistung der Uhr nach dem Start bisher nicht öffentlich gemacht, so Cacciapuoti.

Vom Weltraum aus wird sich ACES mit einigen der genauesten Uhren auf der Erde verbinden, um ein synchronisiertes Uhrennetzwerk zu schaffen, das seinen Hauptzweck unterstützen wird: die Durchführung von Tests der fundamentalen Physik. Für Geodät:innen ist ACES jedoch von besonderem Interesse, weil damit Gravitationsmessungen möglich werden, mit denen ein präziserer Nullpunkt für Höhenmessungen auf der ganzen Welt bestimmt werden kann.

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Die Angleichung dieses „Nullpunkts“, also jener Stelle, an der man das Ende des Maßbands anlegt, um die Höhe zu messen, ist für die internationale Zusammenarbeit wichtig. Sie erleichtert zum Beispiel die Überwachung und den Vergleich von Veränderungen des Meeresspiegels auf der ganzen Welt.

Besonders nützlich ist es für den Bau von Infrastrukturen, die mit fließendem Wasser zu tun haben, wie zum Beispiel Dämme und Kanäle. 2020 löste der internationale Höhenstandard sogar einen langjährigen Streit zwischen China und Nepal über die Höhe des Mount Everest. Jahrelang hatte China die Höhe des Berges mit 8.844,43 Metern angegeben, während Nepal sie mit 8.848 Metern bezifferte. Mithilfe der IHRF einigten sich die beiden Länder schließlich darauf, dass der Berg 8.848,86 Meter hoch ist.

Die Erde ist eine klumpige Kartoffel

Um einen Standardnullpunkt zu schaffen, erstellen Geodät:innen ein Modell der Erde, das sogenannte Geoid. Jeder Punkt auf der Oberfläche dieses klumpigen, kartoffelförmigen Modells erfährt die gleiche Schwerkraft, was bedeutet, dass, wenn man einen Kanal auf der Höhe des Geoids graben würde, das Wasser innerhalb des Kanals eben wäre und nicht fließen würde. Durch die Entfernung vom Geoid wird ein globales System für die Höhe geschaffen.

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Dem aktuellen Modell fehlt es jedoch an Präzision, insbesondere in Afrika und Südamerika, sagt Sanchez. Das heutige Geoid wurde mit Instrumenten erstellt, die die Schwerkraft der Erde direkt messen. Diese wurden auf Satelliten transportiert, die sich durch eine globale, aber niedrig aufgelöste Ansicht auszeichnen, und wurden auch verwendet, um feinere Details durch teure boden- und flugzeuggestützte Vermessungen zu erhalten. Die Geodäten hatten jedoch nicht die finanziellen Mittel, um Afrika und Südamerika so umfassend zu vermessen wie andere Teile der Welt, insbesondere in schwierigem Gelände wie dem Amazonas-Regenwald und der Sahara-Wüste.

Um die Diskrepanz in der Genauigkeit zu verstehen, muss man sich eine Brücke vorstellen, die Afrika von der Mittelmeerküste bis nach Kapstadt, Südafrika, überspannt. Wenn sie auf der Grundlage des aktuellen Geoids gebaut wird, sind die beiden Enden der Brücke um mehrere zehn Zentimeter versetzt. Zum Vergleich: Bei einer Brücke, die Nordamerika überspannt, würde die Abweichung höchstens fünf Zentimeter betragen.

Geoid: Wie ein weltweites Netz von Uhren helfen soll

Um die Genauigkeit des Geoids zu verbessern, wollen die Geodät:innen ein weltweites Netz von Uhren schaffen, die vom Weltraum aus synchronisiert werden. Die Idee funktioniert nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie, die besagt, dass die Zeit umso langsamer vergeht, je stärker das Gravitationsfeld ist. Der Science-Fiction-Film Interstellar von 2014 veranschaulicht eine extreme Version dieser sogenannten Zeitdilatation: Zwei Astronauten verbringen einige Stunden in extremer Schwerkraft in der Nähe eines Schwarzen Lochs, um zu einem um mehr als zwei Jahrzehnte gealterten Schiffskameraden zurückzukehren.

