Klimafreundlicher als Bus und Bahn: Die überraschend grüne Bilanz urbaner Seilbahnen

Mobilität benötigt Platz – für Straßen und Schienen, aber auch Radwege brauchen ausreichend Quadratmeter. Doch in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland ist dieser Platz knapp. Kein Wunder also, dass sich immer mehr Städte für urbane Seilbahnen interessieren. Sie überqueren Straßen und Häuser staufrei und fast lautlos. Einige Städte weltweit planen oder bauen gerade eine Seilbahn, darunter Paris. Andere betreiben bereits Anlagen oder erweitern diese, wie Mexiko-Stadt, Bogotá oder La Paz, wo mit 31 Kilometern das längste urbane Seilbahnnetz der Welt in Betrieb ist – 250 Millionen Passagiere nutzten es über fünf Jahre. In Deutschland sind Projekte in Bonn und in Herne in Planung. In Asien haben Seilbahnen dagegen den Stellenwert von Touristenattraktionen, für den öffentlichen Nahverkehr sind sie nicht vorgesehen, nur Indien hat etwa ein Dutzend Projekte angekündigt.
Große Städte wie Paris oder Mexiko-Stadt lösen mit Seilbahnen ein verbreitetes Problem des öffentlichen Nahverkehrs: die Anbindung der Quartiere. Die für Paris geplante „Câble A“ wird südöstlich des Stadtzentrums beziehungsweise nordöstlich des Flughafens Paris-Orly starten und die Menschen aus ihren Wohngebieten an die Endstation der Metrolinie 8 bringen. Die Wahl des Verkehrsmittels fiel auf die Seilbahn, weil die Route Straßen und die Gleise des TGV kreuzt und die Alternative mit Straßenbahn oder U-Bahn zu aufwendig wäre. Eine Seilbahn lässt sich dagegen in eineinhalb Jahren errichten. Zudem ist der Platzbedarf für die Masten minimal.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 7/2023 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als pdf-Ausgabe bestellen.
Seilbahn in Mexiko-Stadt
Vor einer ähnlichen Herausforderung steht Mexiko-Stadt: Dort verbindet die neue, 9,2 Kilometer lange Seilbahnachse den Verkehrshub Indios Verdes mit dem Stadtteil Cuautepec. Etwa 40 000 Passagiere nutzen die Strecke pro Tag, die Fahrzeit verkürzt sich im Schnitt um 1,5 Stunden. „Eine urbane Seilbahn ist nie das einzige Verkehrsmittel in einer Stadt“, betont Reinhard Fitz, Leiter der internationalen Produktentwicklung beim Seilbahnspezialisten Doppelmayr in Österreich. Sie sei sinnvoll in Kombination mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, schließe Lücken und verkürze Reisezeiten beim Einpendeln in bestimmte Stadtviertel. Wie in Luxemburg, wo sich nach dem Bau der Seilbahn der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs beim Einpendeln in das Finanzviertel von 17 auf 25 Prozent erhöht hat.
Auch Bonn könnte von einer Seilbahn profitieren. Dort ist der Rhein mit nur zwei Brücken ein Hindernis für Pendler, gleichzeitig ist das Klinikum auf dem Venusberg nur über eine schmale Straße zu erreichen. Eine Seilbahn wäre eine ideale Abkürzung. Laut einer Umfrage von Forsa lehnt allerdings die Mehrheit der Bonner das Projekt ab. Das dürfte sich also noch einige Jahre hinziehen und eine Seilbahn wohl nicht vor Ende des Jahrzehnts in Betrieb gehen.
Klimabilanz von Seilbahnen
Die Vorurteile haben ihre Ursache vielleicht in der Vorstellung, urbane Seilbahnen seien ähnlich unkomfortabel wie ihre Pendants für Skitouristen. Dabei haben die Kabinen heute Klimatisierung, Scheiben- und Sitzheizung, Bildschirme zur Unterhaltung und WLAN. Der Zustieg ist ebenerdig und barrierefrei.
Sicher ist: Seilbahnen leisten einen erheblichen Beitrag zur Reduktion der Emissionen. Die Gondeln überqueren Wohngebiete nahezu geräuschlos und auch bei den CO₂-Emissionen ist die Bilanz vorzüglich – selbst wenn der Strom aus fossilen Kraftwerken stammt wie in La Paz. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Hochschule Düsseldorf für die „Línea Roja“ in La Paz. Die Studie betrachtet den gesamten Lebenszyklus, also unter anderem die Materialbeschaffung, die Herstellung der Komponenten, den Bau der Infrastruktur, den Betrieb und die Wartung sowie den Abbau und das Recycling. Über die Lebensdauer von 30 Jahren erzeugt die Seilbahn bei realistischer Auslastung in Summe etwa 48.000 Tonnen CO₂, wobei der Strom ausschließlich aus fossilen Energieträgern stammt, es also noch Einsparpotenzial mit Strom aus erneuerbaren Energien gäbe. Würde man stattdessen die Route mit einer Straßenbahn bedienen, wären es 215.000 Tonnen, für Busse knapp 267.000 Tonnen CO₂.
„Für uns ist die Seilbahn nicht nur ein Mobilitätsprojekt“
Auch die Weltbank hebt den Daumen. Sie hat die sozio-politischen Auswirkungen der Seilbahn in La Paz untersucht. Größere Zugänglichkeit auch für sozial Schwächere, Schub für die wirtschaftliche Entwicklung und Nachhaltigkeit für die Umwelt seien die Vorteile. Claudia Sheinbaum Pardo, ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, bestätigt das: „Für uns ist die Seilbahn nicht nur ein Mobilitätsprojekt, sondern auch ein soziales Projekt. Wir wollen den Menschen in unserer Stadt den besten öffentlichen Verkehr bieten und setzen dort an, wo Verbesserungen dringend nötig sind.“
Für Reinhard Fitz brechen die goldenen Zeiten für Seilbahnen erst an. Doppelmayr arbeitet an Konzepten für die urbane Mobilität der Zukunft. Darin können Gondeln in den Stationen über ein Schienensystem im Dach ausgeklinkt und auf eine rollende Plattform gesetzt werden, die autonom bis in Wohnquartiere oder gar bis vors Haus fährt. Das sei aber noch Zukunftsmusik, so Fitz. Er warnt allerdings davor, die rollenden Gondeln als Ersatz fürs Auto zu verstehen und noch mehr Verkehr auf die Straße zu bringen. „Seilbahnen verändern die Art und Weise, wie wir Mobilität nutzen. Sie müssen als Teil des öffentlichen Nahverkehrs konzipiert werden.“