Alchemie 2.0: Wie ein Startup die Wirtschaftlichkeit der Kernfusion knacken will
Die Behauptung ist kühn: Das Startup Marathon Fusion aus San Francisco im US-Bundesstaat Kalifornien schlägt einen Weg vor, um in Deuterium-Tritium-Fusionsreaktoren Gold herzustellen. Der Prozess soll als Nebenprodukt der Energieerzeugung ablaufen und diese wirtschaftlich attraktiver machen.
Grundlage ist ein wissenschaftliches Paper, das das Unternehmen selbst veröffentlicht hat. Der darin beschriebene Prozess nutzt die bei der Fusion entstehenden, extrem energiereichen Neutronen. Diese sollen auf das stabile Quecksilber-Isotop 198 treffen und es per Kernreaktion in das instabile Isotop Quecksilber-197 umwandeln. Dieses zerfällt anschließend mit einer Halbwertszeit von rund 64 Stunden in das einzige stabile und wertvolle Gold-Isotop 197.
Gold als Lösung für das Wirtschaftlichkeitsproblem der Fusion
Der eigentliche Antrieb hinter der Idee ist nicht der Goldreichtum, sondern die Ökonomie. Die Entwicklung der Fusionstechnologie ist extrem kostspielig, und der Endpreis für den erzeugten Strom muss mit etablierten Energiequellen konkurrieren können.
Marathon Fusion rechnet vor, dass ein Fusionskraftwerk mit einem Gigawatt Leistung auf diese Weise rund 5.000 Kilogramm Gold pro Jahr erzeugen könnte. Wie die Financial Times berichtet, würde der Wert des Goldes bei aktuellen Preisen in etwa den Einnahmen aus dem Stromverkauf entsprechen. Die Gesamteinnahmen eines Kraftwerks könnten sich so verdoppeln.
Die technische Innovation liegt laut dem Paper von Marathon Fusion in der Nutzung sogenannter (n, 2n)-Reaktionen. Diese sind ohnehin ein integraler Bestandteil von Fusionsreaktoren, um aus Lithium den Brennstoff Tritium zu erbrüten und so den Brennstoffkreislauf autark zu halten. Das Quecksilber-198 würde demnach als cleverer Neutronenmultiplikator dienen, der diese Aufgabe erfüllt und gleichzeitig die Transmutation zu Gold einleitet.
Die Idee hat gleich mehrere Haken
So elegant der Ansatz auf dem Papier wirkt, so groß sind die praktischen Hürden. Ein wesentlicher Punkt ist, dass das erzeugte Gold nicht sofort nutzbar wäre. Da das Ausgangsmaterial nicht nur aus reinem Quecksilber-198 besteht, entstehen bei dem Prozess auch andere, radioaktive Gold-Isotope.
Das bedeutet, das fertige Gold müsste zunächst sicher gelagert werden. Die Gründer von Marathon Fusion, Kyle Schiller und Adam Rutkowski, schätzen die notwendige Lagerzeit auf 14 bis 18 Jahre, bis die Radioaktivität auf ein als unbedenklich eingestuftes Niveau gesunken ist.
Expertenmeinungen gehen weit auseinander
Ein weiterer, noch fundamentalerer Einwand: Das wissenschaftliche Paper wurde bisher keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen. Seine Thesen wurden also noch nicht von unabhängigen Wissenschaftler:innen geprüft und bestätigt.
Zudem existiert die Grundvoraussetzung für den Plan noch nicht: ein kommerziell betriebenes Fusionskraftwerk. Obwohl die Forschung Fortschritte macht, ist die Technologie vermutlich noch Jahrzehnte von einer breiten Marktreife entfernt.
Entsprechend gemischt fallen die Reaktionen von Expert:innen aus. Dr. Ahmed Diallo, ein Plasmaphysiker am Princeton Plasma Physics Laboratory im US-Bundesstaat New Jersey, äußerte gegenüber der Financial Times, das Konzept sehe auf dem Papier „großartig“ aus und sei „faszinierend“. Kritischere Töne kommen aus Deutschland. Walter Tromm vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bezeichnete die Idee laut dem Spiegel als „wissenschaftliche Kuriosität“. Er bestätigt zwar die prinzipielle Machbarkeit, betont aber die immensen ungelösten Probleme der Fusionstechnologie selbst.