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In ähnlicher Weise wird die Schwerkraft der Erde schwächer, je höher man sich befindet. Wenn Sie stehen, spüren Ihre Füße zum Beispiel eine etwas stärkere Schwerkraft als Ihr Kopf. Wenn man davon ausgeht, dass man etwa 80 Jahre alt wird, altert der Kopf im Laufe eines Lebens um einige Milliardstel Sekunden mehr als die Füße.

„Wir wollen eine Genauigkeit von einem oder wenigen Zentimetern erreichen“

Ein Uhrennetz würde es Geodäten ermöglichen, das Ticken von Uhren auf der ganzen Welt zu vergleichen. Anhand der Zeitunterschiede könnten sie dann das Schwerefeld der Erde viel genauer abbilden und so ein präziseres Geoid erstellen. Die genauesten Uhren sind heute präzise genug, um Zeitschwankungen zu messen, die sich auf zentimetergenaue Höhenunterschiede übertragen lassen.

„Wir wollen eine Genauigkeit von einem oder wenigen Zentimetern erreichen“, sagt Jürgen Müller, Geodät an der Leibniz Universität Hannover in Deutschland. Konkret würden die Geodäten die Uhrenmessungen nutzen, um ihr Geoidmodell zu validieren, was sie derzeit mit boden- und flächenbasierten Vermessungstechniken tun. Ihrer Meinung nach dürfte ein Uhrennetz wesentlich kostengünstiger sein.

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ACES ist nur ein erster Schritt dahin. Es ist in der Lage, die Höhen an verschiedenen Punkten der Erde mit einer Genauigkeit von zehn Zentimetern zu messen, sagt Cacciapuoti. ACES soll jedoch als Prototyp für das Uhrennetz dienen. Es soll die optische und Mikrowellentechnologie demonstrieren, die erforderlich ist, um eine Uhr im Weltraum zu verwenden und einige der fortschrittlichsten bodengestützten Uhren miteinander zu verbinden.

Ab dem nächsten Jahr plant Müller, ACES für die Verbindung mit Uhren am Boden zu nutzen, zunächst mit drei Uhren in Deutschland. Müllers Team könnte dann genauere Messungen an den Standorten dieser Uhren vornehmen. Diese frühen Studien werden den Weg für Arbeiten ebnen, bei denen noch präzisere Uhren als ACES an das Netz angeschlossen werden, was letztlich zu einem verbesserten Geoid führen wird.

Die besten Uhren sind heute etwa 50-mal präziser als ACES. „Das Spannende daran ist, dass die Uhren noch stabiler werden“, sagt Michael Bevis, Geodät an der Ohio State University, der nicht an dem Projekt beteiligt war. Ein präziseres Geoid würde es Ingenieur:innen beispielsweise ermöglichen, einen Kanal mit besserer Kontrolle über seine Tiefe und seinen Fluss zu bauen, sagt er. Er weist jedoch darauf hin, dass die Geodät:innen ihre mathematischen Modelle des Gravitationsfeldes der Erde verbessern müssen, um von der Präzision der Uhren profitieren zu können.

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Von Labor- auf Kühlschrankgröße schrumpfen

Schon der Aufbau dieses Uhrennetzes erforderte jahrzehntelange engagierte Arbeit von Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen. Die Esa hat drei Jahrzehnte gebraucht, um eine weltraumtaugliche Uhr so klein wie ACES zu bauen, sagt Cacciapuoti. Dazu musste eine Uhr von der Größe eines Labors auf die Größe eines kleinen Kühlschranks miniaturisiert werden. „Es war ein enormer technischer Aufwand“, sagt Cacciapuoti, der an dem Projekt arbeitet, seit er vor 20 Jahren bei der Esa anfing.

Die Geodät:innen gehen davon aus, dass sie mindestens ein weiteres Jahrzehnt benötigen werden, um das Uhrennetzwerk zu entwickeln und weitere Uhren ins All zu bringen. Eine Möglichkeit wäre, die Uhren an GPS-Satelliten anzubringen. Der Zeitplan hängt vom Erfolg der ACES-Mission und der Investitionsbereitschaft der Regierungsbehörden ab, sagt Sanchez. Aber wie auch immer die Einzelheiten aussehen, die Kartierung der Welt braucht Zeit.

 

Dieser Artikel stammt von Sophia Chen. Sie ist Autorin bei der US-amerikanischen MIT Technology Review. Ihr Themengebiet ist die Schnittstelle zwischen Physik und Informatik.
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